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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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schrieben, dass man das Bestreben des Anaxagoras, ihn von
allem Materiellen verschieden, selbst immateriell und unkörper-
lich zu denken, nicht verkennen kann 1). Er ist zugleich Denk-
vermögen und Willenskraft; von ihm ist bei der Weltbildung
die erste wirbelnde Bewegung der an sich bewegungslosen
Masse der Stoffe mitgetheilt, und die Bildung bestimmter Ge-
stalten nach bewusster Zweckmässigkeit begonnen, deren Durch-
führung dann freilich nach rein mechanischen Gesetzen, ohne
Zuthun des "Geistes" sich vollziehen soll. Dieser, die Welt
nicht schaffende aber planvoll ordnende "Geist", der nach der
bewussten Einsicht seiner Allweisheit 2) die Stoffe beeinflusst,
selbst von ihnen unbeeinflusst bleibt, sie bewegt ohne selbst
bewegt zu sein 3), der Vielheit der Dinge als untheilbar Einer
gegenübersteht 4), "mit nichts ausser ihm etwas gemein hat" 5),
sondern sich allein für sich hält 6) -- wie soll man ihn sich
anders denken denn als eine, fast persönlich vorgestellte,
ausserweltliche Gotteskraft, der Welt des Stofflichen fremd
entgegenstehend, von aussen (magisch, nicht mechanisch) sie
beherrschend?

Aber dieser Jenseitige ist zugleich ein völlig Diesseitiger.

bild dessen, was ihm in Wahrheit allein ein Handeln nach vorbewussten
Zwecken gezeigt hatte, des menschlichen Geistes.
1) Vgl. hiezu und zum Folgenden Heinze, Ber. d. Sächs. Ges. d.
Wiss. 1890 p. 1 ff.
2) Allweise muss der nous doch sein, wenn er gnomen peri pantos
pasan iskhei (fr. 6 Mull.). Er hat geordnet (diekosmese) nicht nur was
war und ist, sondern auch was sein wird: fr. 6. 12.
3) Aristot. Phys. 256 b, 24 ff.
4) o gar nous (des Anaxagoras) eis: Aristot. metaph. 1069 b, 31. Da-
gegen die khremata apeira plethos: Anax. fr. 1.
5) Anaxagoras phesi ton noun koinon outhen outheni ton allon ekhein.
Aristot. de an. 1, 2 p. 405 b, 19 ff.; vgl. III 4 p. 429 b, 23 f.
6) Anax. fr. 6: ta men alla <panta> pantos moiran metekhei, noos de
esti apeiron (? bildet nicht den erforderlichen Gegensatz zu dem Vorher-
gehenden. Vielleicht aploon? Vom nous so Anax. nach Aristot. de an.
405 a, 16; 429 b, 23) kai autokrates kai memiktai oudeni khremati, alla
mounos autos eph eoutou esti [aploon jetzt auch Zeller, Archiv f. G. d.
Philos. 5, 441].

schrieben, dass man das Bestreben des Anaxagoras, ihn von
allem Materiellen verschieden, selbst immateriell und unkörper-
lich zu denken, nicht verkennen kann 1). Er ist zugleich Denk-
vermögen und Willenskraft; von ihm ist bei der Weltbildung
die erste wirbelnde Bewegung der an sich bewegungslosen
Masse der Stoffe mitgetheilt, und die Bildung bestimmter Ge-
stalten nach bewusster Zweckmässigkeit begonnen, deren Durch-
führung dann freilich nach rein mechanischen Gesetzen, ohne
Zuthun des „Geistes“ sich vollziehen soll. Dieser, die Welt
nicht schaffende aber planvoll ordnende „Geist“, der nach der
bewussten Einsicht seiner Allweisheit 2) die Stoffe beeinflusst,
selbst von ihnen unbeeinflusst bleibt, sie bewegt ohne selbst
bewegt zu sein 3), der Vielheit der Dinge als untheilbar Einer
gegenübersteht 4), „mit nichts ausser ihm etwas gemein hat“ 5),
sondern sich allein für sich hält 6) — wie soll man ihn sich
anders denken denn als eine, fast persönlich vorgestellte,
ausserweltliche Gotteskraft, der Welt des Stofflichen fremd
entgegenstehend, von aussen (magisch, nicht mechanisch) sie
beherrschend?

Aber dieser Jenseitige ist zugleich ein völlig Diesseitiger.

bild dessen, was ihm in Wahrheit allein ein Handeln nach vorbewussten
Zwecken gezeigt hatte, des menschlichen Geistes.
1) Vgl. hiezu und zum Folgenden Heinze, Ber. d. Sächs. Ges. d.
Wiss. 1890 p. 1 ff.
2) Allweise muss der νοῦς doch sein, wenn er γνώμην περὶ παντὸς
πᾶσαν ἴσχει (fr. 6 Mull.). Er hat geordnet (διεκόσμησε) nicht nur was
war und ist, sondern auch was sein wird: fr. 6. 12.
3) Aristot. Phys. 256 b, 24 ff.
4) ὁ γἀρ νοῦς (des Anaxagoras) εἷς: Aristot. metaph. 1069 b, 31. Da-
gegen die χρήματα ἄπειρα πλῆϑος: Anax. fr. 1.
5) Ἀναξαγόρας φησὶ τὸν νοῦν κοινὸν οὐϑὲν οὐϑενὶ τῶν ἄλλων ἔχειν.
Aristot. de an. 1, 2 p. 405 b, 19 ff.; vgl. III 4 p. 429 b, 23 f.
6) Anax. fr. 6: τὰ μὲν ἄλλα <πάντα> παντὸς μοῖραν μετέχει, νόος δέ
ἐστι ἄπειρον (? bildet nicht den erforderlichen Gegensatz zu dem Vorher-
gehenden. Vielleicht ἁπλόον? Vom νοῦς so Anax. nach Aristot. de an.
405 a, 16; 429 b, 23) καὶ αὐτοκρατὲς καὶ μέμικται οὐδενὶ χρήματι, ἀλλὰ
μοῦνος αὐτὸς ἐφ̕ ἑωυτοῦ ἐστι [ἁπλόον jetzt auch Zeller, Archiv f. G. d.
Philos. 5, 441].
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[485/0501] schrieben, dass man das Bestreben des Anaxagoras, ihn von allem Materiellen verschieden, selbst immateriell und unkörper- lich zu denken, nicht verkennen kann 1). Er ist zugleich Denk- vermögen und Willenskraft; von ihm ist bei der Weltbildung die erste wirbelnde Bewegung der an sich bewegungslosen Masse der Stoffe mitgetheilt, und die Bildung bestimmter Ge- stalten nach bewusster Zweckmässigkeit begonnen, deren Durch- führung dann freilich nach rein mechanischen Gesetzen, ohne Zuthun des „Geistes“ sich vollziehen soll. Dieser, die Welt nicht schaffende aber planvoll ordnende „Geist“, der nach der bewussten Einsicht seiner Allweisheit 2) die Stoffe beeinflusst, selbst von ihnen unbeeinflusst bleibt, sie bewegt ohne selbst bewegt zu sein 3), der Vielheit der Dinge als untheilbar Einer gegenübersteht 4), „mit nichts ausser ihm etwas gemein hat“ 5), sondern sich allein für sich hält 6) — wie soll man ihn sich anders denken denn als eine, fast persönlich vorgestellte, ausserweltliche Gotteskraft, der Welt des Stofflichen fremd entgegenstehend, von aussen (magisch, nicht mechanisch) sie beherrschend? Aber dieser Jenseitige ist zugleich ein völlig Diesseitiger. 1) 1) Vgl. hiezu und zum Folgenden Heinze, Ber. d. Sächs. Ges. d. Wiss. 1890 p. 1 ff. 2) Allweise muss der νοῦς doch sein, wenn er γνώμην περὶ παντὸς πᾶσαν ἴσχει (fr. 6 Mull.). Er hat geordnet (διεκόσμησε) nicht nur was war und ist, sondern auch was sein wird: fr. 6. 12. 3) Aristot. Phys. 256 b, 24 ff. 4) ὁ γἀρ νοῦς (des Anaxagoras) εἷς: Aristot. metaph. 1069 b, 31. Da- gegen die χρήματα ἄπειρα πλῆϑος: Anax. fr. 1. 5) Ἀναξαγόρας φησὶ τὸν νοῦν κοινὸν οὐϑὲν οὐϑενὶ τῶν ἄλλων ἔχειν. Aristot. de an. 1, 2 p. 405 b, 19 ff.; vgl. III 4 p. 429 b, 23 f. 6) Anax. fr. 6: τὰ μὲν ἄλλα <πάντα> παντὸς μοῖραν μετέχει, νόος δέ ἐστι ἄπειρον (? bildet nicht den erforderlichen Gegensatz zu dem Vorher- gehenden. Vielleicht ἁπλόον? Vom νοῦς so Anax. nach Aristot. de an. 405 a, 16; 429 b, 23) καὶ αὐτοκρατὲς καὶ μέμικται οὐδενὶ χρήματι, ἀλλὰ μοῦνος αὐτὸς ἐφ̕ ἑωυτοῦ ἐστι [ἁπλόον jetzt auch Zeller, Archiv f. G. d. Philos. 5, 441]. 1) bild dessen, was ihm in Wahrheit allein ein Handeln nach vorbewussten Zwecken gezeigt hatte, des menschlichen Geistes.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/501>, abgerufen am 22.11.2024.