Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

oder ihm untrennbar eingesenkt, das Geistige, Selbstbewegte,
Lebengebende ist dem Physiologen durchaus ein Allgemeines,
das wahrhaft Seiende ein Unpersönliches. Das Individuelle,
die ihrer selbst und des Aeusseren bewusste Persönlichkeit,
kann ihnen nur eine Erscheinungsform des Allgemeinen sein,
sei dieses ein ruhendes, oder ein lebendig processirendes, sich
unablässig entwickelndes, zersetzendes und zu immer neuen Ge-
bilden zusammenfügendes. Bleibend, unvergänglich ist nur das
Allgemeine, das in allem Einzelnen erscheint, aus ihm hervor-
tönt, in Wahrheit in ihm allein wirkt und lebt. Die einzelne
Menschenseele hat ihre Unvergänglichkeit nur an der Wesens-
gleicheit mit dem Allgemeinen, das in ihr sich darstellt. Die
einzelne Erscheinungsform, in sich unselbständig, kann sich
dauernd nicht erhalten.

Zu der Annahme eines unvergänglichen Lebens der Einzel-
seele konnte nur eine Vorstellung leiten, die die Realität des
Individualgeistes (dessen Erscheinen und Verschwinden inmitten
des grossen Alllebens des Einen im Grunde für die Physio-
logen das wahre, begrifflich nicht aufzulösende Wunder blieb)
als eine Thatsache hinnahm und festhielt. Einen Individualis-
mus dieser Art, den Glauben an selbständig seiende, unge-
wordene und darum auch unvergängliche individuelle Substan-
zen, brachte, wenn auch in noch so phantastischer Gestaltung,
die Reflexion der Theologen heran. Ihnen reicht die innere
Ewigkeit, die Kraft der zeitlich unbegrenzten substantiellen
Dauer bis in die Individualität hinein. Die einzelne Seele ist
ihnen ein, in sich bestehendes einzelnes göttliches Wesen, un-
vergänglich, weil es göttlich ist.

Je nachdem griechische Philosophie, in den mannichfaltigen
Wendungen, die ihre Betrachtung in den folgenden Zeiten sich
gab, an theologischen Elementen mehr oder weniger in sich
aufnahm oder solche ganz verschmähte, hat sie eine Unsterb-
lichkeit der Einzelseelen grundsätzlich bekräftigt, oder halb und
zögernd zugelassen, oder gänzlich abgelehnt.


oder ihm untrennbar eingesenkt, das Geistige, Selbstbewegte,
Lebengebende ist dem Physiologen durchaus ein Allgemeines,
das wahrhaft Seiende ein Unpersönliches. Das Individuelle,
die ihrer selbst und des Aeusseren bewusste Persönlichkeit,
kann ihnen nur eine Erscheinungsform des Allgemeinen sein,
sei dieses ein ruhendes, oder ein lebendig processirendes, sich
unablässig entwickelndes, zersetzendes und zu immer neuen Ge-
bilden zusammenfügendes. Bleibend, unvergänglich ist nur das
Allgemeine, das in allem Einzelnen erscheint, aus ihm hervor-
tönt, in Wahrheit in ihm allein wirkt und lebt. Die einzelne
Menschenseele hat ihre Unvergänglichkeit nur an der Wesens-
gleicheit mit dem Allgemeinen, das in ihr sich darstellt. Die
einzelne Erscheinungsform, in sich unselbständig, kann sich
dauernd nicht erhalten.

Zu der Annahme eines unvergänglichen Lebens der Einzel-
seele konnte nur eine Vorstellung leiten, die die Realität des
Individualgeistes (dessen Erscheinen und Verschwinden inmitten
des grossen Alllebens des Einen im Grunde für die Physio-
logen das wahre, begrifflich nicht aufzulösende Wunder blieb)
als eine Thatsache hinnahm und festhielt. Einen Individualis-
mus dieser Art, den Glauben an selbständig seiende, unge-
wordene und darum auch unvergängliche individuelle Substan-
zen, brachte, wenn auch in noch so phantastischer Gestaltung,
die Reflexion der Theologen heran. Ihnen reicht die innere
Ewigkeit, die Kraft der zeitlich unbegrenzten substantiellen
Dauer bis in die Individualität hinein. Die einzelne Seele ist
ihnen ein, in sich bestehendes einzelnes göttliches Wesen, un-
vergänglich, weil es göttlich ist.

Je nachdem griechische Philosophie, in den mannichfaltigen
Wendungen, die ihre Betrachtung in den folgenden Zeiten sich
gab, an theologischen Elementen mehr oder weniger in sich
aufnahm oder solche ganz verschmähte, hat sie eine Unsterb-
lichkeit der Einzelseelen grundsätzlich bekräftigt, oder halb und
zögernd zugelassen, oder gänzlich abgelehnt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0505" n="489"/>
oder ihm untrennbar eingesenkt, das Geistige, Selbstbewegte,<lb/>
Lebengebende ist dem Physiologen durchaus ein Allgemeines,<lb/>
das wahrhaft Seiende ein Unpersönliches. Das Individuelle,<lb/>
die ihrer selbst und des Aeusseren bewusste Persönlichkeit,<lb/>
kann ihnen nur eine Erscheinungsform des Allgemeinen sein,<lb/>
sei dieses ein ruhendes, oder ein lebendig processirendes, sich<lb/>
unablässig entwickelndes, zersetzendes und zu immer neuen Ge-<lb/>
bilden zusammenfügendes. Bleibend, unvergänglich ist nur das<lb/>
Allgemeine, das in allem Einzelnen erscheint, aus ihm hervor-<lb/>
tönt, in Wahrheit in ihm allein wirkt <choice><sic>uud</sic><corr>und</corr></choice> lebt. Die einzelne<lb/>
Menschenseele hat ihre Unvergänglichkeit nur an der Wesens-<lb/>
gleicheit mit dem Allgemeinen, das in ihr sich darstellt. Die<lb/>
einzelne Erscheinungsform, in sich unselbständig, kann sich<lb/>
dauernd nicht erhalten.</p><lb/>
          <p>Zu der Annahme eines unvergänglichen Lebens der Einzel-<lb/>
seele konnte nur eine Vorstellung leiten, die die Realität des<lb/>
Individualgeistes (dessen Erscheinen und Verschwinden inmitten<lb/>
des grossen Alllebens des Einen im Grunde für die Physio-<lb/>
logen das wahre, begrifflich nicht aufzulösende Wunder blieb)<lb/>
als eine Thatsache hinnahm und festhielt. Einen Individualis-<lb/>
mus dieser Art, den Glauben an selbständig seiende, unge-<lb/>
wordene und darum auch unvergängliche individuelle Substan-<lb/>
zen, brachte, wenn auch in noch so phantastischer Gestaltung,<lb/>
die Reflexion der Theologen heran. Ihnen reicht die innere<lb/>
Ewigkeit, die Kraft der zeitlich unbegrenzten substantiellen<lb/>
Dauer bis in die Individualität hinein. Die einzelne Seele ist<lb/>
ihnen ein, in sich bestehendes einzelnes göttliches Wesen, un-<lb/>
vergänglich, weil es göttlich ist.</p><lb/>
          <p>Je nachdem griechische Philosophie, in den mannichfaltigen<lb/>
Wendungen, die ihre Betrachtung in den folgenden Zeiten sich<lb/>
gab, an theologischen Elementen mehr oder weniger in sich<lb/>
aufnahm oder solche ganz verschmähte, hat sie eine Unsterb-<lb/>
lichkeit der Einzelseelen grundsätzlich bekräftigt, oder halb und<lb/>
zögernd zugelassen, oder gänzlich abgelehnt.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[489/0505] oder ihm untrennbar eingesenkt, das Geistige, Selbstbewegte, Lebengebende ist dem Physiologen durchaus ein Allgemeines, das wahrhaft Seiende ein Unpersönliches. Das Individuelle, die ihrer selbst und des Aeusseren bewusste Persönlichkeit, kann ihnen nur eine Erscheinungsform des Allgemeinen sein, sei dieses ein ruhendes, oder ein lebendig processirendes, sich unablässig entwickelndes, zersetzendes und zu immer neuen Ge- bilden zusammenfügendes. Bleibend, unvergänglich ist nur das Allgemeine, das in allem Einzelnen erscheint, aus ihm hervor- tönt, in Wahrheit in ihm allein wirkt und lebt. Die einzelne Menschenseele hat ihre Unvergänglichkeit nur an der Wesens- gleicheit mit dem Allgemeinen, das in ihr sich darstellt. Die einzelne Erscheinungsform, in sich unselbständig, kann sich dauernd nicht erhalten. Zu der Annahme eines unvergänglichen Lebens der Einzel- seele konnte nur eine Vorstellung leiten, die die Realität des Individualgeistes (dessen Erscheinen und Verschwinden inmitten des grossen Alllebens des Einen im Grunde für die Physio- logen das wahre, begrifflich nicht aufzulösende Wunder blieb) als eine Thatsache hinnahm und festhielt. Einen Individualis- mus dieser Art, den Glauben an selbständig seiende, unge- wordene und darum auch unvergängliche individuelle Substan- zen, brachte, wenn auch in noch so phantastischer Gestaltung, die Reflexion der Theologen heran. Ihnen reicht die innere Ewigkeit, die Kraft der zeitlich unbegrenzten substantiellen Dauer bis in die Individualität hinein. Die einzelne Seele ist ihnen ein, in sich bestehendes einzelnes göttliches Wesen, un- vergänglich, weil es göttlich ist. Je nachdem griechische Philosophie, in den mannichfaltigen Wendungen, die ihre Betrachtung in den folgenden Zeiten sich gab, an theologischen Elementen mehr oder weniger in sich aufnahm oder solche ganz verschmähte, hat sie eine Unsterb- lichkeit der Einzelseelen grundsätzlich bekräftigt, oder halb und zögernd zugelassen, oder gänzlich abgelehnt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/505
Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/505>, abgerufen am 25.11.2024.