Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

irdischen Gottheiten, wie ihn die Mysterien des Staates und
einzelner religiösen Genossenschaften pflegten, erheblich mit-
gewirkt haben; sowie andererseits die Ueberzeugung, dass auch
noch im Jenseits die strafende und lohnende Gewalt der Gott-
heit empfunden werde, diesen Mysterien, die eben für das Leben
im Jenseits ihre Hilfe und Vermittlung anboten, ununterbrochen
Theilnehmer zuführte. Das Genauere von diesen, aller Er-
fahrung entzogenen Geheimnissen können nur diejenigen zu
wissen überzeugt gewesen sein, die sich der Dogmatik einer
geschlossenen Secte gefangen geben mochten. Ob die gräu-
lichen Phantasieen von einem Straforte im Hades, seinen ewigen
Qualen im lodernden Feuer und was sonst an ähnlichen Vor-
stellungen bei späteren Autoren bisweilen auftaucht, jemals
mehr als Wahngebilde, mit denen enge Conventikel ihre An-
gehörigen schreckten, gewesen sind, darf man bezweifeln 1). Die

tous adikous kai geron axiothesesthai tous dikaious dogma (bei Orig. adv.
Cels.
3, 16 p. 270 Lomm.). -- Andrerseits ist für die Stimmung der sehr
"weltlichen" griechisch-römischen Gesellschaft, die am Ende des letzten
Jahrhunderts vor Chr. das Wort führte, bezeichnend, dass bei Cicero, am
Ende des Werkes de natura deorum (3, 81 ff.), unter den verschiedenen
Mitteln, eine Ausgleichung von Schuld und Strafe, Tugend und Belohnung
in menschlichen Lebensverhältnissen aufzuspüren, der Glaube an eine
endliche Vergeltung und Ausgleichung nach dem Tode gar nicht in Be-
tracht gezogen wird (sondern u. a. nur der Glaube an Bestrafung der Ver-
gehen der Väter an den Nachkommen auf Erden [§ 90 ff.], jener alte
Glaube der Griechen [s. oben p. 520, 1], der den Ausblick in ein Jenseits
ausschliesst). Von Cicero zu Celsus hatte sich die Stimmung der Men-
schen schon stark gewandelt; man weiss das ja aus tausend Anzeichen.
Auch das Jenseits sah man wohl im 2. Jahrh. bereits in anderem Lichte,
als zweihundert Jahre früher.
1) timoriai aionioi upo gen kai kolasmoi phrikodeis von Manchen nach
dem Tode erwartet (während andre im Tode nur eine agathon steresis
sehen): Plut. virt. moral. 10; 450 A. Grässliche Martern im kolasterion
des Hades, Feuer und Geisselung u. s. w.: Luc. Necyom. 14 (noch ge-
steigert in Plutarch's Hadesgemälden, de gen. Socr. und de s. num. vind.)
Feuer und Pech und Schwefel (s. Ettig., Acherunt. 340, 4) gehören zum
stehenden Apparat dieses Ortes der Qual; schon im Axiochos 372 A wer-
den die Sünder aidiois timoriais mit brennenden Fackeln gesengt (Vgl.
Lehrs, Popul. Aufs. 308 ff.). Wie weit solche (den christlichen Höllen-
malern z. Th. aus antiker Ueberlieferung sehr vertraut gewordene [vgl.
Rohde, Seelencult. 42

irdischen Gottheiten, wie ihn die Mysterien des Staates und
einzelner religiösen Genossenschaften pflegten, erheblich mit-
gewirkt haben; sowie andererseits die Ueberzeugung, dass auch
noch im Jenseits die strafende und lohnende Gewalt der Gott-
heit empfunden werde, diesen Mysterien, die eben für das Leben
im Jenseits ihre Hilfe und Vermittlung anboten, ununterbrochen
Theilnehmer zuführte. Das Genauere von diesen, aller Er-
fahrung entzogenen Geheimnissen können nur diejenigen zu
wissen überzeugt gewesen sein, die sich der Dogmatik einer
geschlossenen Secte gefangen geben mochten. Ob die gräu-
lichen Phantasieen von einem Straforte im Hades, seinen ewigen
Qualen im lodernden Feuer und was sonst an ähnlichen Vor-
stellungen bei späteren Autoren bisweilen auftaucht, jemals
mehr als Wahngebilde, mit denen enge Conventikel ihre An-
gehörigen schreckten, gewesen sind, darf man bezweifeln 1). Die

τοὺς ἀδίκους καὶ γερῶν ἀξιωϑήσεσϑαι τοὺς δικαίους δόγμα (bei Orig. adv.
Cels.
3, 16 p. 270 Lomm.). — Andrerseits ist für die Stimmung der sehr
„weltlichen“ griechisch-römischen Gesellschaft, die am Ende des letzten
Jahrhunderts vor Chr. das Wort führte, bezeichnend, dass bei Cicero, am
Ende des Werkes de natura deorum (3, 81 ff.), unter den verschiedenen
Mitteln, eine Ausgleichung von Schuld und Strafe, Tugend und Belohnung
in menschlichen Lebensverhältnissen aufzuspüren, der Glaube an eine
endliche Vergeltung und Ausgleichung nach dem Tode gar nicht in Be-
tracht gezogen wird (sondern u. a. nur der Glaube an Bestrafung der Ver-
gehen der Väter an den Nachkommen auf Erden [§ 90 ff.], jener alte
Glaube der Griechen [s. oben p. 520, 1], der den Ausblick in ein Jenseits
ausschliesst). Von Cicero zu Celsus hatte sich die Stimmung der Men-
schen schon stark gewandelt; man weiss das ja aus tausend Anzeichen.
Auch das Jenseits sah man wohl im 2. Jahrh. bereits in anderem Lichte,
als zweihundert Jahre früher.
1) τιμωρίαι αἰώνιοι ὑπὸ γῆν καὶ κολασμοὶ φρικώδεις von Manchen nach
dem Tode erwartet (während andre im Tode nur eine ἀγαϑῶν στέρησις
sehen): Plut. virt. moral. 10; 450 A. Grässliche Martern im κολαστήριον
des Hades, Feuer und Geisselung u. s. w.: Luc. Necyom. 14 (noch ge-
steigert in Plutarch’s Hadesgemälden, de gen. Socr. und de s. num. vind.)
Feuer und Pech und Schwefel (s. Ettig., Acherunt. 340, 4) gehören zum
stehenden Apparat dieses Ortes der Qual; schon im Axiochos 372 A wer-
den die Sünder ἀιδίοις τιμωρίαις mit brennenden Fackeln gesengt (Vgl.
Lehrs, Popul. Aufs. 308 ff.). Wie weit solche (den christlichen Höllen-
malern z. Th. aus antiker Ueberlieferung sehr vertraut gewordene [vgl.
Rohde, Seelencult. 42
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0673" n="657"/>
irdischen Gottheiten, wie ihn die Mysterien des Staates und<lb/>
einzelner religiösen Genossenschaften pflegten, erheblich mit-<lb/>
gewirkt haben; sowie andererseits die Ueberzeugung, dass auch<lb/>
noch im Jenseits die strafende und lohnende Gewalt der Gott-<lb/>
heit empfunden werde, diesen Mysterien, die eben für das Leben<lb/>
im Jenseits ihre Hilfe und Vermittlung anboten, ununterbrochen<lb/>
Theilnehmer zuführte. Das Genauere von diesen, aller Er-<lb/>
fahrung entzogenen Geheimnissen können nur diejenigen zu<lb/>
wissen überzeugt gewesen sein, die sich der Dogmatik einer<lb/>
geschlossenen Secte gefangen geben mochten. Ob die gräu-<lb/>
lichen Phantasieen von einem Straforte im Hades, seinen ewigen<lb/>
Qualen im lodernden Feuer und was sonst an ähnlichen Vor-<lb/>
stellungen bei späteren Autoren bisweilen auftaucht, jemals<lb/>
mehr als Wahngebilde, mit denen enge Conventikel ihre An-<lb/>
gehörigen schreckten, gewesen sind, darf man bezweifeln <note xml:id="seg2pn_233_1" next="#seg2pn_233_2" place="foot" n="1)">&#x03C4;&#x03B9;&#x03BC;&#x03C9;&#x03C1;&#x03AF;&#x03B1;&#x03B9; &#x03B1;&#x1F30;&#x03CE;&#x03BD;&#x03B9;&#x03BF;&#x03B9; &#x1F51;&#x03C0;&#x1F78; &#x03B3;&#x1FC6;&#x03BD; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03BA;&#x03BF;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C3;&#x03BC;&#x03BF;&#x1F76; &#x03C6;&#x03C1;&#x03B9;&#x03BA;&#x03CE;&#x03B4;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C2; von Manchen nach<lb/>
dem Tode erwartet (während andre im Tode nur eine &#x1F00;&#x03B3;&#x03B1;&#x03D1;&#x1FF6;&#x03BD; &#x03C3;&#x03C4;&#x03AD;&#x03C1;&#x03B7;&#x03C3;&#x03B9;&#x03C2;<lb/>
sehen): Plut. <hi rendition="#i">virt. moral.</hi> 10; 450 A. Grässliche Martern im &#x03BA;&#x03BF;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C3;&#x03C4;&#x03AE;&#x03C1;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BD;<lb/>
des Hades, Feuer und Geisselung u. s. w.: Luc. <hi rendition="#i">Necyom.</hi> 14 (noch ge-<lb/>
steigert in Plutarch&#x2019;s Hadesgemälden, <hi rendition="#i">de gen. Socr.</hi> und <hi rendition="#i">de s. num. vind.</hi>)<lb/>
Feuer und Pech und Schwefel (s. Ettig., <hi rendition="#i">Acherunt.</hi> 340, 4) gehören zum<lb/>
stehenden Apparat dieses Ortes der Qual; schon im <hi rendition="#i">Axiochos</hi> 372 A wer-<lb/>
den die Sünder &#x1F00;&#x03B9;&#x03B4;&#x03AF;&#x03BF;&#x03B9;&#x03C2; &#x03C4;&#x03B9;&#x03BC;&#x03C9;&#x03C1;&#x03AF;&#x03B1;&#x03B9;&#x03C2; mit brennenden Fackeln gesengt (Vgl.<lb/>
Lehrs, <hi rendition="#i">Popul. Aufs.</hi> 308 ff.). Wie weit solche (den christlichen Höllen-<lb/>
malern z. Th. aus antiker Ueberlieferung sehr vertraut gewordene [vgl.</note>. Die<lb/><note xml:id="seg2pn_232_2" prev="#seg2pn_232_1" place="foot" n="2)">&#x03C4;&#x03BF;&#x1F7A;&#x03C2; &#x1F00;&#x03B4;&#x03AF;&#x03BA;&#x03BF;&#x03C5;&#x03C2; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03B3;&#x03B5;&#x03C1;&#x1FF6;&#x03BD; &#x1F00;&#x03BE;&#x03B9;&#x03C9;&#x03D1;&#x03AE;&#x03C3;&#x03B5;&#x03C3;&#x03D1;&#x03B1;&#x03B9; &#x03C4;&#x03BF;&#x1F7A;&#x03C2; &#x03B4;&#x03B9;&#x03BA;&#x03B1;&#x03AF;&#x03BF;&#x03C5;&#x03C2; &#x03B4;&#x03CC;&#x03B3;&#x03BC;&#x03B1; (bei Orig. <hi rendition="#i">adv.<lb/>
Cels.</hi> 3, 16 p. 270 Lomm.). &#x2014; Andrerseits ist für die Stimmung der sehr<lb/>
&#x201E;weltlichen&#x201C; griechisch-römischen Gesellschaft, die am Ende des letzten<lb/>
Jahrhunderts vor Chr. das Wort führte, bezeichnend, dass bei Cicero, am<lb/>
Ende des Werkes <hi rendition="#i">de natura deorum</hi> (3, 81 ff.), unter den verschiedenen<lb/>
Mitteln, eine Ausgleichung von Schuld und Strafe, Tugend und Belohnung<lb/>
in menschlichen Lebensverhältnissen aufzuspüren, der Glaube an eine<lb/>
endliche Vergeltung und Ausgleichung nach dem Tode gar nicht in Be-<lb/>
tracht gezogen wird (sondern u. a. nur der Glaube an Bestrafung der Ver-<lb/>
gehen der Väter an den Nachkommen auf Erden [§ 90 ff.], jener alte<lb/>
Glaube der Griechen [s. oben p. 520, 1], der den Ausblick in ein Jenseits<lb/>
ausschliesst). Von Cicero zu Celsus hatte sich die Stimmung der Men-<lb/>
schen schon stark gewandelt; man weiss das ja aus tausend Anzeichen.<lb/>
Auch das Jenseits sah man wohl im 2. Jahrh. bereits in anderem Lichte,<lb/>
als zweihundert Jahre früher.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Rohde,</hi> Seelencult. 42</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[657/0673] irdischen Gottheiten, wie ihn die Mysterien des Staates und einzelner religiösen Genossenschaften pflegten, erheblich mit- gewirkt haben; sowie andererseits die Ueberzeugung, dass auch noch im Jenseits die strafende und lohnende Gewalt der Gott- heit empfunden werde, diesen Mysterien, die eben für das Leben im Jenseits ihre Hilfe und Vermittlung anboten, ununterbrochen Theilnehmer zuführte. Das Genauere von diesen, aller Er- fahrung entzogenen Geheimnissen können nur diejenigen zu wissen überzeugt gewesen sein, die sich der Dogmatik einer geschlossenen Secte gefangen geben mochten. Ob die gräu- lichen Phantasieen von einem Straforte im Hades, seinen ewigen Qualen im lodernden Feuer und was sonst an ähnlichen Vor- stellungen bei späteren Autoren bisweilen auftaucht, jemals mehr als Wahngebilde, mit denen enge Conventikel ihre An- gehörigen schreckten, gewesen sind, darf man bezweifeln 1). Die 2) 1) τιμωρίαι αἰώνιοι ὑπὸ γῆν καὶ κολασμοὶ φρικώδεις von Manchen nach dem Tode erwartet (während andre im Tode nur eine ἀγαϑῶν στέρησις sehen): Plut. virt. moral. 10; 450 A. Grässliche Martern im κολαστήριον des Hades, Feuer und Geisselung u. s. w.: Luc. Necyom. 14 (noch ge- steigert in Plutarch’s Hadesgemälden, de gen. Socr. und de s. num. vind.) Feuer und Pech und Schwefel (s. Ettig., Acherunt. 340, 4) gehören zum stehenden Apparat dieses Ortes der Qual; schon im Axiochos 372 A wer- den die Sünder ἀιδίοις τιμωρίαις mit brennenden Fackeln gesengt (Vgl. Lehrs, Popul. Aufs. 308 ff.). Wie weit solche (den christlichen Höllen- malern z. Th. aus antiker Ueberlieferung sehr vertraut gewordene [vgl. 2) τοὺς ἀδίκους καὶ γερῶν ἀξιωϑήσεσϑαι τοὺς δικαίους δόγμα (bei Orig. adv. Cels. 3, 16 p. 270 Lomm.). — Andrerseits ist für die Stimmung der sehr „weltlichen“ griechisch-römischen Gesellschaft, die am Ende des letzten Jahrhunderts vor Chr. das Wort führte, bezeichnend, dass bei Cicero, am Ende des Werkes de natura deorum (3, 81 ff.), unter den verschiedenen Mitteln, eine Ausgleichung von Schuld und Strafe, Tugend und Belohnung in menschlichen Lebensverhältnissen aufzuspüren, der Glaube an eine endliche Vergeltung und Ausgleichung nach dem Tode gar nicht in Be- tracht gezogen wird (sondern u. a. nur der Glaube an Bestrafung der Ver- gehen der Väter an den Nachkommen auf Erden [§ 90 ff.], jener alte Glaube der Griechen [s. oben p. 520, 1], der den Ausblick in ein Jenseits ausschliesst). Von Cicero zu Celsus hatte sich die Stimmung der Men- schen schon stark gewandelt; man weiss das ja aus tausend Anzeichen. Auch das Jenseits sah man wohl im 2. Jahrh. bereits in anderem Lichte, als zweihundert Jahre früher. Rohde, Seelencult. 42

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/673
Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/673>, abgerufen am 24.11.2024.