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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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zum Heile die Strasse", schildert der Eingang seiner "Reini-
gungen" 1); seinen Jünger Pausanias will er, nach eigensten
Erfahrungen, lehren alle Heilmittel und ihre Kräfte, und die
Künste, Winde zu stillen und zu erregen, Trockenheit und
Regen zu bewirken, aus dem Hades die schon Verstorbenen
heraufzuführen 2). Er rühmt sich selbst, ein Zauberer zu sein,
und "zaubern" sah ihn sein Schüler Gorgias 3). In ihm ge-
winnen jene Bestrebungen der Katharten, Sühnpriester und
Seher, die eine schon zur Vergangenheit versinkende Zeit als
höchste Weisheit verehrt hatte, Stimme und litterarischen Aus-
druck, den Ausdruck vollster persönlicher Ueberzeugung von
der Thatsächlichkeit ihrer die Natur überwältigenden Kräfte
und von der Gottähnlichkeit des zu dieser fast übermensch-
lichen Gewalt des Naturzwanges Aufgestiegenen. Als ein
Gott, ein unsterblicher, dem Tod nicht mehr drohe, ziehe er
durch das Land, so versichert Empedokles selbst 4). Er mag
vielerorten Glauben gefunden haben. Zwar eine geregelte Ge-
nossenschaft von Jüngern und Anhängern, eine Secte, hat er
nicht versammelt; dies scheint auch nicht in seiner Absicht
gelegen zu haben. Aber er, als Einzelner und Unvergleich-
licher, in der Wucht und Würde seiner selbstvertrauenden
Persönlichkeit, der als Mystiker und Politiker in die irdische
Gegenwart seiner Zeitgenossen regelnd eingriff, und über alle
Zeit und Zeitlichkeit hinaus in ein seliges Gottesdasein als
Ziel des Menschenlebens hinüberwies, muss einen tiefen Ein-

1) V. 401 ff. (Mull.).
2) V. 462 ff.
3) Satyrus bei Laert. D. 8, 59. -- Berühmt blieb namentlich seine
zauberhafte Abwendung schlimmer Winde (vgl. V. 464) von Akragas
(s. Welcker, Kl. Schr. 3, 60. 61. -- Die Eselshäute mit denen E. die Nord-
winde von Akragas fern hält, dienen jedenfalls als apotropäisch wirken-
des, Geister verscheuchendes Zaubermittel. So schützt man sich durch
Aufhängen des Fells einer Hyäne, eines Seehundes u. s. w. gegen Hagel
und Blitz [s. Geopon. I 14, 3. 5; I 16; und dazu Niclas' Noten]. Diese
Felle ekhousi dunamin antipathe: Plut. Symp. 4, 2, 1).
4) -- ego dumin theos ambrotos, ouketi thnetos, poleumai meta pasi
tetimenos ktl. 400 f.

zum Heile die Strasse“, schildert der Eingang seiner „Reini-
gungen“ 1); seinen Jünger Pausanias will er, nach eigensten
Erfahrungen, lehren alle Heilmittel und ihre Kräfte, und die
Künste, Winde zu stillen und zu erregen, Trockenheit und
Regen zu bewirken, aus dem Hades die schon Verstorbenen
heraufzuführen 2). Er rühmt sich selbst, ein Zauberer zu sein,
und „zaubern“ sah ihn sein Schüler Gorgias 3). In ihm ge-
winnen jene Bestrebungen der Katharten, Sühnpriester und
Seher, die eine schon zur Vergangenheit versinkende Zeit als
höchste Weisheit verehrt hatte, Stimme und litterarischen Aus-
druck, den Ausdruck vollster persönlicher Ueberzeugung von
der Thatsächlichkeit ihrer die Natur überwältigenden Kräfte
und von der Gottähnlichkeit des zu dieser fast übermensch-
lichen Gewalt des Naturzwanges Aufgestiegenen. Als ein
Gott, ein unsterblicher, dem Tod nicht mehr drohe, ziehe er
durch das Land, so versichert Empedokles selbst 4). Er mag
vielerorten Glauben gefunden haben. Zwar eine geregelte Ge-
nossenschaft von Jüngern und Anhängern, eine Secte, hat er
nicht versammelt; dies scheint auch nicht in seiner Absicht
gelegen zu haben. Aber er, als Einzelner und Unvergleich-
licher, in der Wucht und Würde seiner selbstvertrauenden
Persönlichkeit, der als Mystiker und Politiker in die irdische
Gegenwart seiner Zeitgenossen regelnd eingriff, und über alle
Zeit und Zeitlichkeit hinaus in ein seliges Gottesdasein als
Ziel des Menschenlebens hinüberwies, muss einen tiefen Ein-

1) V. 401 ff. (Mull.).
2) V. 462 ff.
3) Satyrus bei Laert. D. 8, 59. — Berühmt blieb namentlich seine
zauberhafte Abwendung schlimmer Winde (vgl. V. 464) von Akragas
(s. Welcker, Kl. Schr. 3, 60. 61. — Die Eselshäute mit denen E. die Nord-
winde von Akragas fern hält, dienen jedenfalls als apotropäisch wirken-
des, Geister verscheuchendes Zaubermittel. So schützt man sich durch
Aufhängen des Fells einer Hyäne, eines Seehundes u. s. w. gegen Hagel
und Blitz [s. Geopon. I 14, 3. 5; I 16; und dazu Niclas’ Noten]. Diese
Felle ἔχουσι δύναμιν ἀντιπαϑῆ: Plut. Symp. 4, 2, 1).
4) — ἐγὼ δ̕ὑμῖν ϑεὸς ἄμβροτος, οὐκέτι ϑνητός, πωλεῦμαι μετὰ πᾶσι
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[466/0482] zum Heile die Strasse“, schildert der Eingang seiner „Reini- gungen“ 1); seinen Jünger Pausanias will er, nach eigensten Erfahrungen, lehren alle Heilmittel und ihre Kräfte, und die Künste, Winde zu stillen und zu erregen, Trockenheit und Regen zu bewirken, aus dem Hades die schon Verstorbenen heraufzuführen 2). Er rühmt sich selbst, ein Zauberer zu sein, und „zaubern“ sah ihn sein Schüler Gorgias 3). In ihm ge- winnen jene Bestrebungen der Katharten, Sühnpriester und Seher, die eine schon zur Vergangenheit versinkende Zeit als höchste Weisheit verehrt hatte, Stimme und litterarischen Aus- druck, den Ausdruck vollster persönlicher Ueberzeugung von der Thatsächlichkeit ihrer die Natur überwältigenden Kräfte und von der Gottähnlichkeit des zu dieser fast übermensch- lichen Gewalt des Naturzwanges Aufgestiegenen. Als ein Gott, ein unsterblicher, dem Tod nicht mehr drohe, ziehe er durch das Land, so versichert Empedokles selbst 4). Er mag vielerorten Glauben gefunden haben. Zwar eine geregelte Ge- nossenschaft von Jüngern und Anhängern, eine Secte, hat er nicht versammelt; dies scheint auch nicht in seiner Absicht gelegen zu haben. Aber er, als Einzelner und Unvergleich- licher, in der Wucht und Würde seiner selbstvertrauenden Persönlichkeit, der als Mystiker und Politiker in die irdische Gegenwart seiner Zeitgenossen regelnd eingriff, und über alle Zeit und Zeitlichkeit hinaus in ein seliges Gottesdasein als Ziel des Menschenlebens hinüberwies, muss einen tiefen Ein- 1) V. 401 ff. (Mull.). 2) V. 462 ff. 3) Satyrus bei Laert. D. 8, 59. — Berühmt blieb namentlich seine zauberhafte Abwendung schlimmer Winde (vgl. V. 464) von Akragas (s. Welcker, Kl. Schr. 3, 60. 61. — Die Eselshäute mit denen E. die Nord- winde von Akragas fern hält, dienen jedenfalls als apotropäisch wirken- des, Geister verscheuchendes Zaubermittel. So schützt man sich durch Aufhängen des Fells einer Hyäne, eines Seehundes u. s. w. gegen Hagel und Blitz [s. Geopon. I 14, 3. 5; I 16; und dazu Niclas’ Noten]. Diese Felle ἔχουσι δύναμιν ἀντιπαϑῆ: Plut. Symp. 4, 2, 1). 4) — ἐγὼ δ̕ὑμῖν ϑεὸς ἄμβροτος, οὐκέτι ϑνητός, πωλεῦμαι μετὰ πᾶσι τετιμένος κτλ. 400 f.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/482>, abgerufen am 22.11.2024.