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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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nach denen aus dem einfachen Element der "Erde" die Viel-
heit der Stoffe und Dinge nicht anders als durch Wandlung
und Umbildung entstanden gedacht werden kann, während aus
der "Samenmischung" des Anaxagoras die in sich unveränder-
lichen "Samen" aller Dinge sich nur ausscheiden und durch
mechanische Neuverbindungen alle wahrnehmbaren Gestaltungen
der Welt entstehen lassen. Der "Aether" ist in dieser Ver-
bindung mit der "Erde", wie das thätige, so das geistige und
beseelte Element. Die Aussonderung eines solchen von der
übrigen Materie erinnert ja allerdings an den Vorgang des
Anaxagoras. Aber der Aether ist dem Dichter doch immer
ein Element, wenn auch ein beseeltes, geisterfülltes, nicht ein
allem Elementaren in wesenhafter Verschiedenheit gegenüber-
stehendes Geistiges, wie jener Naus des Anaxagoras. Dass es
das Element des Aethers, d. h. der trockenen und heissen
Luft ist, dem das Denkende innewohnen soll, mag man als
eine Entlehnung von Diogenes aus Apollonia, dem in Athen
damals vielbeachteten, auch dem Euripides wohlbekannten 1)
Denker betrachten, in dessen Lehre die Luft (die freilich,
ganz anders als bei Euripides, alles Uebrige allein aus sich
hervorbringt) ausdrücklich auch der "Seele" gleichgesetzt, und
selbst als "Verstand habend" bezeichnet wird 2).

mit Recht an. Von der Abtrennung des nous von allem Stofflichen, wie
Anaxagoras sie wenigstens beabsichtigt, ist bei Eur. keine Spur. Der
Geist ist ihm an das eine der zwei Urelemente gebunden, dem anderen,
der Erde, ganz fremd; so entsteht ihm zwar auch ein Dualismus, aber
von anderem Aussehen als der des Anaxagoras. Auf Anklänge Euripi-
deischer Aeusserungen an Diogenes von Apollonia deutet Dümmler, Pro-
legom. zu Platons Staat
(Prog. Basel 1891) p. 48 hin: nur dass des Dichters
Ansichten, "die nächste Verwandtschaft" mit dem monistischen System
des D. oder mit irgend einem Monismus zeigen, lässt sich nicht behaupten.
1) Troad. 877 ff. Die Luft, Zeus benannt und identisch mit dem
nous broton kann nur aus den Lehren des Diogenes entnommen sein.
Diels, Rhein. Mus. 42, 12.
2) Diog. Apoll. fr. 3; 4; 5 (Mull.). Die Seele ist aer thermoteros
tou exo, en o eimen, wiewohl kälter als die Luft die para to elio ist.
fr. 6. Also dem aither verwandter als dem aer (aither und aer damals
schon oft verwechselt; bei Euripides z. B. fr. 944 aither statt aer).

nach denen aus dem einfachen Element der „Erde“ die Viel-
heit der Stoffe und Dinge nicht anders als durch Wandlung
und Umbildung entstanden gedacht werden kann, während aus
der „Samenmischung“ des Anaxagoras die in sich unveränder-
lichen „Samen“ aller Dinge sich nur ausscheiden und durch
mechanische Neuverbindungen alle wahrnehmbaren Gestaltungen
der Welt entstehen lassen. Der „Aether“ ist in dieser Ver-
bindung mit der „Erde“, wie das thätige, so das geistige und
beseelte Element. Die Aussonderung eines solchen von der
übrigen Materie erinnert ja allerdings an den Vorgang des
Anaxagoras. Aber der Aether ist dem Dichter doch immer
ein Element, wenn auch ein beseeltes, geisterfülltes, nicht ein
allem Elementaren in wesenhafter Verschiedenheit gegenüber-
stehendes Geistiges, wie jener Nûs des Anaxagoras. Dass es
das Element des Aethers, d. h. der trockenen und heissen
Luft ist, dem das Denkende innewohnen soll, mag man als
eine Entlehnung von Diogenes aus Apollonia, dem in Athen
damals vielbeachteten, auch dem Euripides wohlbekannten 1)
Denker betrachten, in dessen Lehre die Luft (die freilich,
ganz anders als bei Euripides, alles Uebrige allein aus sich
hervorbringt) ausdrücklich auch der „Seele“ gleichgesetzt, und
selbst als „Verstand habend“ bezeichnet wird 2).

mit Recht an. Von der Abtrennung des νοῦς von allem Stofflichen, wie
Anaxagoras sie wenigstens beabsichtigt, ist bei Eur. keine Spur. Der
Geist ist ihm an das eine der zwei Urelemente gebunden, dem anderen,
der Erde, ganz fremd; so entsteht ihm zwar auch ein Dualismus, aber
von anderem Aussehen als der des Anaxagoras. Auf Anklänge Euripi-
deischer Aeusserungen an Diogenes von Apollonia deutet Dümmler, Pro-
legom. zu Platons Staat
(Prog. Basel 1891) p. 48 hin: nur dass des Dichters
Ansichten, „die nächste Verwandtschaft“ mit dem monistischen System
des D. oder mit irgend einem Monismus zeigen, lässt sich nicht behaupten.
1) Troad. 877 ff. Die Luft, Zeus benannt und identisch mit dem
νοῦς βροτῶν kann nur aus den Lehren des Diogenes entnommen sein.
Diels, Rhein. Mus. 42, 12.
2) Diog. Apoll. fr. 3; 4; 5 (Mull.). Die Seele ist ἀὴρ ϑερμότερος
τοῦ ἔξω, ἐν ᾧ εἶμεν, wiewohl kälter als die Luft die παρὰ τῷ ἡλίῳ ist.
fr. 6. Also dem αἰϑήρ verwandter als dem ἀήρ (αἰϑήρ und ἀήρ damals
schon oft verwechselt; bei Euripides z. B. fr. 944 αἰϑήρ statt ἀήρ).
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[548/0564] nach denen aus dem einfachen Element der „Erde“ die Viel- heit der Stoffe und Dinge nicht anders als durch Wandlung und Umbildung entstanden gedacht werden kann, während aus der „Samenmischung“ des Anaxagoras die in sich unveränder- lichen „Samen“ aller Dinge sich nur ausscheiden und durch mechanische Neuverbindungen alle wahrnehmbaren Gestaltungen der Welt entstehen lassen. Der „Aether“ ist in dieser Ver- bindung mit der „Erde“, wie das thätige, so das geistige und beseelte Element. Die Aussonderung eines solchen von der übrigen Materie erinnert ja allerdings an den Vorgang des Anaxagoras. Aber der Aether ist dem Dichter doch immer ein Element, wenn auch ein beseeltes, geisterfülltes, nicht ein allem Elementaren in wesenhafter Verschiedenheit gegenüber- stehendes Geistiges, wie jener Nûs des Anaxagoras. Dass es das Element des Aethers, d. h. der trockenen und heissen Luft ist, dem das Denkende innewohnen soll, mag man als eine Entlehnung von Diogenes aus Apollonia, dem in Athen damals vielbeachteten, auch dem Euripides wohlbekannten 1) Denker betrachten, in dessen Lehre die Luft (die freilich, ganz anders als bei Euripides, alles Uebrige allein aus sich hervorbringt) ausdrücklich auch der „Seele“ gleichgesetzt, und selbst als „Verstand habend“ bezeichnet wird 2). 2) 1) Troad. 877 ff. Die Luft, Zeus benannt und identisch mit dem νοῦς βροτῶν kann nur aus den Lehren des Diogenes entnommen sein. Diels, Rhein. Mus. 42, 12. 2) Diog. Apoll. fr. 3; 4; 5 (Mull.). Die Seele ist ἀὴρ ϑερμότερος τοῦ ἔξω, ἐν ᾧ εἶμεν, wiewohl kälter als die Luft die παρὰ τῷ ἡλίῳ ist. fr. 6. Also dem αἰϑήρ verwandter als dem ἀήρ (αἰϑήρ und ἀήρ damals schon oft verwechselt; bei Euripides z. B. fr. 944 αἰϑήρ statt ἀήρ). 2) mit Recht an. Von der Abtrennung des νοῦς von allem Stofflichen, wie Anaxagoras sie wenigstens beabsichtigt, ist bei Eur. keine Spur. Der Geist ist ihm an das eine der zwei Urelemente gebunden, dem anderen, der Erde, ganz fremd; so entsteht ihm zwar auch ein Dualismus, aber von anderem Aussehen als der des Anaxagoras. Auf Anklänge Euripi- deischer Aeusserungen an Diogenes von Apollonia deutet Dümmler, Pro- legom. zu Platons Staat (Prog. Basel 1891) p. 48 hin: nur dass des Dichters Ansichten, „die nächste Verwandtschaft“ mit dem monistischen System des D. oder mit irgend einem Monismus zeigen, lässt sich nicht behaupten.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/564>, abgerufen am 28.11.2024.