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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Unterwelt die "alte Schuld" für gesühnt hält, so entlässt sie,
im neunten Jahre 1) nach ihrer letzten Ankunft im Hades, die
Seelen noch einmal auf die Oberwelt, zu glücklichem Loose:
sie vollbringen dort noch einen Lebenslauf als Könige, als
Helden in Körperkraft, und als Weise 2). Dann aber scheiden

1) fr. 133. enato etei. Gemeint ist ohne Frage: nach Ablauf einer
Ennaeteris (von 99 Monaten, d. h. 8 Jahren und 3 Schaltmonaten), die
ja nicht nur als Festcyclus (vorzugsweise, aber nicht ausschliesslich, Apol-
linischer) sondern besonders, in altem Sühneverfahren, als Periode der
Selbstverbannung nach einem Morde und der Dienstbarkeit des Uebel-
thäters in der Fremde vorkommt. Apollo dient nach der Erlegung des
Python megan eis eniauton (d. h. eine Ennaeteris hindurch) bei Admetos
(d. h. dem Gott der Unterwelt) und kehrt dann gereinigt zurück (Müller,
Dorier2 I 322); ähnlich Herakles bei Eurystheus (hievon wenigstens eine
Spur bei Apollod. 2, 5, 11, 1: s. Müller, Dor. 1, 440). -- Nach dem Morde
des Iphitos muss Herakles der Omphale als Knecht dienen (hier eigen-
thümliche Verbindung dieser Art der Mordsühne mit der Abkaufung des
Mordes von den Verwandten des Erschlagenen: Apollod. 2, 6, 2. 3; Diodor.
4, 31, 5) wonach er wieder "rein" ist (agnos en Soph. Trach. 258). -- Kadmos
dient nach der Tödtung des Drachen und der Spartoi dem (chthonischen?)
Ares einen eniautos von acht Jahren (Apollod. 3, 4, 2, 1. S. Müller,
Orchom. 213. -- Hippotes muss, nach der Ermordung des Mantis, deka ete
fliehen: Apollod. 2, 8, 3, 3). -- Nach Analogie dieses Brauchs sollen auch
die Götter, die bei der Styx einen Meineid geschworen haben, neun
Jahre von den Olympiern verbannt sein (und in den Hades gebannt:
wie denn eine Knechtschaft im Dienste der khthonioi der eigentliche Sinn
solches apeniautismos ist): Hesiod Th. 793 ff. Orph. fr. 157. In Erinne-
rung an diese Sühneverbannung lässt Pindar als Abschluss der irdischen
Wallfahrt (die selbst schon eine Verbannung ist) die Seele eine Ennaeteris
hindurch im Hades eine letzte Bussstation machen, nach deren Ablauf
endlich die poine für den alten Frevel als voll entrichtet gilt. -- Das
Erdenleben und daran sich anschliessend der Hadesaufenthalt der Seele
gilt als eine Verbannung (wegen schweren Frevels): diese Vorstellung
lag sehr nahe, wenn als eigentliche Heimath der Seele ein Götterland
galt; sie findet sich (gewiss ohne allen Einfluss der kurzen Andeutungen
des Pindar) deutlich ausgeführt bei Empedokles (s. oben p. 471/2).
2) fr. 133. Die Aehnlichkeit mit den Verheissungen des Empedokles
(457 ff.) springt in die Augen, erklärt sich aber wohl nicht aus Nach-
ahmung des Pindar durch E., sondern einfach aus der gleichen Richtung
phantastischen Denkens, das naturgemäss Beide zu ähnlichen Ergebnissen
führte. -- Dem als König Geborenen steht, nach dieser Vorstellung, als
nächstes Loos die Erhebung zur Heroenwürde bevor. Die seltsame
Wendung, mit der Pindar Olymp. 2, 53--56 den Uebergang zu seinen

Unterwelt die „alte Schuld“ für gesühnt hält, so entlässt sie,
im neunten Jahre 1) nach ihrer letzten Ankunft im Hades, die
Seelen noch einmal auf die Oberwelt, zu glücklichem Loose:
sie vollbringen dort noch einen Lebenslauf als Könige, als
Helden in Körperkraft, und als Weise 2). Dann aber scheiden

1) fr. 133. ἐνάτῳ ἔτεϊ. Gemeint ist ohne Frage: nach Ablauf einer
Ennaëteris (von 99 Monaten, d. h. 8 Jahren und 3 Schaltmonaten), die
ja nicht nur als Festcyclus (vorzugsweise, aber nicht ausschliesslich, Apol-
linischer) sondern besonders, in altem Sühneverfahren, als Periode der
Selbstverbannung nach einem Morde und der Dienstbarkeit des Uebel-
thäters in der Fremde vorkommt. Apollo dient nach der Erlegung des
Python μέγαν εἰς ἐνιαυτόν (d. h. eine Ennaëteris hindurch) bei Admetos
(d. h. dem Gott der Unterwelt) und kehrt dann gereinigt zurück (Müller,
Dorier2 I 322); ähnlich Herakles bei Eurystheus (hievon wenigstens eine
Spur bei Apollod. 2, 5, 11, 1: s. Müller, Dor. 1, 440). — Nach dem Morde
des Iphitos muss Herakles der Omphale als Knecht dienen (hier eigen-
thümliche Verbindung dieser Art der Mordsühne mit der Abkaufung des
Mordes von den Verwandten des Erschlagenen: Apollod. 2, 6, 2. 3; Diodor.
4, 31, 5) wonach er wieder „rein“ ist (ἁγνὸς ἦν Soph. Trach. 258). — Kadmos
dient nach der Tödtung des Drachen und der Σπαρτοί dem (chthonischen?)
Ares einen ἐνιαυτός von acht Jahren (Apollod. 3, 4, 2, 1. S. Müller,
Orchom. 213. — Hippotes muss, nach der Ermordung des Mantis, δέκα ἔτη
fliehen: Apollod. 2, 8, 3, 3). — Nach Analogie dieses Brauchs sollen auch
die Götter, die bei der Styx einen Meineid geschworen haben, neun
Jahre von den Olympiern verbannt sein (und in den Hades gebannt:
wie denn eine Knechtschaft im Dienste der χϑόνιοι der eigentliche Sinn
solches ἀπενιαυτισμός ist): Hesiod Th. 793 ff. Orph. fr. 157. In Erinne-
rung an diese Sühneverbannung lässt Pindar als Abschluss der irdischen
Wallfahrt (die selbst schon eine Verbannung ist) die Seele eine Ennaëteris
hindurch im Hades eine letzte Bussstation machen, nach deren Ablauf
endlich die ποινή für den alten Frevel als voll entrichtet gilt. — Das
Erdenleben und daran sich anschliessend der Hadesaufenthalt der Seele
gilt als eine Verbannung (wegen schweren Frevels): diese Vorstellung
lag sehr nahe, wenn als eigentliche Heimath der Seele ein Götterland
galt; sie findet sich (gewiss ohne allen Einfluss der kurzen Andeutungen
des Pindar) deutlich ausgeführt bei Empedokles (s. oben p. 471/2).
2) fr. 133. Die Aehnlichkeit mit den Verheissungen des Empedokles
(457 ff.) springt in die Augen, erklärt sich aber wohl nicht aus Nach-
ahmung des Pindar durch E., sondern einfach aus der gleichen Richtung
phantastischen Denkens, das naturgemäss Beide zu ähnlichen Ergebnissen
führte. — Dem als König Geborenen steht, nach dieser Vorstellung, als
nächstes Loos die Erhebung zur Heroenwürde bevor. Die seltsame
Wendung, mit der Pindar Olymp. 2, 53—56 den Uebergang zu seinen
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[503/0519] Unterwelt die „alte Schuld“ für gesühnt hält, so entlässt sie, im neunten Jahre 1) nach ihrer letzten Ankunft im Hades, die Seelen noch einmal auf die Oberwelt, zu glücklichem Loose: sie vollbringen dort noch einen Lebenslauf als Könige, als Helden in Körperkraft, und als Weise 2). Dann aber scheiden 1) fr. 133. ἐνάτῳ ἔτεϊ. Gemeint ist ohne Frage: nach Ablauf einer Ennaëteris (von 99 Monaten, d. h. 8 Jahren und 3 Schaltmonaten), die ja nicht nur als Festcyclus (vorzugsweise, aber nicht ausschliesslich, Apol- linischer) sondern besonders, in altem Sühneverfahren, als Periode der Selbstverbannung nach einem Morde und der Dienstbarkeit des Uebel- thäters in der Fremde vorkommt. Apollo dient nach der Erlegung des Python μέγαν εἰς ἐνιαυτόν (d. h. eine Ennaëteris hindurch) bei Admetos (d. h. dem Gott der Unterwelt) und kehrt dann gereinigt zurück (Müller, Dorier2 I 322); ähnlich Herakles bei Eurystheus (hievon wenigstens eine Spur bei Apollod. 2, 5, 11, 1: s. Müller, Dor. 1, 440). — Nach dem Morde des Iphitos muss Herakles der Omphale als Knecht dienen (hier eigen- thümliche Verbindung dieser Art der Mordsühne mit der Abkaufung des Mordes von den Verwandten des Erschlagenen: Apollod. 2, 6, 2. 3; Diodor. 4, 31, 5) wonach er wieder „rein“ ist (ἁγνὸς ἦν Soph. Trach. 258). — Kadmos dient nach der Tödtung des Drachen und der Σπαρτοί dem (chthonischen?) Ares einen ἐνιαυτός von acht Jahren (Apollod. 3, 4, 2, 1. S. Müller, Orchom. 213. — Hippotes muss, nach der Ermordung des Mantis, δέκα ἔτη fliehen: Apollod. 2, 8, 3, 3). — Nach Analogie dieses Brauchs sollen auch die Götter, die bei der Styx einen Meineid geschworen haben, neun Jahre von den Olympiern verbannt sein (und in den Hades gebannt: wie denn eine Knechtschaft im Dienste der χϑόνιοι der eigentliche Sinn solches ἀπενιαυτισμός ist): Hesiod Th. 793 ff. Orph. fr. 157. In Erinne- rung an diese Sühneverbannung lässt Pindar als Abschluss der irdischen Wallfahrt (die selbst schon eine Verbannung ist) die Seele eine Ennaëteris hindurch im Hades eine letzte Bussstation machen, nach deren Ablauf endlich die ποινή für den alten Frevel als voll entrichtet gilt. — Das Erdenleben und daran sich anschliessend der Hadesaufenthalt der Seele gilt als eine Verbannung (wegen schweren Frevels): diese Vorstellung lag sehr nahe, wenn als eigentliche Heimath der Seele ein Götterland galt; sie findet sich (gewiss ohne allen Einfluss der kurzen Andeutungen des Pindar) deutlich ausgeführt bei Empedokles (s. oben p. 471/2). 2) fr. 133. Die Aehnlichkeit mit den Verheissungen des Empedokles (457 ff.) springt in die Augen, erklärt sich aber wohl nicht aus Nach- ahmung des Pindar durch E., sondern einfach aus der gleichen Richtung phantastischen Denkens, das naturgemäss Beide zu ähnlichen Ergebnissen führte. — Dem als König Geborenen steht, nach dieser Vorstellung, als nächstes Loos die Erhebung zur Heroenwürde bevor. Die seltsame Wendung, mit der Pindar Olymp. 2, 53—56 den Uebergang zu seinen

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/519>, abgerufen am 22.11.2024.