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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Griechen des homerischen Zeitalters, denen ähnliche kathar-
tische Gedanken noch sehr ferne lagen, denken nur an die ver-
nichtende Gewalt des Elementes, dem sie den todten Leib an-
vertrauen. Schneller als Feuer kann nichts den sichtbaren
Doppelgänger der Psyche verzehren: ist dies geschehen, und
sind auch die liebsten Besitzthümer des Verstorbenen im Feuer
vernichtet, so hält kein Haft die Seele mehr im Diesseits fest.

So sorgt man durch Verbrennung des Leibes für die
Todten, die nun nicht mehr rastlos umherschweifen, mehr noch
für die Lebenden, denen die Seelen, in die Erdtiefe verbannt,
nie mehr begegnen können. Homers Griechen, seit Langem
an die Leichenverbrennung gewöhnt, sind aller Furcht vor "um-
gehenden" Geistern ledig. Aber als man sich zuerst der Feuer-
bestattung zuwandte, da muss man das, was die Vernichtung des
Leibes in Zukunft verhüten sollte, doch wohl gefürchtet
haben 1). Die man so eifrig nach dem unsichtbaren Jenseits
abdrängte, die Seelen, muss man als unheimliche Mitbewohner
der Oberwelt gefürchtet haben. Und somit enthält auch die
Sitte des Leichenbrandes (mag sie woher auch immer den
Griechen zugekommen sein) 2), eine Bestätigung der Meinung,
dass einst ein Glaube an Macht und Einwirkung der Seelen
auf die Lebenden -- mehr Furcht als Verehrung -- unter
Griechen lebendig gewesen sein muss, von dem in den homeri-
schen Gedichten nur wenige Rudimente noch Zeugniss geben.

Auch dem Gebrauche, an gewissen Festen (der Hekate? vgl. Bergk, Poet.
Lyr.
4 III 682) Feuer auf der Strasse anzuzünden und mit den Kin-
dern durch die Flammen zu springen: s. Grimm, D. Myth.4 520. Vgl.
Cicero, de div. I § 47: o praeclarum discessum cum, ut Herculi contigit.
mortali corpore cremato in lucem animus excessit!
Ovid. Met. 9, 250 ff.
Lucian Hermot. 7. Quint. Smyrn. 5, 640 ff.
1) Wozu der Uebergang vom Beisetzen der Leiche zum Verbrennen
gut sein konnte, mag man sich beiläufig durch solche Beispiele erläutern,
wie eine isländische Saga eines überliefert: ein Mann wird auf seinen
Wunsch vor der Thür seines Wohnhauses begraben, "weil er aber wieder-
kommt und viel Schaden anrichtet, gräbt man ihn aus, verbrennt ihn
und streut die Asche in's Meer" (Weinhold, Altnord. Leben S. 499).
2) Leicht denkt man ja an asiatische Einflüsse. Man hat kürzlich
auch Leichenbrandstätten in Babylonien gefunden.

Griechen des homerischen Zeitalters, denen ähnliche kathar-
tische Gedanken noch sehr ferne lagen, denken nur an die ver-
nichtende Gewalt des Elementes, dem sie den todten Leib an-
vertrauen. Schneller als Feuer kann nichts den sichtbaren
Doppelgänger der Psyche verzehren: ist dies geschehen, und
sind auch die liebsten Besitzthümer des Verstorbenen im Feuer
vernichtet, so hält kein Haft die Seele mehr im Diesseits fest.

So sorgt man durch Verbrennung des Leibes für die
Todten, die nun nicht mehr rastlos umherschweifen, mehr noch
für die Lebenden, denen die Seelen, in die Erdtiefe verbannt,
nie mehr begegnen können. Homers Griechen, seit Langem
an die Leichenverbrennung gewöhnt, sind aller Furcht vor „um-
gehenden“ Geistern ledig. Aber als man sich zuerst der Feuer-
bestattung zuwandte, da muss man das, was die Vernichtung des
Leibes in Zukunft verhüten sollte, doch wohl gefürchtet
haben 1). Die man so eifrig nach dem unsichtbaren Jenseits
abdrängte, die Seelen, muss man als unheimliche Mitbewohner
der Oberwelt gefürchtet haben. Und somit enthält auch die
Sitte des Leichenbrandes (mag sie woher auch immer den
Griechen zugekommen sein) 2), eine Bestätigung der Meinung,
dass einst ein Glaube an Macht und Einwirkung der Seelen
auf die Lebenden — mehr Furcht als Verehrung — unter
Griechen lebendig gewesen sein muss, von dem in den homeri-
schen Gedichten nur wenige Rudimente noch Zeugniss geben.

Auch dem Gebrauche, an gewissen Festen (der Hekate? vgl. Bergk, Poet.
Lyr.
4 III 682) Feuer auf der Strasse anzuzünden und mit den Kin-
dern durch die Flammen zu springen: s. Grimm, D. Myth.4 520. Vgl.
Cicero, de div. I § 47: o praeclarum discessum cum, ut Herculi contigit.
mortali corpore cremato in lucem animus excessit!
Ovid. Met. 9, 250 ff.
Lucian Hermot. 7. Quint. Smyrn. 5, 640 ff.
1) Wozu der Uebergang vom Beisetzen der Leiche zum Verbrennen
gut sein konnte, mag man sich beiläufig durch solche Beispiele erläutern,
wie eine isländische Saga eines überliefert: ein Mann wird auf seinen
Wunsch vor der Thür seines Wohnhauses begraben, „weil er aber wieder-
kommt und viel Schaden anrichtet, gräbt man ihn aus, verbrennt ihn
und streut die Asche in’s Meer“ (Weinhold, Altnord. Leben S. 499).
2) Leicht denkt man ja an asiatische Einflüsse. Man hat kürzlich
auch Leichenbrandstätten in Babylonien gefunden.
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[30/0046] Griechen des homerischen Zeitalters, denen ähnliche kathar- tische Gedanken noch sehr ferne lagen, denken nur an die ver- nichtende Gewalt des Elementes, dem sie den todten Leib an- vertrauen. Schneller als Feuer kann nichts den sichtbaren Doppelgänger der Psyche verzehren: ist dies geschehen, und sind auch die liebsten Besitzthümer des Verstorbenen im Feuer vernichtet, so hält kein Haft die Seele mehr im Diesseits fest. So sorgt man durch Verbrennung des Leibes für die Todten, die nun nicht mehr rastlos umherschweifen, mehr noch für die Lebenden, denen die Seelen, in die Erdtiefe verbannt, nie mehr begegnen können. Homers Griechen, seit Langem an die Leichenverbrennung gewöhnt, sind aller Furcht vor „um- gehenden“ Geistern ledig. Aber als man sich zuerst der Feuer- bestattung zuwandte, da muss man das, was die Vernichtung des Leibes in Zukunft verhüten sollte, doch wohl gefürchtet haben 1). Die man so eifrig nach dem unsichtbaren Jenseits abdrängte, die Seelen, muss man als unheimliche Mitbewohner der Oberwelt gefürchtet haben. Und somit enthält auch die Sitte des Leichenbrandes (mag sie woher auch immer den Griechen zugekommen sein) 2), eine Bestätigung der Meinung, dass einst ein Glaube an Macht und Einwirkung der Seelen auf die Lebenden — mehr Furcht als Verehrung — unter Griechen lebendig gewesen sein muss, von dem in den homeri- schen Gedichten nur wenige Rudimente noch Zeugniss geben. 4) 1) Wozu der Uebergang vom Beisetzen der Leiche zum Verbrennen gut sein konnte, mag man sich beiläufig durch solche Beispiele erläutern, wie eine isländische Saga eines überliefert: ein Mann wird auf seinen Wunsch vor der Thür seines Wohnhauses begraben, „weil er aber wieder- kommt und viel Schaden anrichtet, gräbt man ihn aus, verbrennt ihn und streut die Asche in’s Meer“ (Weinhold, Altnord. Leben S. 499). 2) Leicht denkt man ja an asiatische Einflüsse. Man hat kürzlich auch Leichenbrandstätten in Babylonien gefunden. 4) Auch dem Gebrauche, an gewissen Festen (der Hekate? vgl. Bergk, Poet. Lyr.4 III 682) Feuer auf der Strasse anzuzünden und mit den Kin- dern durch die Flammen zu springen: s. Grimm, D. Myth.4 520. Vgl. Cicero, de div. I § 47: o praeclarum discessum cum, ut Herculi contigit. mortali corpore cremato in lucem animus excessit! Ovid. Met. 9, 250 ff. Lucian Hermot. 7. Quint. Smyrn. 5, 640 ff.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/46>, abgerufen am 21.11.2024.