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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Dichtung eingeführt, ein Held des troischen Kreises den nach
jenem Lande ewig ungetrübten Glückes Entrückten gesellt
wird. Die Verse sind, wie gesagt, in die Prophezeiung des
Proteus später eingelegt, und man wird wohl glauben müssen,
dass die ganze Vorstellung homerischen Sängern bis dahin
fern lag: schwerlich wäre doch die Blüthe der Heldenschaft,
selbst Achilleus, dem öden Schattenreich verfallen, in dem wir
sie, in der Nekyia der Odyssee, schweben sehen, wenn ein Aus-
weg in ein Leben frei vom Tode der Phantasie sich gezeigt
hätte schon damals, als die Sage von dem Ende der meisten
Helden durch die Dichtung festgestellt wurde. Den Menelaos,
über dessen Ende die Dichtung vom troischen Kriege und den
Abenteuern der Heimkehr noch nicht verfügt hatte, konnte
eben darum ein späterer Poet nach dem mittlerweile "ent-
deckten" Lande der Hinkunft entrücken lassen. Es ist sehr
wahrscheinlich, dass selbst damals, als die Hadesfahrt des
Odysseus gedichtet wurde, diese, für die Entwicklung des grie-
chischen Unsterblichkeitsglaubens später so bedeutend gewor-
dene Phantasie eines verborgenen Aufenthaltes lebendig Ent-
rückter noch gar nicht ausgebildet war. Sie schliesst sich dem
in den homerischen Gedichten herrschenden Glauben ohne Zwang
an, aber sie wird durch diesen Glauben nicht mit Nothwendig-
keit gefordert. Man könnte daher wohl meinen, sie sei von
aussen her in den Bereich homerischer Dichtung hineingetragen
worden. Und wenn man sich der babylonischen Sage von Hasi-
sadra, der hebräischen von Henoch erinnert, die, ohne den Tod
zu schmecken, in ein Reich des ewigen Lebens, in den Himmel
oder "an das Ende der Ströme" zu den Göttern entrückt
werden 1), so könnte man wohl gar, einer gegenwärtig hie und

1) Hasisadras Entrückung: s. die Uebersetzung des babylonischen
Berichts bei Paul Haupt, Der keilinschriftl. Sintfluthbericht (L. 1881)
S. 17. 18. Die Ausdrücke der griechisch schreibenden Berichterstatter
sind völlig gleich den bei griechischen Entrückungssagen üblichen: genes-
thai aphane (ton Ksisouthron) meta ton theon oikesonta Berossus bei Syncell.
p. 55, 6. 11. Dind.; theoi min ex anthropon aphanizousin Abydenus bei
Syncell. p. 70, 13. Von Henoch: oukh eurisketo, oti metetheken auton o

Dichtung eingeführt, ein Held des troischen Kreises den nach
jenem Lande ewig ungetrübten Glückes Entrückten gesellt
wird. Die Verse sind, wie gesagt, in die Prophezeiung des
Proteus später eingelegt, und man wird wohl glauben müssen,
dass die ganze Vorstellung homerischen Sängern bis dahin
fern lag: schwerlich wäre doch die Blüthe der Heldenschaft,
selbst Achilleus, dem öden Schattenreich verfallen, in dem wir
sie, in der Nekyia der Odyssee, schweben sehen, wenn ein Aus-
weg in ein Leben frei vom Tode der Phantasie sich gezeigt
hätte schon damals, als die Sage von dem Ende der meisten
Helden durch die Dichtung festgestellt wurde. Den Menelaos,
über dessen Ende die Dichtung vom troischen Kriege und den
Abenteuern der Heimkehr noch nicht verfügt hatte, konnte
eben darum ein späterer Poet nach dem mittlerweile „ent-
deckten“ Lande der Hinkunft entrücken lassen. Es ist sehr
wahrscheinlich, dass selbst damals, als die Hadesfahrt des
Odysseus gedichtet wurde, diese, für die Entwicklung des grie-
chischen Unsterblichkeitsglaubens später so bedeutend gewor-
dene Phantasie eines verborgenen Aufenthaltes lebendig Ent-
rückter noch gar nicht ausgebildet war. Sie schliesst sich dem
in den homerischen Gedichten herrschenden Glauben ohne Zwang
an, aber sie wird durch diesen Glauben nicht mit Nothwendig-
keit gefordert. Man könnte daher wohl meinen, sie sei von
aussen her in den Bereich homerischer Dichtung hineingetragen
worden. Und wenn man sich der babylonischen Sage von Hasi-
sadra, der hebräischen von Henoch erinnert, die, ohne den Tod
zu schmecken, in ein Reich des ewigen Lebens, in den Himmel
oder „an das Ende der Ströme“ zu den Göttern entrückt
werden 1), so könnte man wohl gar, einer gegenwärtig hie und

1) Hasisadras Entrückung: s. die Uebersetzung des babylonischen
Berichts bei Paul Haupt, Der keilinschriftl. Sintfluthbericht (L. 1881)
S. 17. 18. Die Ausdrücke der griechisch schreibenden Berichterstatter
sind völlig gleich den bei griechischen Entrückungssagen üblichen: γενέσ-
ϑαι ἀφανῆ (τὸν Ξίσουϑρον) μετὰ τῶν ϑεῶν οἰκήσοντα Berossus bei Syncell.
p. 55, 6. 11. Dind.; ϑεοί μιν ἐξ ἀνϑρώπων ἀφανίζουσιν Abydenus bei
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[72/0088] Dichtung eingeführt, ein Held des troischen Kreises den nach jenem Lande ewig ungetrübten Glückes Entrückten gesellt wird. Die Verse sind, wie gesagt, in die Prophezeiung des Proteus später eingelegt, und man wird wohl glauben müssen, dass die ganze Vorstellung homerischen Sängern bis dahin fern lag: schwerlich wäre doch die Blüthe der Heldenschaft, selbst Achilleus, dem öden Schattenreich verfallen, in dem wir sie, in der Nekyia der Odyssee, schweben sehen, wenn ein Aus- weg in ein Leben frei vom Tode der Phantasie sich gezeigt hätte schon damals, als die Sage von dem Ende der meisten Helden durch die Dichtung festgestellt wurde. Den Menelaos, über dessen Ende die Dichtung vom troischen Kriege und den Abenteuern der Heimkehr noch nicht verfügt hatte, konnte eben darum ein späterer Poet nach dem mittlerweile „ent- deckten“ Lande der Hinkunft entrücken lassen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass selbst damals, als die Hadesfahrt des Odysseus gedichtet wurde, diese, für die Entwicklung des grie- chischen Unsterblichkeitsglaubens später so bedeutend gewor- dene Phantasie eines verborgenen Aufenthaltes lebendig Ent- rückter noch gar nicht ausgebildet war. Sie schliesst sich dem in den homerischen Gedichten herrschenden Glauben ohne Zwang an, aber sie wird durch diesen Glauben nicht mit Nothwendig- keit gefordert. Man könnte daher wohl meinen, sie sei von aussen her in den Bereich homerischer Dichtung hineingetragen worden. Und wenn man sich der babylonischen Sage von Hasi- sadra, der hebräischen von Henoch erinnert, die, ohne den Tod zu schmecken, in ein Reich des ewigen Lebens, in den Himmel oder „an das Ende der Ströme“ zu den Göttern entrückt werden 1), so könnte man wohl gar, einer gegenwärtig hie und 1) Hasisadras Entrückung: s. die Uebersetzung des babylonischen Berichts bei Paul Haupt, Der keilinschriftl. Sintfluthbericht (L. 1881) S. 17. 18. Die Ausdrücke der griechisch schreibenden Berichterstatter sind völlig gleich den bei griechischen Entrückungssagen üblichen: γενέσ- ϑαι ἀφανῆ (τὸν Ξίσουϑρον) μετὰ τῶν ϑεῶν οἰκήσοντα Berossus bei Syncell. p. 55, 6. 11. Dind.; ϑεοί μιν ἐξ ἀνϑρώπων ἀφανίζουσιν Abydenus bei Syncell. p. 70, 13. Von Henoch: οὐχ εὑρίσκετο, ὅτι μετέϑηκεν αὐτὸν ὁ

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/88>, abgerufen am 27.11.2024.