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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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um so einleuchtender ist es, dass eine einheitliche "Seele" sich
nach der Lösung der zum Organismus vereinigten Atome,
die der Tod bringt, unmöglich erhalten könne. Die Seelen-
atome zerstreuen sich 1), sie treten zurück in die schwebende
Masse der Weltenstoffe. Der Mensch vergeht nach dieser Be-
trachtungsweise im Tode gänzlich 2). Die Stoffe, aus denen er

1) Die Seele, nach Demokrit, ekbainei men tou somatos, en de to
ekbainein diaphoreitai kai diaskedannutai. Jamblich. bei Stob. ecl. 384, 16 f. W.
2) Demokrit phtharten (einai phesi ten psukhen) to somati sundiaphtheiro-
menen. Doxogr. 394 a, 8. Da die Zerstreuung der Seelenatome nicht mit
Einem Schlage vollendet sein wird, so mag der Tod bisweilen nur ein
scheinbarer sein, wenn viele, aber noch nicht alle Seelentheile entwichen
sind. Daher auch, bei etwaiger Wiederansammlung neuer Seelenatome,
anabioseis Todtgeglaubter vorkommen. Von diesen scheint in der Schrift
peri ton en Aidou (Laert. D. 9, 46; zu den berühmtesten, wenigstens
populärsten Schriften des D. gerechnet in der Anekdote bei Athen. 4,
168 B; vgl. Pseudohippocr. epist. 10, 3 p. 291 Hch.) die Rede gewesen
zu sein: s. Procl. ad Remp. p. 61. 62 Sch. Aus dieser nur auf die nächste
Zeit nach dem (scheinbaren) Tode bezüglichen Annahme der Erhaltung
eines Lebensrestes (welche noch ziemlich richtig bezeichnet ist bei Plut.
plac. phil. 4, 4, 7, dem D. übrigens vielleicht durch eine ähnliche Beob-
achtung des Parmenides nahegelegt worden war [s. oben p. 448]), wurde
dann die Behauptung gebildet und dem D. zugeschrieben, dass überhaupt
ta nekra ton somaton aisthanetai: so Alex. Aphrodis. in Schol. Aristot.
253 b, 42 Br., Stob. ecl. 477, 18 W. In wirklich "todten", d. h. von
allen Seelenatomen verlassenen Körpern nahm D. jedenfalls keinerlei
aisthesis an; gegen die, ihm dies zutrauende, Vergröberung seiner Mei-
nung, schon durch Epikur, haben wohl die Democritici, von denen
Cicero, Tusc. 1 § 82 redet, protestiren wollen. -- Auf solche Betrach-
tungen rein physischer Art wird sich die Schrift peri ton en Aidou übri-
gens keineswegs beschränkt haben, sonst hätte Thrasylos (bei Laert. 9, 46)
sie nicht in die Classe der ethika biblia des D. stellen können. Was
freilich, von Demokrits Standpunkt aus, über "die Zustände in der Unter-
welt" sich hätte sagen lassen, ist schwer einzusehn. Schwerlich wird
man auch den D. sich aufgelegt denken dürfen (wie, mit Heyne, Mullach
Dem. fr. p. 117. 118 annimmt), die Fabeleien der Dichter über das
Schattenreich zu widerlegen oder zu parodiren. Man kann nicht wissen,
ob die Schrift wirklich von D. verfasst war; spätere Fälschungen haben ja
den besonnensten der Materialisten mit Vorliebe zum Magus und Tausend-
künstler gemacht. (Noch an Demokrits Beobachtung der Möglichkeit des
anabioun ist, wie z. Th. die Schrift p. t. en adou, angelehnt die Anekdote,
die ihn dem Perserkönig die Wiederbelebung seiner verstorbenen Frau
versprechen lässt u. s. w.: eine Variation einer sinnreichen, in Orient
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um so einleuchtender ist es, dass eine einheitliche „Seele“ sich
nach der Lösung der zum Organismus vereinigten Atome,
die der Tod bringt, unmöglich erhalten könne. Die Seelen-
atome zerstreuen sich 1), sie treten zurück in die schwebende
Masse der Weltenstoffe. Der Mensch vergeht nach dieser Be-
trachtungsweise im Tode gänzlich 2). Die Stoffe, aus denen er

1) Die Seele, nach Demokrit, ἐκβαίνει μὲν τοῦ σώματος, ἐν δὲ τῷ
ἐκβαίνειν διαφορεῖται καὶ διασκεδάννυται. Jamblich. bei Stob. ecl. 384, 16 f. W.
2) Demokrit φϑαρτὴν (εἶναί φησι τὴν ψυχήν) τῷ σώματι συνδιαφϑειρο-
μένην. Doxogr. 394 a, 8. Da die Zerstreuung der Seelenatome nicht mit
Einem Schlage vollendet sein wird, so mag der Tod bisweilen nur ein
scheinbarer sein, wenn viele, aber noch nicht alle Seelentheile entwichen
sind. Daher auch, bei etwaiger Wiederansammlung neuer Seelenatome,
ἀναβιώσεις Todtgeglaubter vorkommen. Von diesen scheint in der Schrift
περὶ τῶν ἐν Ἅιδου (Laert. D. 9, 46; zu den berühmtesten, wenigstens
populärsten Schriften des D. gerechnet in der Anekdote bei Athen. 4,
168 B; vgl. Pseudohippocr. epist. 10, 3 p. 291 Hch.) die Rede gewesen
zu sein: s. Procl. ad Remp. p. 61. 62 Sch. Aus dieser nur auf die nächste
Zeit nach dem (scheinbaren) Tode bezüglichen Annahme der Erhaltung
eines Lebensrestes (welche noch ziemlich richtig bezeichnet ist bei Plut.
plac. phil. 4, 4, 7, dem D. übrigens vielleicht durch eine ähnliche Beob-
achtung des Parmenides nahegelegt worden war [s. oben p. 448]), wurde
dann die Behauptung gebildet und dem D. zugeschrieben, dass überhaupt
τὰ νεκρὰ τῶν σωμάτων αἰσϑάνεται: so Alex. Aphrodis. in Schol. Aristot.
253 b, 42 Br., Stob. ecl. 477, 18 W. In wirklich „todten“, d. h. von
allen Seelenatomen verlassenen Körpern nahm D. jedenfalls keinerlei
αἴσϑησις an; gegen die, ihm dies zutrauende, Vergröberung seiner Mei-
nung, schon durch Epikur, haben wohl die Democritici, von denen
Cicero, Tusc. 1 § 82 redet, protestiren wollen. — Auf solche Betrach-
tungen rein physischer Art wird sich die Schrift περὶ τῶν ἐν Ἅιδου übri-
gens keineswegs beschränkt haben, sonst hätte Thrasylos (bei Laert. 9, 46)
sie nicht in die Classe der ἠϑικὰ βιβλία des D. stellen können. Was
freilich, von Demokrits Standpunkt aus, über „die Zustände in der Unter-
welt“ sich hätte sagen lassen, ist schwer einzusehn. Schwerlich wird
man auch den D. sich aufgelegt denken dürfen (wie, mit Heyne, Mullach
Dem. fr. p. 117. 118 annimmt), die Fabeleien der Dichter über das
Schattenreich zu widerlegen oder zu parodiren. Man kann nicht wissen,
ob die Schrift wirklich von D. verfasst war; spätere Fälschungen haben ja
den besonnensten der Materialisten mit Vorliebe zum Magus und Tausend-
künstler gemacht. (Noch an Demokrits Beobachtung der Möglichkeit des
ἀναβιοῦν ist, wie z. Th. die Schrift π. τ. ἐν ᾅδου, angelehnt die Anekdote,
die ihn dem Perserkönig die Wiederbelebung seiner verstorbenen Frau
versprechen lässt u. s. w.: eine Variation einer sinnreichen, in Orient
31*
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[483/0499] um so einleuchtender ist es, dass eine einheitliche „Seele“ sich nach der Lösung der zum Organismus vereinigten Atome, die der Tod bringt, unmöglich erhalten könne. Die Seelen- atome zerstreuen sich 1), sie treten zurück in die schwebende Masse der Weltenstoffe. Der Mensch vergeht nach dieser Be- trachtungsweise im Tode gänzlich 2). Die Stoffe, aus denen er 1) Die Seele, nach Demokrit, ἐκβαίνει μὲν τοῦ σώματος, ἐν δὲ τῷ ἐκβαίνειν διαφορεῖται καὶ διασκεδάννυται. Jamblich. bei Stob. ecl. 384, 16 f. W. 2) Demokrit φϑαρτὴν (εἶναί φησι τὴν ψυχήν) τῷ σώματι συνδιαφϑειρο- μένην. Doxogr. 394 a, 8. Da die Zerstreuung der Seelenatome nicht mit Einem Schlage vollendet sein wird, so mag der Tod bisweilen nur ein scheinbarer sein, wenn viele, aber noch nicht alle Seelentheile entwichen sind. Daher auch, bei etwaiger Wiederansammlung neuer Seelenatome, ἀναβιώσεις Todtgeglaubter vorkommen. Von diesen scheint in der Schrift περὶ τῶν ἐν Ἅιδου (Laert. D. 9, 46; zu den berühmtesten, wenigstens populärsten Schriften des D. gerechnet in der Anekdote bei Athen. 4, 168 B; vgl. Pseudohippocr. epist. 10, 3 p. 291 Hch.) die Rede gewesen zu sein: s. Procl. ad Remp. p. 61. 62 Sch. Aus dieser nur auf die nächste Zeit nach dem (scheinbaren) Tode bezüglichen Annahme der Erhaltung eines Lebensrestes (welche noch ziemlich richtig bezeichnet ist bei Plut. plac. phil. 4, 4, 7, dem D. übrigens vielleicht durch eine ähnliche Beob- achtung des Parmenides nahegelegt worden war [s. oben p. 448]), wurde dann die Behauptung gebildet und dem D. zugeschrieben, dass überhaupt τὰ νεκρὰ τῶν σωμάτων αἰσϑάνεται: so Alex. Aphrodis. in Schol. Aristot. 253 b, 42 Br., Stob. ecl. 477, 18 W. In wirklich „todten“, d. h. von allen Seelenatomen verlassenen Körpern nahm D. jedenfalls keinerlei αἴσϑησις an; gegen die, ihm dies zutrauende, Vergröberung seiner Mei- nung, schon durch Epikur, haben wohl die Democritici, von denen Cicero, Tusc. 1 § 82 redet, protestiren wollen. — Auf solche Betrach- tungen rein physischer Art wird sich die Schrift περὶ τῶν ἐν Ἅιδου übri- gens keineswegs beschränkt haben, sonst hätte Thrasylos (bei Laert. 9, 46) sie nicht in die Classe der ἠϑικὰ βιβλία des D. stellen können. Was freilich, von Demokrits Standpunkt aus, über „die Zustände in der Unter- welt“ sich hätte sagen lassen, ist schwer einzusehn. Schwerlich wird man auch den D. sich aufgelegt denken dürfen (wie, mit Heyne, Mullach Dem. fr. p. 117. 118 annimmt), die Fabeleien der Dichter über das Schattenreich zu widerlegen oder zu parodiren. Man kann nicht wissen, ob die Schrift wirklich von D. verfasst war; spätere Fälschungen haben ja den besonnensten der Materialisten mit Vorliebe zum Magus und Tausend- künstler gemacht. (Noch an Demokrits Beobachtung der Möglichkeit des ἀναβιοῦν ist, wie z. Th. die Schrift π. τ. ἐν ᾅδου, angelehnt die Anekdote, die ihn dem Perserkönig die Wiederbelebung seiner verstorbenen Frau versprechen lässt u. s. w.: eine Variation einer sinnreichen, in Orient 31*

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/499>, abgerufen am 22.11.2024.