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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Heroencultes entwachsen zu sein, dass man, an immer gestei-
gerten Ueberschwang der Verehrung Mächtiger und Gütiger
überhaupt gewöhnt, die Zahl der Heroen aus den Menschen
des gegenwärtigen Lebens zu vermehren lebhaft geneigt blieb.
Selbst der Tod des Gefeierten wird nicht immer abgewartet,
um ihn als "Heros" zu begrüssen; schon bei Lebzeiten sollte
er einen Vorschmack der Verehrung geniessen, die ihm nach
seinem Abscheiden bestimmt war. So war schon Lysander einst
von den Griechen, die er von Athens Uebermacht erlöst hatte,
nach seinem Siege als Heros gefeiert worden; so in hellenisti-
scher Zeit mancher glückliche Heerführer und mächtige König,
von Römern zuerst der Griechenfreund Flamininus 1). Dieser
Missbrauch des, auf Lebende angewendeten Heroencultes dehnt
sich weiter aus 2). Bisweilen mag wirkliche Verehrung hoher
Verdienste dem beweglichen Sinne griechischen Volkes den
Antrieb gegeben haben. Zuletzt aber wurde es eine fast ge-
dankenlos geübte Gewöhnung, selbst Privatpersonen bei Leb-
zeiten mit dem Heroentitel auszuzeichnen 3), heroische Ehren,
wohl gar die Stiftung jährlich zu wiederholender Wettspiele,
Lebenden zu widmen 4).

1) Vgl. Keil Anal. epigr. 62.
2) Cult des Königs Lysimachos bei Lebzeiten: auf Samothrake,
Dittenberger, Syll. 138. (Archäol. Unters. auf Samothr. II 85, A. 2). Heroi-
sirung des Diogenes, Phrurarchen des Demetrios, der 229, von Arat be-
stochen, die macedonische Besatzung aus Attika führte. (Köhler, Hermes
7, 1 ff.) -- uper tas Nikia tou damou uiou, philopatridos, eroos, euergeta
de tas polios, soterias eine Widmung theois patroois; Inscr. of Cos 76.
Gesetzt bei Lebzeiten (woher sonst soterias?) des "Heros", der vielleicht
(wie die Herausgeber vermuthen) identisch ist mit dem Tyrannen von
Kos, Nikias, aus Strabo's Zeit (Strab. 14, 658. Perizonius zu Aelian. var.
hist.
1, 29).
3) eros von einem Lebenden auf Inss. der Kaiserzeit bisweilen.
C. I. Gr. 2583 (Lyttos, Kreta) 3665 (eroIne, lebend. Kyzikos, 2. Jahrh.)
Athen. Mittheil. 6, 121 (ebenfalls Kyzikos): ipparkhountos Kleomenous eroos,
jedenfalls ja bei Lebzeiten.
4) Als Demetrios Poliork. 303 Sikyon erobert und umbaut, widmen
ihm bei Lebzeiten die Bürger der nun "Demetrias" genannten Stadt, als
ktiste, Opfer, Feste und alljährliche agones. ("alla tauta men o khronos

Heroencultes entwachsen zu sein, dass man, an immer gestei-
gerten Ueberschwang der Verehrung Mächtiger und Gütiger
überhaupt gewöhnt, die Zahl der Heroen aus den Menschen
des gegenwärtigen Lebens zu vermehren lebhaft geneigt blieb.
Selbst der Tod des Gefeierten wird nicht immer abgewartet,
um ihn als „Heros“ zu begrüssen; schon bei Lebzeiten sollte
er einen Vorschmack der Verehrung geniessen, die ihm nach
seinem Abscheiden bestimmt war. So war schon Lysander einst
von den Griechen, die er von Athens Uebermacht erlöst hatte,
nach seinem Siege als Heros gefeiert worden; so in hellenisti-
scher Zeit mancher glückliche Heerführer und mächtige König,
von Römern zuerst der Griechenfreund Flamininus 1). Dieser
Missbrauch des, auf Lebende angewendeten Heroencultes dehnt
sich weiter aus 2). Bisweilen mag wirkliche Verehrung hoher
Verdienste dem beweglichen Sinne griechischen Volkes den
Antrieb gegeben haben. Zuletzt aber wurde es eine fast ge-
dankenlos geübte Gewöhnung, selbst Privatpersonen bei Leb-
zeiten mit dem Heroentitel auszuzeichnen 3), heroische Ehren,
wohl gar die Stiftung jährlich zu wiederholender Wettspiele,
Lebenden zu widmen 4).

1) Vgl. Keil Anal. epigr. 62.
2) Cult des Königs Lysimachos bei Lebzeiten: auf Samothrake,
Dittenberger, Syll. 138. (Archäol. Unters. auf Samothr. II 85, A. 2). Heroi-
sirung des Diogenes, Phrurarchen des Demetrios, der 229, von Arat be-
stochen, die macedonische Besatzung aus Attika führte. (Köhler, Hermes
7, 1 ff.) — ὑπὲρ τᾶς Νικία τοῦ δάμου υίοῦ, φιλοπάτριδος, ἥρωος, εὐεργέτα
δὲ τᾶς πόλιος, σωτηρίας eine Widmung ϑεοῖς πατρῴοις; Inscr. of Cos 76.
Gesetzt bei Lebzeiten (woher sonst σωτηρίας?) des „Heros“, der vielleicht
(wie die Herausgeber vermuthen) identisch ist mit dem Tyrannen von
Kos, Nikias, aus Strabo’s Zeit (Strab. 14, 658. Perizonius zu Aelian. var.
hist.
1, 29).
3) ἥρως von einem Lebenden auf Inss. der Kaiserzeit bisweilen.
C. I. Gr. 2583 (Lyttos, Kreta) 3665 (ἡρωΐνη, lebend. Kyzikos, 2. Jahrh.)
Athen. Mittheil. 6, 121 (ebenfalls Kyzikos): ἱππαρχοῦντος Κλεομένους ἥρωος,
jedenfalls ja bei Lebzeiten.
4) Als Demetrios Poliork. 303 Sikyon erobert und umbaut, widmen
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[645/0661] Heroencultes entwachsen zu sein, dass man, an immer gestei- gerten Ueberschwang der Verehrung Mächtiger und Gütiger überhaupt gewöhnt, die Zahl der Heroen aus den Menschen des gegenwärtigen Lebens zu vermehren lebhaft geneigt blieb. Selbst der Tod des Gefeierten wird nicht immer abgewartet, um ihn als „Heros“ zu begrüssen; schon bei Lebzeiten sollte er einen Vorschmack der Verehrung geniessen, die ihm nach seinem Abscheiden bestimmt war. So war schon Lysander einst von den Griechen, die er von Athens Uebermacht erlöst hatte, nach seinem Siege als Heros gefeiert worden; so in hellenisti- scher Zeit mancher glückliche Heerführer und mächtige König, von Römern zuerst der Griechenfreund Flamininus 1). Dieser Missbrauch des, auf Lebende angewendeten Heroencultes dehnt sich weiter aus 2). Bisweilen mag wirkliche Verehrung hoher Verdienste dem beweglichen Sinne griechischen Volkes den Antrieb gegeben haben. Zuletzt aber wurde es eine fast ge- dankenlos geübte Gewöhnung, selbst Privatpersonen bei Leb- zeiten mit dem Heroentitel auszuzeichnen 3), heroische Ehren, wohl gar die Stiftung jährlich zu wiederholender Wettspiele, Lebenden zu widmen 4). 1) Vgl. Keil Anal. epigr. 62. 2) Cult des Königs Lysimachos bei Lebzeiten: auf Samothrake, Dittenberger, Syll. 138. (Archäol. Unters. auf Samothr. II 85, A. 2). Heroi- sirung des Diogenes, Phrurarchen des Demetrios, der 229, von Arat be- stochen, die macedonische Besatzung aus Attika führte. (Köhler, Hermes 7, 1 ff.) — ὑπὲρ τᾶς Νικία τοῦ δάμου υίοῦ, φιλοπάτριδος, ἥρωος, εὐεργέτα δὲ τᾶς πόλιος, σωτηρίας eine Widmung ϑεοῖς πατρῴοις; Inscr. of Cos 76. Gesetzt bei Lebzeiten (woher sonst σωτηρίας?) des „Heros“, der vielleicht (wie die Herausgeber vermuthen) identisch ist mit dem Tyrannen von Kos, Nikias, aus Strabo’s Zeit (Strab. 14, 658. Perizonius zu Aelian. var. hist. 1, 29). 3) ἥρως von einem Lebenden auf Inss. der Kaiserzeit bisweilen. C. I. Gr. 2583 (Lyttos, Kreta) 3665 (ἡρωΐνη, lebend. Kyzikos, 2. Jahrh.) Athen. Mittheil. 6, 121 (ebenfalls Kyzikos): ἱππαρχοῦντος Κλεομένους ἥρωος, jedenfalls ja bei Lebzeiten. 4) Als Demetrios Poliork. 303 Sikyon erobert und umbaut, widmen ihm bei Lebzeiten die Bürger der nun „Demetrias“ genannten Stadt, als κτίστῃ, Opfer, Feste und alljährliche ἀγῶνες. („ἀλλὰ ταῦτα μὲν ὁ χρόνος

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 645. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/661>, abgerufen am 24.11.2024.