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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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wäre nur um so bemerkenswerther, wie er, den Ursprung seiner
Schilderung verwischend, als correcter Homeriker jeden Ge-
danken an die Möglichkeit, die Seelen der Verstorbenen, als
wären sie den Wohnungen der Lebenden noch nahe, herauf
an's Licht der Sonne zu locken, streng fern hält 1). Er weiss
nur von Einem allgemeinen Reiche der Todten, fern im dunklen
Westen, jenseits der Meere und des Oceans, der Held des
Märchens kann wohl bis an seinen Eingang dringen, aber eben
nur dort kann er mit den Seelen in Verkehr treten, denn nie-
mals giebt das Haus des Hades seine Bewohner frei.

Hiermit ist nun freilich unverträglich das Opfer, das der
Dichter, man kann kaum anders sagen als gedankenlos, den
Odysseus allen Todten und dem Tiresias im Besonderen ge-
loben lässt, wenn er nach Hause zurückgekehrt sein werde
(Od. 10, 521--526; 11, 29--33). Was soll den Todten das
Opfer einer unfruchtbaren Kuh und die Verbrennung von
"Gutem" auf einem Scheiterhaufen, dem Tiresias die Schlach-
tung eines schwarzen Schafes, fern in Ithaka, wenn sie doch
in den Erebos gebannt sind, und der Genuss des Opfers ihnen
unmöglich ist? Hier haben wir das merkwürdigste und be-
deutendste aller Rudimente alten Seelencultes vor uns, welches
ganz unwidersprechlich beweist, dass in vorhomerischer Zeit der
Glaube bestand, dass auch nach der Bestattung des Leibes die
Seele nicht für ewig verbannt sei in ein unerreichbares Schatten-
reich, sondern dem Opfernden sich nahen, am Opfer sich laben
könne, so gut wie die Götter. Eine einzige dunkle Hindeutung
in der Ilias 2) lässt uns erkennen, was hier viel deutlicher

in Herodots bekanntem Berichte zuerst entgegentritt, beweist noch keines-
wegs, dass dieses nun eben das älteste solcher Orakel gewesen sei.
1) So liesse sich etwa Lobecks Leugnung jeder Kenntniss von
Seelenbeschwörung in den homerischen Gedichten (Agl. 316) modificiren
und modificirt festhalten.
2) Il. 24, 592 ff. Achill, den todten Patroklos anredend: | me moi,
Patrokle, skudmainemen, ai ke putheai | ein Aidos per eon oti Ektora dion
elusa | patri philo, epei ou moi aeikea doken apoina. | soi d au ego kai tond
apodassomai oss epeoiken. | Die Möglichkeit, dass der Todte im Hades noch

wäre nur um so bemerkenswerther, wie er, den Ursprung seiner
Schilderung verwischend, als correcter Homeriker jeden Ge-
danken an die Möglichkeit, die Seelen der Verstorbenen, als
wären sie den Wohnungen der Lebenden noch nahe, herauf
an’s Licht der Sonne zu locken, streng fern hält 1). Er weiss
nur von Einem allgemeinen Reiche der Todten, fern im dunklen
Westen, jenseits der Meere und des Oceans, der Held des
Märchens kann wohl bis an seinen Eingang dringen, aber eben
nur dort kann er mit den Seelen in Verkehr treten, denn nie-
mals giebt das Haus des Hades seine Bewohner frei.

Hiermit ist nun freilich unverträglich das Opfer, das der
Dichter, man kann kaum anders sagen als gedankenlos, den
Odysseus allen Todten und dem Tiresias im Besonderen ge-
loben lässt, wenn er nach Hause zurückgekehrt sein werde
(Od. 10, 521—526; 11, 29—33). Was soll den Todten das
Opfer einer unfruchtbaren Kuh und die Verbrennung von
„Gutem“ auf einem Scheiterhaufen, dem Tiresias die Schlach-
tung eines schwarzen Schafes, fern in Ithaka, wenn sie doch
in den Erebos gebannt sind, und der Genuss des Opfers ihnen
unmöglich ist? Hier haben wir das merkwürdigste und be-
deutendste aller Rudimente alten Seelencultes vor uns, welches
ganz unwidersprechlich beweist, dass in vorhomerischer Zeit der
Glaube bestand, dass auch nach der Bestattung des Leibes die
Seele nicht für ewig verbannt sei in ein unerreichbares Schatten-
reich, sondern dem Opfernden sich nahen, am Opfer sich laben
könne, so gut wie die Götter. Eine einzige dunkle Hindeutung
in der Ilias 2) lässt uns erkennen, was hier viel deutlicher

in Herodots bekanntem Berichte zuerst entgegentritt, beweist noch keines-
wegs, dass dieses nun eben das älteste solcher Orakel gewesen sei.
1) So liesse sich etwa Lobecks Leugnung jeder Kenntniss von
Seelenbeschwörung in den homerischen Gedichten (Agl. 316) modificiren
und modificirt festhalten.
2) Il. 24, 592 ff. Achill, den todten Patroklos anredend: | μή μοι,
Πάτροκλε, σκυδμαινέμεν, αἴ κε πύϑηαι | εἰν Ἄϊδός περ ἐὼν ὅτι Ἕκτορα δῖον
ἔλυσα | πατρὶ φίλῳ, ἐπεὶ οὔ μοι ἀεικέα δῶκεν ἄποινα. | σοὶ δ̕ αὖ ἐγὼ καὶ τῶνδ̕
ἀποδάσσομαι ὅσσ̕ ἐπέοικεν. | Die Möglichkeit, dass der Todte im Hades noch
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[54/0070] wäre nur um so bemerkenswerther, wie er, den Ursprung seiner Schilderung verwischend, als correcter Homeriker jeden Ge- danken an die Möglichkeit, die Seelen der Verstorbenen, als wären sie den Wohnungen der Lebenden noch nahe, herauf an’s Licht der Sonne zu locken, streng fern hält 1). Er weiss nur von Einem allgemeinen Reiche der Todten, fern im dunklen Westen, jenseits der Meere und des Oceans, der Held des Märchens kann wohl bis an seinen Eingang dringen, aber eben nur dort kann er mit den Seelen in Verkehr treten, denn nie- mals giebt das Haus des Hades seine Bewohner frei. Hiermit ist nun freilich unverträglich das Opfer, das der Dichter, man kann kaum anders sagen als gedankenlos, den Odysseus allen Todten und dem Tiresias im Besonderen ge- loben lässt, wenn er nach Hause zurückgekehrt sein werde (Od. 10, 521—526; 11, 29—33). Was soll den Todten das Opfer einer unfruchtbaren Kuh und die Verbrennung von „Gutem“ auf einem Scheiterhaufen, dem Tiresias die Schlach- tung eines schwarzen Schafes, fern in Ithaka, wenn sie doch in den Erebos gebannt sind, und der Genuss des Opfers ihnen unmöglich ist? Hier haben wir das merkwürdigste und be- deutendste aller Rudimente alten Seelencultes vor uns, welches ganz unwidersprechlich beweist, dass in vorhomerischer Zeit der Glaube bestand, dass auch nach der Bestattung des Leibes die Seele nicht für ewig verbannt sei in ein unerreichbares Schatten- reich, sondern dem Opfernden sich nahen, am Opfer sich laben könne, so gut wie die Götter. Eine einzige dunkle Hindeutung in der Ilias 2) lässt uns erkennen, was hier viel deutlicher 1) 1) So liesse sich etwa Lobecks Leugnung jeder Kenntniss von Seelenbeschwörung in den homerischen Gedichten (Agl. 316) modificiren und modificirt festhalten. 2) Il. 24, 592 ff. Achill, den todten Patroklos anredend: | μή μοι, Πάτροκλε, σκυδμαινέμεν, αἴ κε πύϑηαι | εἰν Ἄϊδός περ ἐὼν ὅτι Ἕκτορα δῖον ἔλυσα | πατρὶ φίλῳ, ἐπεὶ οὔ μοι ἀεικέα δῶκεν ἄποινα. | σοὶ δ̕ αὖ ἐγὼ καὶ τῶνδ̕ ἀποδάσσομαι ὅσσ̕ ἐπέοικεν. | Die Möglichkeit, dass der Todte im Hades noch 1) in Herodots bekanntem Berichte zuerst entgegentritt, beweist noch keines- wegs, dass dieses nun eben das älteste solcher Orakel gewesen sei.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/70>, abgerufen am 24.11.2024.