characterisirter und titulirter Bettler. Bey seinen Ausgaben darff er eben nicht auf die Reichsten und Wohlhabensten seine Augen wenden, sondern es ist genug, wenn er seine Sachen hiebey so anstellt, daß die Herrschafft und seine Vorgesetzten mit sei- ner Aufführung zufrieden, seines gleichen ihn ihres Umganges uud Freundschafft würdig achten, und die Geringen ihm diejenige Ehre erzeigen, die sie dem andern nach seinem Stand und Character zu erwei- sen schuldig sind. Bey dem vierdten Stück muß er alle und jede Umstände, die mit dem Character ver- knüpfft sind, und seine eigne Person, das ist, seinen innerlichen und äußerlichen Zustand angehen, auf das fleißigste und sorgfältigste examiniren. Be- findet er nun, daß alles dieses mit seinen Umstän- den so genau harmonire, daß ihm durch dieses oder jenes Praedicat ein höherer Grad der Gemüths- Ruhe zuwachse, als er vorher gehabt, und ihm die- selbe, so viel er endlich nach seiner jetzigen Vermu- thung beurtheilen kan, durch eine darauf folgende Reue nicht unterbrochen werden möchte, so kan er im Nahmen GOttes sich vor diese Gnade respe- ctive allerunterthänigst oder unterthänigst bedan- cken, und die Bedienung oder den Character an- nehmen.
§. 28. Nachdem sich nun die Fälle heutiges Tages so gar öffters nicht zutragen, daß einem die Titul, ohne darum Ansuchung zu thun, von freyen Stücken solten angebothen werden, und doch aus einem Praedicat so groß Werck gemacht wird, so
fragt
I. Theil. III. Capitul.
characteriſirter und titulirter Bettler. Bey ſeinen Ausgaben darff er eben nicht auf die Reichſten und Wohlhabenſten ſeine Augen wenden, ſondern es iſt genug, wenn er ſeine Sachen hiebey ſo anſtellt, daß die Herrſchafft und ſeine Vorgeſetzten mit ſei- ner Auffuͤhrung zufrieden, ſeines gleichen ihn ihres Umganges uud Freundſchafft wuͤrdig achten, und die Geringen ihm diejenige Ehre erzeigen, die ſie dem andern nach ſeinem Stand und Character zu erwei- ſen ſchuldig ſind. Bey dem vierdten Stuͤck muß er alle und jede Umſtaͤnde, die mit dem Character ver- knuͤpfft ſind, und ſeine eigne Perſon, das iſt, ſeinen innerlichen und aͤußerlichen Zuſtand angehen, auf das fleißigſte und ſorgfaͤltigſte examiniren. Be- findet er nun, daß alles dieſes mit ſeinen Umſtaͤn- den ſo genau harmonire, daß ihm durch dieſes oder jenes Prædicat ein hoͤherer Grad der Gemuͤths- Ruhe zuwachſe, als er vorher gehabt, und ihm die- ſelbe, ſo viel er endlich nach ſeiner jetzigen Vermu- thung beurtheilen kan, durch eine darauf folgende Reue nicht unterbrochen werden moͤchte, ſo kan er im Nahmen GOttes ſich vor dieſe Gnade reſpe- ctive allerunterthaͤnigſt oder unterthaͤnigſt bedan- cken, und die Bedienung oder den Character an- nehmen.
§. 28. Nachdem ſich nun die Faͤlle heutiges Tages ſo gar oͤffters nicht zutragen, daß einem die Titul, ohne darum Anſuchung zu thun, von freyen Stuͤcken ſolten angebothen werden, und doch aus einem Prædicat ſo groß Werck gemacht wird, ſo
fragt
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I. Theil. III. Capitul.
characteriſirter und titulirter Bettler. Bey ſeinen
Ausgaben darff er eben nicht auf die Reichſten und
Wohlhabenſten ſeine Augen wenden, ſondern es
iſt genug, wenn er ſeine Sachen hiebey ſo anſtellt,
daß die Herrſchafft und ſeine Vorgeſetzten mit ſei-
ner Auffuͤhrung zufrieden, ſeines gleichen ihn ihres
Umganges uud Freundſchafft wuͤrdig achten, und
die Geringen ihm diejenige Ehre erzeigen, die ſie dem
andern nach ſeinem Stand und Character zu erwei-
ſen ſchuldig ſind. Bey dem vierdten Stuͤck muß
er alle und jede Umſtaͤnde, die mit dem Character ver-
knuͤpfft ſind, und ſeine eigne Perſon, das iſt, ſeinen
innerlichen und aͤußerlichen Zuſtand angehen, auf
das fleißigſte und ſorgfaͤltigſte examiniren. Be-
findet er nun, daß alles dieſes mit ſeinen Umſtaͤn-
den ſo genau harmonire, daß ihm durch dieſes oder
jenes Prædicat ein hoͤherer Grad der Gemuͤths-
Ruhe zuwachſe, als er vorher gehabt, und ihm die-
ſelbe, ſo viel er endlich nach ſeiner jetzigen Vermu-
thung beurtheilen kan, durch eine darauf folgende
Reue nicht unterbrochen werden moͤchte, ſo kan er
im Nahmen GOttes ſich vor dieſe Gnade reſpe-
ctive allerunterthaͤnigſt oder unterthaͤnigſt bedan-
cken, und die Bedienung oder den Character an-
nehmen.
§. 28. Nachdem ſich nun die Faͤlle heutiges
Tages ſo gar oͤffters nicht zutragen, daß einem die
Titul, ohne darum Anſuchung zu thun, von freyen
Stuͤcken ſolten angebothen werden, und doch aus
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/104>, abgerufen am 16.02.2025.
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