Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.findet sich die Frömmigkeit nicht gestört in ihrer Verehrung Aber der Einzelne, der mit seinem Leiden Zwecken dienen beweist sie so. Aber um den Nachweis eines in irgend welchem Sinne sittlichen Grundes oder Zweckes der Rachethat der Göttin bemüht sich der fromme Dichter nicht. -- Durch Hineindeuten von Vorstellungen, die einer neueren Zeit geläufiger sind, macht man solche antike eusebeia und deisidaimonia ihrer besonderen Art nach nicht verständlicher. Es begegnet uns hier dieselbe Art der Götterscheu, die des Herodot (der nicht grundlos ein Freund des Sopkokles war) Geschichtsdarstellung durchzieht, auch in der Weise des Nikias, im Wesentlichen auch bei Xenophon sich ausprägt, von Thukydides, zumeist auch (denn er schwankt) von Euripides ruhig bei Seite gesetzt oder heftig verworfen wird. Ihre Art bezeichnet besser als das übliche eusebeia, der auch wohl vorkommende Ausdruck: e pros tous theous eulabeia (adv. Neaer. 74). 1) Trach. 1266 f.; 1272 (wo freilich der Verdacht einer Trübung der Ueberlieferung besteht), fr. 103. Im Philoktet ähnliches. 2) Es giebt ein Gebiet unergründlicher göttlicher Geheimnisse: -- ou gar an ta theia kruptonton theon mathois an, oud ei pant epexelthois skopon. fr. 833. Vgl. O. R. 280 f. polla kai lathein kalon: fr. 80. 3) Die Haltung der Athene im Prologos des "Aias" macht eine
Ausnahme. findet sich die Frömmigkeit nicht gestört in ihrer Verehrung Aber der Einzelne, der mit seinem Leiden Zwecken dienen beweist sie so. Aber um den Nachweis eines in irgend welchem Sinne sittlichen Grundes oder Zweckes der Rachethat der Göttin bemüht sich der fromme Dichter nicht. — Durch Hineindeuten von Vorstellungen, die einer neueren Zeit geläufiger sind, macht man solche antike εὐσέβεια und δεισιδαιμονία ihrer besonderen Art nach nicht verständlicher. Es begegnet uns hier dieselbe Art der Götterscheu, die des Herodot (der nicht grundlos ein Freund des Sopkokles war) Geschichtsdarstellung durchzieht, auch in der Weise des Nikias, im Wesentlichen auch bei Xenophon sich ausprägt, von Thukydides, zumeist auch (denn er schwankt) von Euripides ruhig bei Seite gesetzt oder heftig verworfen wird. Ihre Art bezeichnet besser als das übliche εὐσέβεια, der auch wohl vorkommende Ausdruck: ἡ πρὸς τοὺς ϑεοὺς εὐλάβεια (adv. Neaer. 74). 1) Trach. 1266 f.; 1272 (wo freilich der Verdacht einer Trübung der Ueberlieferung besteht), fr. 103. Im Philoktet ähnliches. 2) Es giebt ein Gebiet unergründlicher göttlicher Geheimnisse: — οὐ γὰρ ἂν τὰ ϑεῖα κρυπτόντων ϑεῶν μάϑοις ἂν, οὐδ̕ εἰ πάντ̕ ἐπεξέλϑοις σκοπῶν. fr. 833. Vgl. O. R. 280 f. πολλὰ καὶ λαϑεῖν καλόν: fr. 80. 3) Die Haltung der Athene im Prologos des „Aias“ macht eine
Ausnahme. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0546" n="530"/> findet sich die Frömmigkeit nicht gestört in ihrer Verehrung<lb/> der Mächtigen. Das giebt der Kunst und der Lebensstim-<lb/> mung des Sophokles ihren ganz persönlich eigenthümlichen,<lb/> rationell nicht aufzulösenden Charakter, wie hier Auffassung<lb/> und Darstellung der freien Individualität und ihrer Berechti-<lb/> gung mit ehrfürchtigster religiöser Gebundenheit des Sinnes<lb/> zusammenbestehen kann. Selten einmal reisst sich ein anklagen-<lb/> der Schrei aus der Brust der, um ihnen fremder Zwecke willen<lb/> fühllos Gequälten los <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#i">Trach.</hi> 1266 f.; 1272 (wo freilich der Verdacht einer Trübung der<lb/> Ueberlieferung besteht), <hi rendition="#i">fr.</hi> 103. Im <hi rendition="#i">Philoktet</hi> ähnliches.</note>. Zumeist scheut sich Blick und Ur-<lb/> theil bis zu den letzten Gründen göttlichen Willens vordringen<lb/> zu wollen; aus künstlerischer Absicht, aber auch in religiöser<lb/> Behutsamkeit lässt der Dichter ein halbes Dunkel bestehen <note place="foot" n="2)">Es giebt ein Gebiet unergründlicher göttlicher Geheimnisse: —<lb/> οὐ γὰρ ἂν τὰ ϑεῖα κρυπτόντων ϑεῶν μάϑοις ἂν, οὐδ̕ εἰ πάντ̕ ἐπεξέλϑοις<lb/> σκοπῶν. <hi rendition="#i">fr.</hi> 833. Vgl. <hi rendition="#i">O. R.</hi> 280 f. πολλὰ καὶ λαϑεῖν καλόν: <hi rendition="#i">fr.</hi> 80.</note>.<lb/> Durchaus bleibt die Majestät göttlichen Waltens im Hinter-<lb/> grund, mischt sich nicht vertraulich und derb eingreifend in<lb/> die menschlichen Geschicke <note place="foot" n="3)">Die Haltung der Athene im Prologos des „Aias“ macht eine<lb/> Ausnahme.</note>.</p><lb/> <p>Aber der Einzelne, der mit seinem Leiden Zwecken dienen<lb/> muss, die nicht seine eigenen sind, die Menschheit, die unter so<lb/> hartem Gesetze lebt, — wie könnte der Anblick ihrer Geschicke<lb/> erhebende und tröstliche Gefühle erwecken! Der Dichter setzt<lb/><note xml:id="seg2pn_182_2" prev="#seg2pn_182_1" place="foot" n="4)">beweist sie so. Aber um den Nachweis eines in irgend welchem Sinne<lb/> sittlichen Grundes oder Zweckes der Rachethat der Göttin bemüht sich<lb/> der fromme Dichter nicht. — Durch Hineindeuten von Vorstellungen, die<lb/> einer neueren Zeit geläufiger sind, macht man solche antike εὐσέβεια und<lb/> δεισιδαιμονία ihrer besonderen Art nach nicht verständlicher. Es begegnet<lb/> uns hier dieselbe Art der Götterscheu, die des Herodot (der nicht grundlos<lb/> ein Freund des Sopkokles war) Geschichtsdarstellung durchzieht, auch in<lb/> der Weise des Nikias, im Wesentlichen auch bei Xenophon sich ausprägt,<lb/> von Thukydides, zumeist auch (denn er schwankt) von Euripides ruhig<lb/> bei Seite gesetzt oder heftig verworfen wird. Ihre Art bezeichnet besser<lb/> als das übliche εὐσέβεια, der auch wohl vorkommende Ausdruck: ἡ πρὸς<lb/> τοὺς ϑεοὺς <hi rendition="#g">εὐλάβεια</hi> (<hi rendition="#i">adv. Neaer.</hi> 74).</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [530/0546]
findet sich die Frömmigkeit nicht gestört in ihrer Verehrung
der Mächtigen. Das giebt der Kunst und der Lebensstim-
mung des Sophokles ihren ganz persönlich eigenthümlichen,
rationell nicht aufzulösenden Charakter, wie hier Auffassung
und Darstellung der freien Individualität und ihrer Berechti-
gung mit ehrfürchtigster religiöser Gebundenheit des Sinnes
zusammenbestehen kann. Selten einmal reisst sich ein anklagen-
der Schrei aus der Brust der, um ihnen fremder Zwecke willen
fühllos Gequälten los 1). Zumeist scheut sich Blick und Ur-
theil bis zu den letzten Gründen göttlichen Willens vordringen
zu wollen; aus künstlerischer Absicht, aber auch in religiöser
Behutsamkeit lässt der Dichter ein halbes Dunkel bestehen 2).
Durchaus bleibt die Majestät göttlichen Waltens im Hinter-
grund, mischt sich nicht vertraulich und derb eingreifend in
die menschlichen Geschicke 3).
Aber der Einzelne, der mit seinem Leiden Zwecken dienen
muss, die nicht seine eigenen sind, die Menschheit, die unter so
hartem Gesetze lebt, — wie könnte der Anblick ihrer Geschicke
erhebende und tröstliche Gefühle erwecken! Der Dichter setzt
4)
1) Trach. 1266 f.; 1272 (wo freilich der Verdacht einer Trübung der
Ueberlieferung besteht), fr. 103. Im Philoktet ähnliches.
2) Es giebt ein Gebiet unergründlicher göttlicher Geheimnisse: —
οὐ γὰρ ἂν τὰ ϑεῖα κρυπτόντων ϑεῶν μάϑοις ἂν, οὐδ̕ εἰ πάντ̕ ἐπεξέλϑοις
σκοπῶν. fr. 833. Vgl. O. R. 280 f. πολλὰ καὶ λαϑεῖν καλόν: fr. 80.
3) Die Haltung der Athene im Prologos des „Aias“ macht eine
Ausnahme.
4) beweist sie so. Aber um den Nachweis eines in irgend welchem Sinne
sittlichen Grundes oder Zweckes der Rachethat der Göttin bemüht sich
der fromme Dichter nicht. — Durch Hineindeuten von Vorstellungen, die
einer neueren Zeit geläufiger sind, macht man solche antike εὐσέβεια und
δεισιδαιμονία ihrer besonderen Art nach nicht verständlicher. Es begegnet
uns hier dieselbe Art der Götterscheu, die des Herodot (der nicht grundlos
ein Freund des Sopkokles war) Geschichtsdarstellung durchzieht, auch in
der Weise des Nikias, im Wesentlichen auch bei Xenophon sich ausprägt,
von Thukydides, zumeist auch (denn er schwankt) von Euripides ruhig
bei Seite gesetzt oder heftig verworfen wird. Ihre Art bezeichnet besser
als das übliche εὐσέβεια, der auch wohl vorkommende Ausdruck: ἡ πρὸς
τοὺς ϑεοὺς εὐλάβεια (adv. Neaer. 74).
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