Homer bisher nicht einmal ein Rudiment gefunden haben, von einem Seelencult nach beendigter Bestattung, auch hiervon hat, wie mir scheint, das vorhomerische Mykenae uns eine Spur bewahrt. Ueber der Mitte des vierten der auf der Burg gefundenen Schachtgräber hat sich ein Altar gefunden, der dort erst aufgerichtet sein kann, als das Grab zugeschüttet und geschlossen war 1). Es ist ein runder Altar, hohl in der Mitte, auch im untersten Grunde nicht durch eine Platte ab- geschlossen. Also eine Art Röhre, direct auf der Erde auf- stehend. Liess man etwa das Blut des Opferthieres, die ge- mischte Flüssigkeit des Trankopfers in diese Röhre hineinfliessen, so rieselte das Nass direct in die Erde hinein, hinunter zu den Todten, die drunten gebettet waren. Dies ist kein Altar (bomos) für die Götter, sondern ein Opferheerd (eskhara) für die Unterirdischen: genau entspricht dies Bauwerk den Be- schreibungen solcher Heerde, an denen man die "Heroen", d. h. die verklärten Seelen später zu verehren pflegte 2). Wir sehen hier also eine Einrichtung für dauernden und wieder- holten Seelencult vor uns; denn nur solchem Dienste kann diese Stätte bestimmt gewesen sein; das Todtenopfer bei der Bestattung war ja bereits im Inneren des Grabes vollzogen. Und so scheint auch in den Kuppelgräbern der gewölbte Haupt- raum, neben dem die Leichen in kleinerer Kammer ruhten, zur Darbringung der Todtenopfer, und sicherlich nicht nur ein- maliger, bestimmt gewesen zu sein. Wenigstens dient anderswo in Gräbern mit doppelter Kammer der Vorderraum solchem
1) Schliemann, Mykenae S. 246. 247. Abbildung auf Plan F.
2) eskhara eigentlich eph es tois erosin apothuomen. Pollux I 8. Vgl. Neanthes bei Ammon, diff. voc. p. 34 Valck. Eine solche eskhara steht, ohne Stufenuntersatz, direct auf dem Erdboden (me ekhousa upsos, all epi ges idrumene), sie ist rund (strogguloeides) und hohl (koile). S. nament- lich Harpocration p. 87, 15 ff., Photius Lex. s. eskhara (zwei Glossen), Bekker, anecd. 256, 32; Etym. M. 384, 12 ff.; Schol. Od. z 56; Eustath. Od. ps 71; Schol. Eurip. Phoeniss. 284. Die eskhara steht offenbar von der Opfergrube des Todtencultes nicht weit ab; daher sie auch wohl geradezu bothros genannt wird: Schol. Eurip. Ph. 274. (skapte Steph. Byz. p. 191, 7 Mein.)
Rohde, Seelencult. 3
Homer bisher nicht einmal ein Rudiment gefunden haben, von einem Seelencult nach beendigter Bestattung, auch hiervon hat, wie mir scheint, das vorhomerische Mykenae uns eine Spur bewahrt. Ueber der Mitte des vierten der auf der Burg gefundenen Schachtgräber hat sich ein Altar gefunden, der dort erst aufgerichtet sein kann, als das Grab zugeschüttet und geschlossen war 1). Es ist ein runder Altar, hohl in der Mitte, auch im untersten Grunde nicht durch eine Platte ab- geschlossen. Also eine Art Röhre, direct auf der Erde auf- stehend. Liess man etwa das Blut des Opferthieres, die ge- mischte Flüssigkeit des Trankopfers in diese Röhre hineinfliessen, so rieselte das Nass direct in die Erde hinein, hinunter zu den Todten, die drunten gebettet waren. Dies ist kein Altar (βωμός) für die Götter, sondern ein Opferheerd (ἐσχάρα) für die Unterirdischen: genau entspricht dies Bauwerk den Be- schreibungen solcher Heerde, an denen man die „Heroen“, d. h. die verklärten Seelen später zu verehren pflegte 2). Wir sehen hier also eine Einrichtung für dauernden und wieder- holten Seelencult vor uns; denn nur solchem Dienste kann diese Stätte bestimmt gewesen sein; das Todtenopfer bei der Bestattung war ja bereits im Inneren des Grabes vollzogen. Und so scheint auch in den Kuppelgräbern der gewölbte Haupt- raum, neben dem die Leichen in kleinerer Kammer ruhten, zur Darbringung der Todtenopfer, und sicherlich nicht nur ein- maliger, bestimmt gewesen zu sein. Wenigstens dient anderswo in Gräbern mit doppelter Kammer der Vorderraum solchem
1) Schliemann, Mykenae S. 246. 247. Abbildung auf Plan F.
2) ἐσχάρα eigentlich ἐφ̕ ἧς τοῖς ἤρωσιν ἀποϑύομεν. Pollux I 8. Vgl. Neanthes bei Ammon, diff. voc. p. 34 Valck. Eine solche ἐσχάρα steht, ohne Stufenuntersatz, direct auf dem Erdboden (μὴ ἔχουσα ὕψος, ἀλλ̕ ἐπὶ γῆς ἱδρυμένη), sie ist rund (στρογγυλοειδής) und hohl (κοίλη). S. nament- lich Harpocration p. 87, 15 ff., Photius Lex. s. ἐσχάρα (zwei Glossen), Bekker, anecd. 256, 32; Etym. M. 384, 12 ff.; Schol. Od. ζ 56; Eustath. Od. ψ 71; Schol. Eurip. Phoeniss. 284. Die ἐσχάρα steht offenbar von der Opfergrube des Todtencultes nicht weit ab; daher sie auch wohl geradezu βόϑρος genannt wird: Schol. Eurip. Ph. 274. (σκαπτή Steph. Byz. p. 191, 7 Mein.)
Rohde, Seelencult. 3
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Homer bisher nicht einmal ein Rudiment gefunden haben, von
einem Seelencult nach beendigter Bestattung, auch hiervon
hat, wie mir scheint, das vorhomerische Mykenae uns eine
Spur bewahrt. Ueber der Mitte des vierten der auf der Burg
gefundenen Schachtgräber hat sich ein Altar gefunden, der
dort erst aufgerichtet sein kann, als das Grab zugeschüttet
und geschlossen war 1). Es ist ein runder Altar, hohl in der
Mitte, auch im untersten Grunde nicht durch eine Platte ab-
geschlossen. Also eine Art Röhre, direct auf der Erde auf-
stehend. Liess man etwa das Blut des Opferthieres, die ge-
mischte Flüssigkeit des Trankopfers in diese Röhre hineinfliessen,
so rieselte das Nass direct in die Erde hinein, hinunter zu
den Todten, die drunten gebettet waren. Dies ist kein Altar
(βωμός) für die Götter, sondern ein Opferheerd (ἐσχάρα) für
die Unterirdischen: genau entspricht dies Bauwerk den Be-
schreibungen solcher Heerde, an denen man die „Heroen“,
d. h. die verklärten Seelen später zu verehren pflegte 2). Wir
sehen hier also eine Einrichtung für dauernden und wieder-
holten Seelencult vor uns; denn nur solchem Dienste kann
diese Stätte bestimmt gewesen sein; das Todtenopfer bei der
Bestattung war ja bereits im Inneren des Grabes vollzogen.
Und so scheint auch in den Kuppelgräbern der gewölbte Haupt-
raum, neben dem die Leichen in kleinerer Kammer ruhten,
zur Darbringung der Todtenopfer, und sicherlich nicht nur ein-
maliger, bestimmt gewesen zu sein. Wenigstens dient anderswo
in Gräbern mit doppelter Kammer der Vorderraum solchem
1) Schliemann, Mykenae S. 246. 247. Abbildung auf Plan F.
2) ἐσχάρα eigentlich ἐφ̕ ἧς τοῖς ἤρωσιν ἀποϑύομεν. Pollux I 8. Vgl.
Neanthes bei Ammon, diff. voc. p. 34 Valck. Eine solche ἐσχάρα steht,
ohne Stufenuntersatz, direct auf dem Erdboden (μὴ ἔχουσα ὕψος, ἀλλ̕ ἐπὶ
γῆς ἱδρυμένη), sie ist rund (στρογγυλοειδής) und hohl (κοίλη). S. nament-
lich Harpocration p. 87, 15 ff., Photius Lex. s. ἐσχάρα (zwei Glossen),
Bekker, anecd. 256, 32; Etym. M. 384, 12 ff.; Schol. Od. ζ 56; Eustath.
Od. ψ 71; Schol. Eurip. Phoeniss. 284. Die ἐσχάρα steht offenbar von der
Opfergrube des Todtencultes nicht weit ab; daher sie auch wohl geradezu
βόϑρος genannt wird: Schol. Eurip. Ph. 274. (σκαπτή Steph. Byz. p. 191,
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Rohde, Seelencult. 3
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/49>, abgerufen am 27.07.2024.
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