Der Unsterblichkeitsgedanke, in theologischer oder in philosophischer Fassung, war in jenen Zeiten kaum hie und da einzeln in Laienkreise eingedrungen. Sokrates selbst, der auf solche Fragen nach dem Unerforschlichen sich keiner an- deren Antwort rühmen wollte, als die Mehrzahl seiner Mit- bürger aus Urväterweisheit bereit hielt, weiss da, wo er bei Plato sich in seiner unverstellten schlichten Tüchtigkeit geben darf, in der "Apologie", wenig von einer Hoffnung auf ewiges Leben der Seele zu sagen. Entweder, meint er, bringe der Tod dem Menschen volle Bewusstlosigkeit, wie ein traum- loser Schlaf, oder einen Uebergang der Seele in ein anderes Leben, in dem Seelenreiche, das nach seinen Andeutungen mit dem homerischen Hades weit mehr Aehnlichkeit zu haben scheint als mit den schimmernden Phantasieländern der Theo- logen und theologisirenden Dichter 1). Beide Möglichkeiten nimmt er getrost hin, auf die Gerechtigkeit der waltenden Götter bauend 2), und blickt nicht nach weiterem aus. Wie sollte er sicher wissen, was Niemand weiss? 3)
Mit gleicher Gelassenheit mag die Mehrzahl auch der Ge- bildeten (die damals aus der Menge sich auszusondern anfingen) das Unbekannte haben dahingestellt sein lassen 4). Plato ver-
1) Plat. Apolog. cap. 32 ff.
2)Apol. 41 C/D.
3)Apol. 29 A/B; 37 B.
4) Xenophon, Cyrop. 8, 7, 17 ff. lässt den sterbenden Cyrus den Glauben, dass die Seele den Leib überdauere, mehr aus Volksglauben und Seelencult als aus halbphilosophischer Betrachtung (§ 20) rechtferti- gen (vgl. oben p. 254, 1). Dann aber lässt er es dennoch ganz gelassen unentschieden, ob denn nun die Seele den Leib verlasse und weiterlebe, oder ob menousa e psukhe en to somati sunapothneskei (§ 22). In jedem
Plato.
Der Unsterblichkeitsgedanke, in theologischer oder in philosophischer Fassung, war in jenen Zeiten kaum hie und da einzeln in Laienkreise eingedrungen. Sokrates selbst, der auf solche Fragen nach dem Unerforschlichen sich keiner an- deren Antwort rühmen wollte, als die Mehrzahl seiner Mit- bürger aus Urväterweisheit bereit hielt, weiss da, wo er bei Plato sich in seiner unverstellten schlichten Tüchtigkeit geben darf, in der „Apologie“, wenig von einer Hoffnung auf ewiges Leben der Seele zu sagen. Entweder, meint er, bringe der Tod dem Menschen volle Bewusstlosigkeit, wie ein traum- loser Schlaf, oder einen Uebergang der Seele in ein anderes Leben, in dem Seelenreiche, das nach seinen Andeutungen mit dem homerischen Hades weit mehr Aehnlichkeit zu haben scheint als mit den schimmernden Phantasieländern der Theo- logen und theologisirenden Dichter 1). Beide Möglichkeiten nimmt er getrost hin, auf die Gerechtigkeit der waltenden Götter bauend 2), und blickt nicht nach weiterem aus. Wie sollte er sicher wissen, was Niemand weiss? 3)
Mit gleicher Gelassenheit mag die Mehrzahl auch der Ge- bildeten (die damals aus der Menge sich auszusondern anfingen) das Unbekannte haben dahingestellt sein lassen 4). Plato ver-
1) Plat. Apolog. cap. 32 ff.
2)Apol. 41 C/D.
3)Apol. 29 A/B; 37 B.
4) Xenophon, Cyrop. 8, 7, 17 ff. lässt den sterbenden Cyrus den Glauben, dass die Seele den Leib überdauere, mehr aus Volksglauben und Seelencult als aus halbphilosophischer Betrachtung (§ 20) rechtferti- gen (vgl. oben p. 254, 1). Dann aber lässt er es dennoch ganz gelassen unentschieden, ob denn nun die Seele den Leib verlasse und weiterlebe, oder ob μένουσα ἡ ψυχὴ ἐν τῷ σώματι συναποϑνήσκει (§ 22). In jedem
<TEI><text><body><pbfacs="#f0571"n="[555]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Plato.</hi></head><lb/><divn="2"><p>Der Unsterblichkeitsgedanke, in theologischer oder in<lb/>
philosophischer Fassung, war in jenen Zeiten kaum hie und<lb/>
da einzeln in Laienkreise eingedrungen. Sokrates selbst, der<lb/>
auf solche Fragen nach dem Unerforschlichen sich keiner an-<lb/>
deren Antwort rühmen wollte, als die Mehrzahl seiner Mit-<lb/>
bürger aus Urväterweisheit bereit hielt, weiss da, wo er bei<lb/>
Plato sich in seiner unverstellten schlichten Tüchtigkeit geben<lb/>
darf, in der „Apologie“, wenig von einer Hoffnung auf ewiges<lb/>
Leben der Seele zu sagen. Entweder, meint er, bringe der<lb/>
Tod dem Menschen volle Bewusstlosigkeit, wie ein traum-<lb/>
loser Schlaf, oder einen Uebergang der Seele in ein anderes<lb/>
Leben, in dem Seelenreiche, das nach seinen Andeutungen mit<lb/>
dem homerischen Hades weit mehr Aehnlichkeit zu haben<lb/>
scheint als mit den schimmernden Phantasieländern der Theo-<lb/>
logen und theologisirenden Dichter <noteplace="foot"n="1)">Plat. <hirendition="#i">Apolog</hi>. cap. 32 ff.</note>. Beide Möglichkeiten<lb/>
nimmt er getrost hin, auf die Gerechtigkeit der waltenden<lb/>
Götter bauend <noteplace="foot"n="2)"><hirendition="#i">Apol.</hi> 41 C/D.</note>, und blickt nicht nach weiterem aus. Wie<lb/>
sollte er sicher wissen, was Niemand weiss? <noteplace="foot"n="3)"><hirendition="#i">Apol.</hi> 29 A/B; 37 B.</note></p><lb/><p>Mit gleicher Gelassenheit mag die Mehrzahl auch der Ge-<lb/>
bildeten (die damals aus der Menge sich auszusondern anfingen)<lb/>
das Unbekannte haben dahingestellt sein lassen <notexml:id="seg2pn_192_1"next="#seg2pn_192_2"place="foot"n="4)">Xenophon, <hirendition="#i">Cyrop.</hi> 8, 7, 17 ff. lässt den sterbenden Cyrus den<lb/>
Glauben, dass die Seele den Leib überdauere, mehr aus Volksglauben<lb/>
und Seelencult als aus halbphilosophischer Betrachtung (§ 20) rechtferti-<lb/>
gen (vgl. oben p. 254, 1). Dann aber lässt er es dennoch ganz gelassen<lb/>
unentschieden, ob denn nun die Seele den Leib verlasse und weiterlebe,<lb/>
oder ob μένουσαἡψυχὴἐντῷσώματισυναποϑνήσκει (§ 22). In jedem</note>. Plato ver-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[555]/0571]
Plato.
Der Unsterblichkeitsgedanke, in theologischer oder in
philosophischer Fassung, war in jenen Zeiten kaum hie und
da einzeln in Laienkreise eingedrungen. Sokrates selbst, der
auf solche Fragen nach dem Unerforschlichen sich keiner an-
deren Antwort rühmen wollte, als die Mehrzahl seiner Mit-
bürger aus Urväterweisheit bereit hielt, weiss da, wo er bei
Plato sich in seiner unverstellten schlichten Tüchtigkeit geben
darf, in der „Apologie“, wenig von einer Hoffnung auf ewiges
Leben der Seele zu sagen. Entweder, meint er, bringe der
Tod dem Menschen volle Bewusstlosigkeit, wie ein traum-
loser Schlaf, oder einen Uebergang der Seele in ein anderes
Leben, in dem Seelenreiche, das nach seinen Andeutungen mit
dem homerischen Hades weit mehr Aehnlichkeit zu haben
scheint als mit den schimmernden Phantasieländern der Theo-
logen und theologisirenden Dichter 1). Beide Möglichkeiten
nimmt er getrost hin, auf die Gerechtigkeit der waltenden
Götter bauend 2), und blickt nicht nach weiterem aus. Wie
sollte er sicher wissen, was Niemand weiss? 3)
Mit gleicher Gelassenheit mag die Mehrzahl auch der Ge-
bildeten (die damals aus der Menge sich auszusondern anfingen)
das Unbekannte haben dahingestellt sein lassen 4). Plato ver-
1) Plat. Apolog. cap. 32 ff.
2) Apol. 41 C/D.
3) Apol. 29 A/B; 37 B.
4) Xenophon, Cyrop. 8, 7, 17 ff. lässt den sterbenden Cyrus den
Glauben, dass die Seele den Leib überdauere, mehr aus Volksglauben
und Seelencult als aus halbphilosophischer Betrachtung (§ 20) rechtferti-
gen (vgl. oben p. 254, 1). Dann aber lässt er es dennoch ganz gelassen
unentschieden, ob denn nun die Seele den Leib verlasse und weiterlebe,
oder ob μένουσα ἡ ψυχὴ ἐν τῷ σώματι συναποϑνήσκει (§ 22). In jedem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. [555]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/571>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.