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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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die Angaben über die Verfehlung, die an dem schlauen Sisyphos
geahndet wird 1). Auf jeden Fall wird an allen Dreien Rache
genommen für Verletzungen der Götter selbst, deren Menschen
späterer Zeit gar nicht schuldig werden können; eben darum
haben ihre Thaten so gut wie ihre Strafen nichts Vorbildliches
und Typisches, beide stellen vielmehr völlig vereinzelte Aus-
nahmen dar, gerade dadurch sind sie dem Dichter merkwürdig.

Von irgend einer ganzen Classe von Lasterhaften, die im
Hades bestraft würden, weiss die Dichtung von der Hades-
fahrt des Odysseus nichts, auch nicht in ihren jüngsten Theilen.
Sie hätte sich sogar noch an ächt homerische Andeutungen
halten können, wenn sie wenigstens die unterweltlichen Strafen
der Meineidigen erwähnt hätte. Zweimal werden in der
Ilias bei feierlichen Eidschwüren neben Göttern der Oberwelt

1) Als Grund der Strafe des Sisyphos geben Apollod. bibl. 1, 9, 3, 2;
Schol. Il. A 180 (p. 18 b, 23 ff. Bekk.) an, dass er dem Asopos den
Raub seiner Tochter Aegina durch Zeus verrathen habe. Auf sicherer
Sagenüberlieferung beruht dies nicht: eine andere Erzählung knüpft an
jenen Verrath das Märchen von der Ueberlistung des Todes, dann des
Hades selbst durch Sisyphos, und lässt dann erst den wieder dem Hades
verfallenen Sisyphos mit der Aufgabe des fruchtlosen Steinwälzens be-
straft werden. So Schol. Il. Z 153 mit Berufung auf Pherekydes. Dies
Märchen von der zwiefachen Ueberlistung der Todesmächte ist (so gut
wie das entsprechende Märchen vom Spielhansel: Grimm, K. M. 82 mit
den Anm. III p. 131 ff.) offenbar scherzhaft gemeint (und, wie es scheint,
scherzhaft behandelt von Aeschylus in dem Satyrdrama Sisuphos drapetes):
wenn hieran die Steinwälzung angeknüpft wird, so sollte schon dies war-
nen, dieser einen allzu bitterlich ernsthaften und erbaulichen Sinn, mit
Welcker und Anhängern, anzudichten. Dass Sisyphos seines listigen
Sinnes wegen zu Nutz und Lehr der Schlauen wie der Braven bestraft
werde, ist ein ganz unantiker Gedanke. Dass er Il. 6, 153 kerdistos an-
dron heisst, ist ein Lob, nicht ein Tadel: wie Aristarch sehr richtig,
und mit deutlicher anaphora auf den Vers der Nekyia, feststellte (s. Schol.
Il. Z 153, K 44 [Lehrs, Arist. 3 p. 117] und Od. l 593); dass dies Bei-
wort to kakotropon des Sis. bezeichne, ist nur ein Missverständniss des
Porphyrius, Schol. l 385. Wie wenig man, auch mit der homerischen
Schilderung im Kopfe, den Sisyphos als einen Verworfenen dachte, zeigt
der Platonische Sokrates, der sich (Apol. 41 C) darauf freut, im Hades
u. A. auch den Sisyphos anzutreffen. Einer erwecklichen Auslegung des
Abschnittes von den drei "Büssern", an die der Dichter selbst gar nicht
gedacht hat, macht Sisyphos die grössten Schwierigkeiten.

die Angaben über die Verfehlung, die an dem schlauen Sisyphos
geahndet wird 1). Auf jeden Fall wird an allen Dreien Rache
genommen für Verletzungen der Götter selbst, deren Menschen
späterer Zeit gar nicht schuldig werden können; eben darum
haben ihre Thaten so gut wie ihre Strafen nichts Vorbildliches
und Typisches, beide stellen vielmehr völlig vereinzelte Aus-
nahmen dar, gerade dadurch sind sie dem Dichter merkwürdig.

Von irgend einer ganzen Classe von Lasterhaften, die im
Hades bestraft würden, weiss die Dichtung von der Hades-
fahrt des Odysseus nichts, auch nicht in ihren jüngsten Theilen.
Sie hätte sich sogar noch an ächt homerische Andeutungen
halten können, wenn sie wenigstens die unterweltlichen Strafen
der Meineidigen erwähnt hätte. Zweimal werden in der
Ilias bei feierlichen Eidschwüren neben Göttern der Oberwelt

1) Als Grund der Strafe des Sisyphos geben Apollod. bibl. 1, 9, 3, 2;
Schol. Il. A 180 (p. 18 b, 23 ff. Bekk.) an, dass er dem Asopos den
Raub seiner Tochter Aegina durch Zeus verrathen habe. Auf sicherer
Sagenüberlieferung beruht dies nicht: eine andere Erzählung knüpft an
jenen Verrath das Märchen von der Ueberlistung des Todes, dann des
Hades selbst durch Sisyphos, und lässt dann erst den wieder dem Hades
verfallenen Sisyphos mit der Aufgabe des fruchtlosen Steinwälzens be-
straft werden. So Schol. Il. Z 153 mit Berufung auf Pherekydes. Dies
Märchen von der zwiefachen Ueberlistung der Todesmächte ist (so gut
wie das entsprechende Märchen vom Spielhansel: Grimm, K. M. 82 mit
den Anm. III p. 131 ff.) offenbar scherzhaft gemeint (und, wie es scheint,
scherzhaft behandelt von Aeschylus in dem Satyrdrama Σίσυφος δραπέτης):
wenn hieran die Steinwälzung angeknüpft wird, so sollte schon dies war-
nen, dieser einen allzu bitterlich ernsthaften und erbaulichen Sinn, mit
Welcker und Anhängern, anzudichten. Dass Sisyphos seines listigen
Sinnes wegen zu Nutz und Lehr der Schlauen wie der Braven bestraft
werde, ist ein ganz unantiker Gedanke. Dass er Il. 6, 153 κέρδιστος ἀν-
δρῶν heisst, ist ein Lob, nicht ein Tadel: wie Aristarch sehr richtig,
und mit deutlicher ἀναφορά auf den Vers der Nekyia, feststellte (s. Schol.
Il. Z 153, K 44 [Lehrs, Arist. 3 p. 117] und Od. λ 593); dass dies Bei-
wort τὸ κακότροπον des Sis. bezeichne, ist nur ein Missverständniss des
Porphyrius, Schol. λ 385. Wie wenig man, auch mit der homerischen
Schilderung im Kopfe, den Sisyphos als einen Verworfenen dachte, zeigt
der Platonische Sokrates, der sich (Apol. 41 C) darauf freut, im Hades
u. A. auch den Sisyphos anzutreffen. Einer erwecklichen Auslegung des
Abschnittes von den drei „Büssern“, an die der Dichter selbst gar nicht
gedacht hat, macht Sisyphos die grössten Schwierigkeiten.
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[59/0075] die Angaben über die Verfehlung, die an dem schlauen Sisyphos geahndet wird 1). Auf jeden Fall wird an allen Dreien Rache genommen für Verletzungen der Götter selbst, deren Menschen späterer Zeit gar nicht schuldig werden können; eben darum haben ihre Thaten so gut wie ihre Strafen nichts Vorbildliches und Typisches, beide stellen vielmehr völlig vereinzelte Aus- nahmen dar, gerade dadurch sind sie dem Dichter merkwürdig. Von irgend einer ganzen Classe von Lasterhaften, die im Hades bestraft würden, weiss die Dichtung von der Hades- fahrt des Odysseus nichts, auch nicht in ihren jüngsten Theilen. Sie hätte sich sogar noch an ächt homerische Andeutungen halten können, wenn sie wenigstens die unterweltlichen Strafen der Meineidigen erwähnt hätte. Zweimal werden in der Ilias bei feierlichen Eidschwüren neben Göttern der Oberwelt 1) Als Grund der Strafe des Sisyphos geben Apollod. bibl. 1, 9, 3, 2; Schol. Il. A 180 (p. 18 b, 23 ff. Bekk.) an, dass er dem Asopos den Raub seiner Tochter Aegina durch Zeus verrathen habe. Auf sicherer Sagenüberlieferung beruht dies nicht: eine andere Erzählung knüpft an jenen Verrath das Märchen von der Ueberlistung des Todes, dann des Hades selbst durch Sisyphos, und lässt dann erst den wieder dem Hades verfallenen Sisyphos mit der Aufgabe des fruchtlosen Steinwälzens be- straft werden. So Schol. Il. Z 153 mit Berufung auf Pherekydes. Dies Märchen von der zwiefachen Ueberlistung der Todesmächte ist (so gut wie das entsprechende Märchen vom Spielhansel: Grimm, K. M. 82 mit den Anm. III p. 131 ff.) offenbar scherzhaft gemeint (und, wie es scheint, scherzhaft behandelt von Aeschylus in dem Satyrdrama Σίσυφος δραπέτης): wenn hieran die Steinwälzung angeknüpft wird, so sollte schon dies war- nen, dieser einen allzu bitterlich ernsthaften und erbaulichen Sinn, mit Welcker und Anhängern, anzudichten. Dass Sisyphos seines listigen Sinnes wegen zu Nutz und Lehr der Schlauen wie der Braven bestraft werde, ist ein ganz unantiker Gedanke. Dass er Il. 6, 153 κέρδιστος ἀν- δρῶν heisst, ist ein Lob, nicht ein Tadel: wie Aristarch sehr richtig, und mit deutlicher ἀναφορά auf den Vers der Nekyia, feststellte (s. Schol. Il. Z 153, K 44 [Lehrs, Arist. 3 p. 117] und Od. λ 593); dass dies Bei- wort τὸ κακότροπον des Sis. bezeichne, ist nur ein Missverständniss des Porphyrius, Schol. λ 385. Wie wenig man, auch mit der homerischen Schilderung im Kopfe, den Sisyphos als einen Verworfenen dachte, zeigt der Platonische Sokrates, der sich (Apol. 41 C) darauf freut, im Hades u. A. auch den Sisyphos anzutreffen. Einer erwecklichen Auslegung des Abschnittes von den drei „Büssern“, an die der Dichter selbst gar nicht gedacht hat, macht Sisyphos die grössten Schwierigkeiten.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/75>, abgerufen am 27.11.2024.