lebhafte Trieb, den Sagenkreis, in dessen Mittelpunct die Abenteuer der Ilias lagen, nach allen Richtungen auszuführen und mit anderen Sagenkreisen zu verschlingen, hat sich später in besonderen Dichtungen, den Heldengedichten des epischen Cyklus, genug gethan. Als die Odyssee entstand, waren diese Sagen bereits in strömend vordringender Bewegung; noch hatten sie kein eigenes Bette gefunden, aber sie drangen in einzelnen Ergiessungen in die ausgeführte Erzählung von der Heimkehr des zuletzt allein noch umirrenden Helden (der sie, ihren Gegen- ständen nach, alle zeitlich voran lagen) ein. Ein Hauptzweck der Erzählung von der Fahrt des Telemachos zu Nestor und Menelaos (im dritten und vierten Buch der Odyssee) ist ersicht- lich der, den Sohn in Berührung mit alten Kriegsgenossen des Vaters zu bringen, und so zu mannichfachen Erzählungen Ge- legenheit zu schaffen, in denen von den zwischen Ilias und Odyssee liegenden Abenteuern einzelne bereits deutlichere Ge- stalt gewinnen. Demodokos, der Sänger bei den Phäaken, muss zwei Ereignisse des Feldzugs in Andeutungen vorführen. Auch wo solche Berichte nicht unmittelbar von den Thaten und der Sinnesart des Odysseus melden, dienen sie doch, an den grossen Hintergrund zu mahnen, vor dem die Abenteuer des zuletzt auf seinen Irrfahrten völlig vereinzelten Dulders stehen, diese in den idealen Zusammenhang zu rücken, in dem sie erst ihre rechte Bedeutung gewinnen 1). Auch den Dichter der Hades- fahrt nun bewegt dieser quellende Sagenbildungstrieb. Auch er sieht die Abenteuer des Odysseus nicht vereinzelt, sondern im lebendigen Zusammenhang aller von Troja ausgehenden Abenteuer; er fasste den Gedanken, den Helden in Rath und Kampf noch einmal, ein letztes Mal, zu Rede und Gegenrede zusammenzuführen mit dem mächtigsten Könige, dem hehrsten
1) Eine letzte Fortsetzung solcher, den Hintergrund der Odyssee ausmalenden Darstellungen, bietet das Zwiegespräch des Achill und Aga- memnon in der "zweiten Nekyia", Od. 24, 19 ff., deren Verfasser den Sinn und Zweck der ursprünglichen Nekyia im 11. Buche, der er nach- ahmt, ganz richtig erfasst hat und (freilich sehr ungeschickt) fortsetzend zu fördern versucht.
lebhafte Trieb, den Sagenkreis, in dessen Mittelpunct die Abenteuer der Ilias lagen, nach allen Richtungen auszuführen und mit anderen Sagenkreisen zu verschlingen, hat sich später in besonderen Dichtungen, den Heldengedichten des epischen Cyklus, genug gethan. Als die Odyssee entstand, waren diese Sagen bereits in strömend vordringender Bewegung; noch hatten sie kein eigenes Bette gefunden, aber sie drangen in einzelnen Ergiessungen in die ausgeführte Erzählung von der Heimkehr des zuletzt allein noch umirrenden Helden (der sie, ihren Gegen- ständen nach, alle zeitlich voran lagen) ein. Ein Hauptzweck der Erzählung von der Fahrt des Telemachos zu Nestor und Menelaos (im dritten und vierten Buch der Odyssee) ist ersicht- lich der, den Sohn in Berührung mit alten Kriegsgenossen des Vaters zu bringen, und so zu mannichfachen Erzählungen Ge- legenheit zu schaffen, in denen von den zwischen Ilias und Odyssee liegenden Abenteuern einzelne bereits deutlichere Ge- stalt gewinnen. Demodokos, der Sänger bei den Phäaken, muss zwei Ereignisse des Feldzugs in Andeutungen vorführen. Auch wo solche Berichte nicht unmittelbar von den Thaten und der Sinnesart des Odysseus melden, dienen sie doch, an den grossen Hintergrund zu mahnen, vor dem die Abenteuer des zuletzt auf seinen Irrfahrten völlig vereinzelten Dulders stehen, diese in den idealen Zusammenhang zu rücken, in dem sie erst ihre rechte Bedeutung gewinnen 1). Auch den Dichter der Hades- fahrt nun bewegt dieser quellende Sagenbildungstrieb. Auch er sieht die Abenteuer des Odysseus nicht vereinzelt, sondern im lebendigen Zusammenhang aller von Troja ausgehenden Abenteuer; er fasste den Gedanken, den Helden in Rath und Kampf noch einmal, ein letztes Mal, zu Rede und Gegenrede zusammenzuführen mit dem mächtigsten Könige, dem hehrsten
1) Eine letzte Fortsetzung solcher, den Hintergrund der Odyssee ausmalenden Darstellungen, bietet das Zwiegespräch des Achill und Aga- memnon in der „zweiten Nekyia“, Od. 24, 19 ff., deren Verfasser den Sinn und Zweck der ursprünglichen Nekyia im 11. Buche, der er nach- ahmt, ganz richtig erfasst hat und (freilich sehr ungeschickt) fortsetzend zu fördern versucht.
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lebhafte Trieb, den Sagenkreis, in dessen Mittelpunct die
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und mit anderen Sagenkreisen zu verschlingen, hat sich später
in besonderen Dichtungen, den Heldengedichten des epischen
Cyklus, genug gethan. Als die Odyssee entstand, waren diese
Sagen bereits in strömend vordringender Bewegung; noch hatten
sie kein eigenes Bette gefunden, aber sie drangen in einzelnen
Ergiessungen in die ausgeführte Erzählung von der Heimkehr
des zuletzt allein noch umirrenden Helden (der sie, ihren Gegen-
ständen nach, alle zeitlich voran lagen) ein. Ein Hauptzweck
der Erzählung von der Fahrt des Telemachos zu Nestor und
Menelaos (im dritten und vierten Buch der Odyssee) ist ersicht-
lich der, den Sohn in Berührung mit alten Kriegsgenossen des
Vaters zu bringen, und so zu mannichfachen Erzählungen Ge-
legenheit zu schaffen, in denen von den zwischen Ilias und
Odyssee liegenden Abenteuern einzelne bereits deutlichere Ge-
stalt gewinnen. Demodokos, der Sänger bei den Phäaken, muss
zwei Ereignisse des Feldzugs in Andeutungen vorführen. Auch
wo solche Berichte nicht unmittelbar von den Thaten und der
Sinnesart des Odysseus melden, dienen sie doch, an den grossen
Hintergrund zu mahnen, vor dem die Abenteuer des zuletzt
auf seinen Irrfahrten völlig vereinzelten Dulders stehen, diese in
den idealen Zusammenhang zu rücken, in dem sie erst ihre
rechte Bedeutung gewinnen 1). Auch den Dichter der Hades-
fahrt nun bewegt dieser quellende Sagenbildungstrieb. Auch
er sieht die Abenteuer des Odysseus nicht vereinzelt, sondern
im lebendigen Zusammenhang aller von Troja ausgehenden
Abenteuer; er fasste den Gedanken, den Helden in Rath und
Kampf noch einmal, ein letztes Mal, zu Rede und Gegenrede
zusammenzuführen mit dem mächtigsten Könige, dem hehrsten
1) Eine letzte Fortsetzung solcher, den Hintergrund der Odyssee
ausmalenden Darstellungen, bietet das Zwiegespräch des Achill und Aga-
memnon in der „zweiten Nekyia“, Od. 24, 19 ff., deren Verfasser den
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/64>, abgerufen am 27.11.2024.
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