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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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halt eigner Ueberzeugung, selbsterrungener Einsicht, in die er
gleichgesinnten Freunden, in geweiheter Stunde, einen Blick
eröffnet.

Die Bestandtheile, aus denen Pindar seine Ansicht zu-
sammengefügt hat, sind leicht zu scheiden. Er folgt theologi-
schen Lehren in dem was er von der göttlichen Herkunft der
Seele, ihren Wanderungen durch mehr als einen Leib, von dem
Gericht im Hades, dem Ort der Gottlosen und dem der From-
men in der Unterwelt berichtet. Aber es ist Laientheologie
die er vorträgt; sie bindet sich nicht an eine unabänderliche
Formel und lässt überall spüren, dass ihr Vertreter ein Dichter
ist. In seiner gesammten dichterischen Thätigkeit übt Pindar
das Amt des Sängers zugleich wie ein Lehramt aus, besonders
wo er von den Dingen einer unsichtbaren, göttlichen Welt zu
reden hat. Aber er bleibt bei aller Lehrhaftigkeit ein Dichter,
der, als Wahrer und Walter des Mythus, die Ueberlieferung
in Sage und Glauben nicht fortzuwerfen hat, sondern das
Ueberlieferte reinigen, vertiefen, auch wohl ergänzen und mit
all' diesem rechtfertigen will. So schlingt sich selbst in seine
theologisirende Seelenlehre ihm Dichtersage und Volksglaube
hinein: die Insel der Seligen, die Erhebung des Menschen zum
Heros hat er nicht aufgeben mögen.

Von welcher Seite dem Pindar die theologischen Anre-
gungen gekommen sein mögen, lässt sich nicht sicher bestimmen.
Orphische sowohl wie pythagoreische Doctrinen können ihm in
Sicilien entgegengetreten sein, wo er seit 477 zu wiederholten
Malen sich aufgehalten hat1). Für beide Secten waren jene
Gegenden der wahre Nährboden.

1) Kenntniss mystischer Lehren hätte ja bei dem theologischen Zug
in Pindars Art nichts Auffallendes. Von den Eleusinien (deren Lehre
er übrigens nichts verdankt) redet er fr. 137. In fr. 131 redet er, in
leider völlig entstellten und wohl auch lückenhaft überlieferten Worten,
von "erlösenden Weihen": olbia d apantes aisa lusiponon teletan, wie
das (dactyloepitritische) Metrum verlangt, und nicht teleutan, steht bei
Plut. cons. ad Apoll. 35 auch in dem cod. Vatic. 139 (den ich verglichen
habe). Der Sinn des Satzes ist freilich nicht mehr aufzufinden.

halt eigner Ueberzeugung, selbsterrungener Einsicht, in die er
gleichgesinnten Freunden, in geweiheter Stunde, einen Blick
eröffnet.

Die Bestandtheile, aus denen Pindar seine Ansicht zu-
sammengefügt hat, sind leicht zu scheiden. Er folgt theologi-
schen Lehren in dem was er von der göttlichen Herkunft der
Seele, ihren Wanderungen durch mehr als einen Leib, von dem
Gericht im Hades, dem Ort der Gottlosen und dem der From-
men in der Unterwelt berichtet. Aber es ist Laientheologie
die er vorträgt; sie bindet sich nicht an eine unabänderliche
Formel und lässt überall spüren, dass ihr Vertreter ein Dichter
ist. In seiner gesammten dichterischen Thätigkeit übt Pindar
das Amt des Sängers zugleich wie ein Lehramt aus, besonders
wo er von den Dingen einer unsichtbaren, göttlichen Welt zu
reden hat. Aber er bleibt bei aller Lehrhaftigkeit ein Dichter,
der, als Wahrer und Walter des Mythus, die Ueberlieferung
in Sage und Glauben nicht fortzuwerfen hat, sondern das
Ueberlieferte reinigen, vertiefen, auch wohl ergänzen und mit
all’ diesem rechtfertigen will. So schlingt sich selbst in seine
theologisirende Seelenlehre ihm Dichtersage und Volksglaube
hinein: die Insel der Seligen, die Erhebung des Menschen zum
Heros hat er nicht aufgeben mögen.

Von welcher Seite dem Pindar die theologischen Anre-
gungen gekommen sein mögen, lässt sich nicht sicher bestimmen.
Orphische sowohl wie pythagoreische Doctrinen können ihm in
Sicilien entgegengetreten sein, wo er seit 477 zu wiederholten
Malen sich aufgehalten hat1). Für beide Secten waren jene
Gegenden der wahre Nährboden.

1) Kenntniss mystischer Lehren hätte ja bei dem theologischen Zug
in Pindars Art nichts Auffallendes. Von den Eleusinien (deren Lehre
er übrigens nichts verdankt) redet er fr. 137. In fr. 131 redet er, in
leider völlig entstellten und wohl auch lückenhaft überlieferten Worten,
von „erlösenden Weihen“: ὀλβία δ̕ ἅπαντες αἶσα λυσίπονον τελετάν, wie
das (dactyloepitritische) Metrum verlangt, und nicht τελευτάν, steht bei
Plut. cons. ad Apoll. 35 auch in dem cod. Vatic. 139 (den ich verglichen
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[508/0524] halt eigner Ueberzeugung, selbsterrungener Einsicht, in die er gleichgesinnten Freunden, in geweiheter Stunde, einen Blick eröffnet. Die Bestandtheile, aus denen Pindar seine Ansicht zu- sammengefügt hat, sind leicht zu scheiden. Er folgt theologi- schen Lehren in dem was er von der göttlichen Herkunft der Seele, ihren Wanderungen durch mehr als einen Leib, von dem Gericht im Hades, dem Ort der Gottlosen und dem der From- men in der Unterwelt berichtet. Aber es ist Laientheologie die er vorträgt; sie bindet sich nicht an eine unabänderliche Formel und lässt überall spüren, dass ihr Vertreter ein Dichter ist. In seiner gesammten dichterischen Thätigkeit übt Pindar das Amt des Sängers zugleich wie ein Lehramt aus, besonders wo er von den Dingen einer unsichtbaren, göttlichen Welt zu reden hat. Aber er bleibt bei aller Lehrhaftigkeit ein Dichter, der, als Wahrer und Walter des Mythus, die Ueberlieferung in Sage und Glauben nicht fortzuwerfen hat, sondern das Ueberlieferte reinigen, vertiefen, auch wohl ergänzen und mit all’ diesem rechtfertigen will. So schlingt sich selbst in seine theologisirende Seelenlehre ihm Dichtersage und Volksglaube hinein: die Insel der Seligen, die Erhebung des Menschen zum Heros hat er nicht aufgeben mögen. Von welcher Seite dem Pindar die theologischen Anre- gungen gekommen sein mögen, lässt sich nicht sicher bestimmen. Orphische sowohl wie pythagoreische Doctrinen können ihm in Sicilien entgegengetreten sein, wo er seit 477 zu wiederholten Malen sich aufgehalten hat 1). Für beide Secten waren jene Gegenden der wahre Nährboden. 1) Kenntniss mystischer Lehren hätte ja bei dem theologischen Zug in Pindars Art nichts Auffallendes. Von den Eleusinien (deren Lehre er übrigens nichts verdankt) redet er fr. 137. In fr. 131 redet er, in leider völlig entstellten und wohl auch lückenhaft überlieferten Worten, von „erlösenden Weihen“: ὀλβία δ̕ ἅπαντες αἶσα λυσίπονον τελετάν, wie das (dactyloepitritische) Metrum verlangt, und nicht τελευτάν, steht bei Plut. cons. ad Apoll. 35 auch in dem cod. Vatic. 139 (den ich verglichen habe). Der Sinn des Satzes ist freilich nicht mehr aufzufinden.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/524>, abgerufen am 22.11.2024.