Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.wie die Choephoren und die Eumeniden, wären ein nichtiges malera gnathos (Cho. 324 f.). In dem Wecklied, den Anrufungen der Elektra und des Chors in den Choephoren wird daher die Seele des Aga- memnon durchaus als bewusst lebendig, den Anrufungen zugänglich (wie- wohl ex amauras phrenos 157) gedacht und demgemäss angeredet. (Vgl. V. 139. 147 f. 156 f. 479 ff. Pers. 636 ff.). Es wird sogar erwartet, dass an dem Rachewerk seine Seele, ungesehen erscheinend auf der Oberwelt, thätlich theilnehme: akouson es phaos molon, xun de genou pros ekhthrous: Cho. 459 f. (vgl. 489). So hofft in seiner Noth auch Eum. 598 Orest, dass arogas ek taphou pempsei pater. Vor Allem hat der Ermordete An- spruch auf Blutrache durch seine agkhisteis (oud ap allon Cho. 472), Apollo selbst hat dem Orest befohlen, sie auszuüben. Cho. 269 ff. etc. Grässliche Folgen der Vernachlässigung dieser Pflicht: Cho. 278--296 (eine vielleicht interpolirte, aber ganz im Sinne des Volksglaubens ge- haltene Ausführung der Worte des Aesch. selbst V. 271 ff.). 1) Die Erinyen rächen nur den Mord eines Blutsverwandten, daher
nicht den des Gatten durch die Gattin: Eum. 210--212; 604 ff. Es scheint aber die Meinung durch, dass sie im Besonderen bestellt seien als Rächerinnen des Mordes der Mutter durch den Sohn. mehr als wenn dieser den Vater erschlagen hätte: 658 ff. 736 ff. (Nachklang solcher Be- trachtungen bei Soph. El. 341 ff. 532 ff. Eurip. Orest. 552 ff.; fragm. 1064). Dies wird wohl alter (von Aesch. nicht mehr voll anerkannter) Volks- glaube sein, der aber nicht (wie man vielfach annimmt) auf altem, in Griechenland sonst nirgends nachweisbarem "Mutterrecht" zu beruhen braucht, sondern sich vielleicht einfach daraus erklärt, dass dem Vater in seiner Sippe noch irdische Bluträcher (auch am eigenen Sohne) leben, der Mutter dagegen, die aus ihrer Familie ausgeschieden ist, von dort- her keine Blutrache kommen kann und in der Familie des Mannes kein Bluträcher zugewachsen ist, der ihren Mord an ihrem eigenen Sohne zu rächen hätte: daher für sie am entschiedensten und nothwendigsten die dämonischen Bluträcher, die Erinyen, eintreten müssen, die immer nur da wirksam gedacht werden, wo kein irdischer Bluträcher vorhanden ist. -- Natürlich soll nirgends geleugnet werden, dass es auch patros euktaian Erinun (Sept. 721) gebe. wie die Choëphoren und die Eumeniden, wären ein nichtiges μαλερὰ γνάϑος (Cho. 324 f.). In dem Wecklied, den Anrufungen der Elektra und des Chors in den Choëphoren wird daher die Seele des Aga- memnon durchaus als bewusst lebendig, den Anrufungen zugänglich (wie- wohl ἐξ ἀμαυρᾶς φρενός 157) gedacht und demgemäss angeredet. (Vgl. V. 139. 147 f. 156 f. 479 ff. Pers. 636 ff.). Es wird sogar erwartet, dass an dem Rachewerk seine Seele, ungesehen erscheinend auf der Oberwelt, thätlich theilnehme: ἄκουσον ἐς φάος μολών, ξὺν δὲ γενοῦ πρὸς ἐχϑρούς: Cho. 459 f. (vgl. 489). So hofft in seiner Noth auch Eum. 598 Orest, dass ἀρωγὰς ἐκ τάφου πέμψει πατήρ. Vor Allem hat der Ermordete An- spruch auf Blutrache durch seine ἀγχιστεῖς (οὐδ̕ ἄπ̕ ἄλλων Cho. 472), Apollo selbst hat dem Orest befohlen, sie auszuüben. Cho. 269 ff. etc. Grässliche Folgen der Vernachlässigung dieser Pflicht: Cho. 278—296 (eine vielleicht interpolirte, aber ganz im Sinne des Volksglaubens ge- haltene Ausführung der Worte des Aesch. selbst V. 271 ff.). 1) Die Erinyen rächen nur den Mord eines Blutsverwandten, daher
nicht den des Gatten durch die Gattin: Eum. 210—212; 604 ff. Es scheint aber die Meinung durch, dass sie im Besonderen bestellt seien als Rächerinnen des Mordes der Mutter durch den Sohn. mehr als wenn dieser den Vater erschlagen hätte: 658 ff. 736 ff. (Nachklang solcher Be- trachtungen bei Soph. El. 341 ff. 532 ff. Eurip. Orest. 552 ff.; fragm. 1064). Dies wird wohl alter (von Aesch. nicht mehr voll anerkannter) Volks- glaube sein, der aber nicht (wie man vielfach annimmt) auf altem, in Griechenland sonst nirgends nachweisbarem „Mutterrecht“ zu beruhen braucht, sondern sich vielleicht einfach daraus erklärt, dass dem Vater in seiner Sippe noch irdische Bluträcher (auch am eigenen Sohne) leben, der Mutter dagegen, die aus ihrer Familie ausgeschieden ist, von dort- her keine Blutrache kommen kann und in der Familie des Mannes kein Bluträcher zugewachsen ist, der ihren Mord an ihrem eigenen Sohne zu rächen hätte: daher für sie am entschiedensten und nothwendigsten die dämonischen Bluträcher, die Erinyen, eintreten müssen, die immer nur da wirksam gedacht werden, wo kein irdischer Bluträcher vorhanden ist. — Natürlich soll nirgends geleugnet werden, dass es auch πατρὸς εὺκταίαν Ἐρινύν (Sept. 721) gebe. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0539" n="523"/> wie die Choëphoren und die Eumeniden, wären ein nichtiges<lb/> Schattenspiel, wenn ihnen nicht ungebrochener Glaube an Recht<lb/> und Macht der Seelen, an Wirklichkeit und Wirksamkeit der<lb/> dämonischen Anwalte der ermordeten Mutter, der Erinyen <note place="foot" n="1)">Die Erinyen rächen nur den Mord eines Blutsverwandten, daher<lb/> nicht den des Gatten durch die Gattin: <hi rendition="#i">Eum.</hi> 210—212; 604 ff. Es<lb/> scheint aber die Meinung durch, dass sie im Besonderen bestellt seien als<lb/> Rächerinnen des Mordes der <hi rendition="#g">Mutter</hi> durch den Sohn. mehr als wenn<lb/> dieser den Vater erschlagen hätte: 658 ff. 736 ff. (Nachklang solcher Be-<lb/> trachtungen bei Soph. <hi rendition="#i">El.</hi> 341 ff. 532 ff. Eurip. <hi rendition="#i">Orest.</hi> 552 ff.; <hi rendition="#i">fragm.</hi> 1064).<lb/> Dies wird wohl alter (von Aesch. nicht mehr voll anerkannter) Volks-<lb/> glaube sein, der aber nicht (wie man vielfach annimmt) auf altem, in<lb/> Griechenland sonst nirgends nachweisbarem „Mutterrecht“ zu beruhen<lb/> braucht, sondern sich vielleicht einfach daraus erklärt, dass dem Vater<lb/> in seiner Sippe noch irdische Bluträcher (auch am eigenen Sohne) leben,<lb/> der Mutter dagegen, die aus <hi rendition="#g">ihrer</hi> Familie ausgeschieden ist, von dort-<lb/> her keine Blutrache kommen kann und in der Familie des Mannes kein<lb/> Bluträcher zugewachsen ist, der ihren Mord an ihrem eigenen Sohne zu<lb/> rächen hätte: daher für sie am entschiedensten und nothwendigsten die<lb/> dämonischen Bluträcher, die Erinyen, eintreten müssen, die immer nur<lb/> da wirksam gedacht werden, wo kein irdischer Bluträcher vorhanden<lb/> ist. — Natürlich soll nirgends geleugnet werden, dass es auch <hi rendition="#g">πατρὸς</hi><lb/> εὺκταίαν Ἐρινύν (<hi rendition="#i">Sept.</hi> 721) gebe.</note>,<lb/> Leben und Bedeutung gäbe. Hier erhellt sich jedoch zuletzt<lb/> der finster hereinhängende Wolkenhimmel grausigen Wahns.<lb/><hi rendition="#g">Wo</hi> Pflicht und Frevel sich unentwirrbar verstrickt haben,<lb/> findet die Gottheit eine Lösung in ihrer Gnade, die doch dem<lb/> Rechte nichts vergiebt.</p><lb/> <p> <note xml:id="seg2pn_180_2" prev="#seg2pn_180_1" place="foot" n="3)">μαλερὰ γνάϑος (<hi rendition="#i">Cho.</hi> 324 f.). In dem Wecklied, den Anrufungen der<lb/> Elektra und des Chors in den Choëphoren wird daher die Seele des Aga-<lb/> memnon durchaus als bewusst lebendig, den Anrufungen zugänglich (wie-<lb/> wohl ἐξ ἀμαυρᾶς φρενός 157) gedacht und demgemäss angeredet. (Vgl.<lb/> V. 139. 147 f. 156 f. 479 ff. <hi rendition="#i">Pers.</hi> 636 ff.). Es wird sogar erwartet, dass an<lb/> dem Rachewerk seine Seele, ungesehen erscheinend auf der Oberwelt,<lb/> thätlich theilnehme: ἄκουσον ἐς φάος μολών, ξὺν δὲ γενοῦ πρὸς ἐχϑρούς:<lb/><hi rendition="#i">Cho.</hi> 459 f. (vgl. 489). So hofft in seiner Noth auch <hi rendition="#i">Eum.</hi> 598 Orest,<lb/> dass ἀρωγὰς ἐκ τάφου πέμψει πατήρ. Vor Allem hat der Ermordete An-<lb/> spruch auf Blutrache durch seine ἀγχιστεῖς (οὐδ̕ ἄπ̕ ἄλλων <hi rendition="#i">Cho.</hi> 472),<lb/> Apollo selbst hat dem Orest befohlen, sie auszuüben. <hi rendition="#i">Cho.</hi> 269 ff. etc.<lb/> Grässliche Folgen der Vernachlässigung dieser Pflicht: <hi rendition="#i">Cho.</hi> 278—296<lb/> (eine vielleicht interpolirte, aber ganz im Sinne des Volksglaubens ge-<lb/> haltene Ausführung der Worte des Aesch. selbst V. 271 ff.).</note> </p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [523/0539]
wie die Choëphoren und die Eumeniden, wären ein nichtiges
Schattenspiel, wenn ihnen nicht ungebrochener Glaube an Recht
und Macht der Seelen, an Wirklichkeit und Wirksamkeit der
dämonischen Anwalte der ermordeten Mutter, der Erinyen 1),
Leben und Bedeutung gäbe. Hier erhellt sich jedoch zuletzt
der finster hereinhängende Wolkenhimmel grausigen Wahns.
Wo Pflicht und Frevel sich unentwirrbar verstrickt haben,
findet die Gottheit eine Lösung in ihrer Gnade, die doch dem
Rechte nichts vergiebt.
3)
1) Die Erinyen rächen nur den Mord eines Blutsverwandten, daher
nicht den des Gatten durch die Gattin: Eum. 210—212; 604 ff. Es
scheint aber die Meinung durch, dass sie im Besonderen bestellt seien als
Rächerinnen des Mordes der Mutter durch den Sohn. mehr als wenn
dieser den Vater erschlagen hätte: 658 ff. 736 ff. (Nachklang solcher Be-
trachtungen bei Soph. El. 341 ff. 532 ff. Eurip. Orest. 552 ff.; fragm. 1064).
Dies wird wohl alter (von Aesch. nicht mehr voll anerkannter) Volks-
glaube sein, der aber nicht (wie man vielfach annimmt) auf altem, in
Griechenland sonst nirgends nachweisbarem „Mutterrecht“ zu beruhen
braucht, sondern sich vielleicht einfach daraus erklärt, dass dem Vater
in seiner Sippe noch irdische Bluträcher (auch am eigenen Sohne) leben,
der Mutter dagegen, die aus ihrer Familie ausgeschieden ist, von dort-
her keine Blutrache kommen kann und in der Familie des Mannes kein
Bluträcher zugewachsen ist, der ihren Mord an ihrem eigenen Sohne zu
rächen hätte: daher für sie am entschiedensten und nothwendigsten die
dämonischen Bluträcher, die Erinyen, eintreten müssen, die immer nur
da wirksam gedacht werden, wo kein irdischer Bluträcher vorhanden
ist. — Natürlich soll nirgends geleugnet werden, dass es auch πατρὸς
εὺκταίαν Ἐρινύν (Sept. 721) gebe.
3) μαλερὰ γνάϑος (Cho. 324 f.). In dem Wecklied, den Anrufungen der
Elektra und des Chors in den Choëphoren wird daher die Seele des Aga-
memnon durchaus als bewusst lebendig, den Anrufungen zugänglich (wie-
wohl ἐξ ἀμαυρᾶς φρενός 157) gedacht und demgemäss angeredet. (Vgl.
V. 139. 147 f. 156 f. 479 ff. Pers. 636 ff.). Es wird sogar erwartet, dass an
dem Rachewerk seine Seele, ungesehen erscheinend auf der Oberwelt,
thätlich theilnehme: ἄκουσον ἐς φάος μολών, ξὺν δὲ γενοῦ πρὸς ἐχϑρούς:
Cho. 459 f. (vgl. 489). So hofft in seiner Noth auch Eum. 598 Orest,
dass ἀρωγὰς ἐκ τάφου πέμψει πατήρ. Vor Allem hat der Ermordete An-
spruch auf Blutrache durch seine ἀγχιστεῖς (οὐδ̕ ἄπ̕ ἄλλων Cho. 472),
Apollo selbst hat dem Orest befohlen, sie auszuüben. Cho. 269 ff. etc.
Grässliche Folgen der Vernachlässigung dieser Pflicht: Cho. 278—296
(eine vielleicht interpolirte, aber ganz im Sinne des Volksglaubens ge-
haltene Ausführung der Worte des Aesch. selbst V. 271 ff.).
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |