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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Punkt, an welchem ein Zustand in einen anderen umschlägt,
ein relatives Nichtsein, Tod des Einen, aber gleichzeitig Ge-
burt und Leben des Andern (fr. 25. [64]. 66. 67). Tod so-
gut wie Leben ist ihm ein positiver Zustand. "Es lebt das
Feuer der Erde Tod, und die Luft lebt des Feuers Tod; das
Wasser lebt den Tod der Luft, die Erde den Tod des Wassers"
(fr. 25). Das Eine, das in allem ist, ist zugleich todt und
lebendig (fr. 78), unsterblich und sterblich (fr. 67), ein ewiges
"Stirb und Werde" bewegt es. Auch der "Tod" des Men-
schen muss ein Uebertritt aus dem positiven Zustand seines
Lebens in einen anderen positiven Zustand sein. Der Tod
ist für den Menschen da, wenn die "Seele" nicht mehr in ihm
ist. Es bleibt nur der Leib übrig, allein für sich nicht besser
als Dünger (fr. 85). Die Seele -- wo blieb sie? Sie muss
sich gewandelt haben; Feuer war sie, nun hat sie "den Weg
abwärts" beschritten, ist Wasser geworden, um dann Erde zu
werden. So muss es ja allem Feuer geschehn. Im Tode
"erlischt" (fr. 77) das Feuer im Menschen. "Den Seelen ist
es Tod, Wasser zu werden", sagt Heraklit bestimmt genug
(fr. 68) 1). Die Seele muss zuletzt diesen Weg beschreiten und
beschreitet ihn willig; der Wechsel ist ihr Lust und Erholung
(fr. 83). Die Seele hat sich also in die Elemente des Leibes
verwandelt, sich an den Leib verloren.

Aber sie kann auch in dieser Umwandlung nicht beharren.
"Den Seelen ist es Tod, Wasser zu werden; dem Wasser ist
es Tod, Erde zu werden. Aus Erde aber wird Wasser, aus
Wasser Seele" (fr. 68). So stellt sich in dem rastlosen Ab
und Auf des Werdens, auf dem "Wege aufwärts", aus den
niederen Elementen "Seele" wieder her. Aber nicht die Seele,
die einst den bestimmten Menschen belebt hatte, von deren

1) Die scheinbar entgegengesetzte Aussage: psukhesi terpsin, me thana-
ton, ugresi genesthai ktl. bei Porphyr. antr. nymph. 10 giebt nicht Worte
und wahre Meinung des Heraklit wieder, sondern nur die willkürliche
Deutung und Zurechtlegung heraklitischer Lehre durch Numenius (s. Gom-
perz, Sitzungsber. der Wiener Akad. Phil. Cl. 113, 1015 ff.).

Punkt, an welchem ein Zustand in einen anderen umschlägt,
ein relatives Nichtsein, Tod des Einen, aber gleichzeitig Ge-
burt und Leben des Andern (fr. 25. [64]. 66. 67). Tod so-
gut wie Leben ist ihm ein positiver Zustand. „Es lebt das
Feuer der Erde Tod, und die Luft lebt des Feuers Tod; das
Wasser lebt den Tod der Luft, die Erde den Tod des Wassers“
(fr. 25). Das Eine, das in allem ist, ist zugleich todt und
lebendig (fr. 78), unsterblich und sterblich (fr. 67), ein ewiges
„Stirb und Werde“ bewegt es. Auch der „Tod“ des Men-
schen muss ein Uebertritt aus dem positiven Zustand seines
Lebens in einen anderen positiven Zustand sein. Der Tod
ist für den Menschen da, wenn die „Seele“ nicht mehr in ihm
ist. Es bleibt nur der Leib übrig, allein für sich nicht besser
als Dünger (fr. 85). Die Seele — wo blieb sie? Sie muss
sich gewandelt haben; Feuer war sie, nun hat sie „den Weg
abwärts“ beschritten, ist Wasser geworden, um dann Erde zu
werden. So muss es ja allem Feuer geschehn. Im Tode
„erlischt“ (fr. 77) das Feuer im Menschen. „Den Seelen ist
es Tod, Wasser zu werden“, sagt Heraklit bestimmt genug
(fr. 68) 1). Die Seele muss zuletzt diesen Weg beschreiten und
beschreitet ihn willig; der Wechsel ist ihr Lust und Erholung
(fr. 83). Die Seele hat sich also in die Elemente des Leibes
verwandelt, sich an den Leib verloren.

Aber sie kann auch in dieser Umwandlung nicht beharren.
„Den Seelen ist es Tod, Wasser zu werden; dem Wasser ist
es Tod, Erde zu werden. Aus Erde aber wird Wasser, aus
Wasser Seele“ (fr. 68). So stellt sich in dem rastlosen Ab
und Auf des Werdens, auf dem „Wege aufwärts“, aus den
niederen Elementen „Seele“ wieder her. Aber nicht die Seele,
die einst den bestimmten Menschen belebt hatte, von deren

1) Die scheinbar entgegengesetzte Aussage: ψυχῇσι τέρψιν, μὴ ϑάνα-
τον, ὑγρῇσι γενέσϑαι κτλ. bei Porphyr. antr. nymph. 10 giebt nicht Worte
und wahre Meinung des Heraklit wieder, sondern nur die willkürliche
Deutung und Zurechtlegung heraklitischer Lehre durch Numenius (s. Gom-
perz, Sitzungsber. der Wiener Akad. Phil. Cl. 113, 1015 ff.).
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[441/0457] Punkt, an welchem ein Zustand in einen anderen umschlägt, ein relatives Nichtsein, Tod des Einen, aber gleichzeitig Ge- burt und Leben des Andern (fr. 25. [64]. 66. 67). Tod so- gut wie Leben ist ihm ein positiver Zustand. „Es lebt das Feuer der Erde Tod, und die Luft lebt des Feuers Tod; das Wasser lebt den Tod der Luft, die Erde den Tod des Wassers“ (fr. 25). Das Eine, das in allem ist, ist zugleich todt und lebendig (fr. 78), unsterblich und sterblich (fr. 67), ein ewiges „Stirb und Werde“ bewegt es. Auch der „Tod“ des Men- schen muss ein Uebertritt aus dem positiven Zustand seines Lebens in einen anderen positiven Zustand sein. Der Tod ist für den Menschen da, wenn die „Seele“ nicht mehr in ihm ist. Es bleibt nur der Leib übrig, allein für sich nicht besser als Dünger (fr. 85). Die Seele — wo blieb sie? Sie muss sich gewandelt haben; Feuer war sie, nun hat sie „den Weg abwärts“ beschritten, ist Wasser geworden, um dann Erde zu werden. So muss es ja allem Feuer geschehn. Im Tode „erlischt“ (fr. 77) das Feuer im Menschen. „Den Seelen ist es Tod, Wasser zu werden“, sagt Heraklit bestimmt genug (fr. 68) 1). Die Seele muss zuletzt diesen Weg beschreiten und beschreitet ihn willig; der Wechsel ist ihr Lust und Erholung (fr. 83). Die Seele hat sich also in die Elemente des Leibes verwandelt, sich an den Leib verloren. Aber sie kann auch in dieser Umwandlung nicht beharren. „Den Seelen ist es Tod, Wasser zu werden; dem Wasser ist es Tod, Erde zu werden. Aus Erde aber wird Wasser, aus Wasser Seele“ (fr. 68). So stellt sich in dem rastlosen Ab und Auf des Werdens, auf dem „Wege aufwärts“, aus den niederen Elementen „Seele“ wieder her. Aber nicht die Seele, die einst den bestimmten Menschen belebt hatte, von deren 1) Die scheinbar entgegengesetzte Aussage: ψυχῇσι τέρψιν, μὴ ϑάνα- τον, ὑγρῇσι γενέσϑαι κτλ. bei Porphyr. antr. nymph. 10 giebt nicht Worte und wahre Meinung des Heraklit wieder, sondern nur die willkürliche Deutung und Zurechtlegung heraklitischer Lehre durch Numenius (s. Gom- perz, Sitzungsber. der Wiener Akad. Phil. Cl. 113, 1015 ff.).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/457>, abgerufen am 22.11.2024.