Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.keit mehr in religiöser Symbolik vorstellten, als thatsächlich Und die Orphiker sind es, die sich allein oder vor An- 1) Verbot der Beerdigung in Wollkleidern: Herod. 2, 81 (jedenfalls, damit den Abgeschiedenen nichts thneseidion anhafte). Verbot, Eier zu essen: s. Lobeck 251 (Eier sind Bestandtheile der Todtenopfer und Nah- rung der khthonioi, und darum verboten: so richtig Lobeck 477). Auch orphische (wie sonst pythagoreische) Verse verboten, Bohnen zu essen (s. Lobeck 251 ff.; Nauck, Jamblich. V. Pyth. p. 231 f.): der Grund ist auch hier, dass die Bohnen, als Bestandtheil chthonischer Opfer, putantur ad mortuos pertinere (Fest.). S. Lobeck 254. Vgl. Crusius, Rhein. Mus. 39, 165. Es sind überall die gleichen Gründe, aus denen theils in Py- thagoreischen Satzungen (s. Lobeck 247 ff.), theils in mystischem Cult der khthonioi (s. Rhein. Mus. 25, 560; 26, 561) gewisse Speisen untersagt wurden: weil sie zu Opfern für Unterirdische, pros ta perideipna kai tas prokleseis ton nekron verwendet, oder auch nur mit Namen genannt wurden, die (wie erebinthos, lathuros) an erebos und lethe anklingen (Plut. Quaest. Rom. 95). Die "Reinheit" fordert vor allem das Abschneiden jedes Vereinigungsbandes mit dem Reiche der Todten und der Seelengötter. 2) Vgl. fr. 208. 3) Die Seele ist in den Leib eingeschlossen os diken didouses tes psukhes (nach den amphi Orphea), on de eneka didosin. Plat. Cratyl. 400 C. Die nähere Bezeichnung dieser "Schuld" der Seele in orphischer Mythologie ist uns nicht erhalten. Das Wesentliche ist aber, dass nach dieser Lehre das Leben im Leibe der Naturbestimmung der Seele nicht gemäss, sondern zuwider ist. 4) sumposion ton osion Plat. Rep. 2, 363 C. osious mustas hymn. Orph. 84, 3. S. oben p. 265 A. 2. 27*
keit mehr in religiöser Symbolik vorstellten, als thatsächlich Und die Orphiker sind es, die sich allein oder vor An- 1) Verbot der Beerdigung in Wollkleidern: Herod. 2, 81 (jedenfalls, damit den Abgeschiedenen nichts ϑνησείδιον anhafte). Verbot, Eier zu essen: s. Lobeck 251 (Eier sind Bestandtheile der Todtenopfer und Nah- rung der χϑόνιοι, und darum verboten: so richtig Lobeck 477). Auch orphische (wie sonst pythagoreische) Verse verboten, Bohnen zu essen (s. Lobeck 251 ff.; Nauck, Jamblich. V. Pyth. p. 231 f.): der Grund ist auch hier, dass die Bohnen, als Bestandtheil chthonischer Opfer, putantur ad mortuos pertinere (Fest.). S. Lobeck 254. Vgl. Crusius, Rhein. Mus. 39, 165. Es sind überall die gleichen Gründe, aus denen theils in Py- thagoreischen Satzungen (s. Lobeck 247 ff.), theils in mystischem Cult der χϑόνιοι (s. Rhein. Mus. 25, 560; 26, 561) gewisse Speisen untersagt wurden: weil sie zu Opfern für Unterirdische, πρὸς τὰ περίδειπνα καὶ τὰς προκλήσεις τῶν νεκρῶν verwendet, oder auch nur mit Namen genannt wurden, die (wie ἐρέβινϑος, λάϑυρος) an ἔρεβος und λήϑη anklingen (Plut. Quaest. Rom. 95). Die „Reinheit“ fordert vor allem das Abschneiden jedes Vereinigungsbandes mit dem Reiche der Todten und der Seelengötter. 2) Vgl. fr. 208. 3) Die Seele ist in den Leib eingeschlossen ὡς δίκην διδούσης τῆς ψυχῆς (nach den ἀμφὶ Ὀρφέα), ὧν δὴ ἔνεκα δίδωσιν. Plat. Cratyl. 400 C. Die nähere Bezeichnung dieser „Schuld“ der Seele in orphischer Mythologie ist uns nicht erhalten. Das Wesentliche ist aber, dass nach dieser Lehre das Leben im Leibe der Naturbestimmung der Seele nicht gemäss, sondern zuwider ist. 4) συμπόσιον τῶν ὁσίων Plat. Rep. 2, 363 C. ὁσίους μύστας hymn. Orph. 84, 3. S. oben p. 265 A. 2. 27*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0435" n="419"/> keit mehr in religiöser Symbolik vorstellten, als thatsächlich<lb/> in sich fassten. Die längst ausgebildeten Vorschriften des<lb/> priesterlichen Reinheitsrituals wurden hier ergriffen und ver-<lb/> mehrt <note place="foot" n="1)">Verbot der Beerdigung in Wollkleidern: Herod. 2, 81 (jedenfalls,<lb/> damit den Abgeschiedenen nichts ϑνησείδιον anhafte). Verbot, Eier zu<lb/> essen: s. Lobeck 251 (Eier sind Bestandtheile der Todtenopfer und Nah-<lb/> rung der χϑόνιοι, und darum verboten: so richtig Lobeck 477). Auch<lb/> orphische (wie sonst pythagoreische) Verse verboten, Bohnen zu essen<lb/> (s. Lobeck 251 ff.; Nauck, Jamblich. <hi rendition="#i">V. Pyth.</hi> p. 231 f.): der Grund ist<lb/> auch hier, dass die Bohnen, als Bestandtheil chthonischer Opfer, <hi rendition="#i">putantur<lb/> ad mortuos pertinere</hi> (Fest.). S. Lobeck 254. Vgl. Crusius, <hi rendition="#i">Rhein. Mus.</hi><lb/> 39, 165. Es sind überall die gleichen Gründe, aus denen theils in Py-<lb/> thagoreischen Satzungen (s. Lobeck 247 ff.), theils in mystischem Cult der<lb/> χϑόνιοι (s. <hi rendition="#i">Rhein. Mus.</hi> 25, 560; 26, 561) gewisse Speisen untersagt<lb/> wurden: weil sie zu Opfern für Unterirdische, πρὸς τὰ περίδειπνα καὶ τὰς<lb/> προκλήσεις τῶν νεκρῶν verwendet, oder auch nur mit Namen genannt<lb/> wurden, die (wie ἐρέβινϑος, λάϑυρος) an ἔρεβος und λήϑη anklingen (Plut.<lb/><hi rendition="#i">Quaest. Rom.</hi> 95). Die „Reinheit“ fordert vor allem das Abschneiden jedes<lb/> Vereinigungsbandes mit dem Reiche der Todten und der Seelengötter.</note>; aber sie gewannen eine erweiterte Bedeutung. Nicht<lb/> von dämonischen Berührungen sollen sie den Menschen be-<lb/> freien und reinigen; sie machen die Seele selbst rein <note place="foot" n="2)">Vgl. <hi rendition="#i">fr.</hi> 208.</note>, rein<lb/> von dem Leibe und seiner befleckenden Gemeinschaft, rein<lb/> vom Tode und dem Gräuel seiner Herrschaft. Zur Busse<lb/> einer „Schuld“ ist die Seele in den Leib gebannt <note place="foot" n="3)">Die Seele ist in den Leib eingeschlossen ὡς δίκην διδούσης τῆς ψυχῆς<lb/> (nach den ἀμφὶ Ὀρφέα), ὧν δὴ ἔνεκα δίδωσιν. Plat. <hi rendition="#i">Cratyl.</hi> 400 C. Die nähere<lb/> Bezeichnung dieser „Schuld“ der Seele in orphischer Mythologie ist uns<lb/> nicht erhalten. Das Wesentliche ist aber, dass nach dieser Lehre das Leben<lb/> im Leibe der Naturbestimmung der Seele nicht gemäss, sondern zuwider ist.</note>, der Sünde<lb/> Sold ist hier das Leben auf Erden, welches der Seele Tod ist.<lb/> Die ganze Mannichfaltigkeit des Daseins, der Unschuld ihrer<lb/> Folge von Ursache und Wirkung entkleidet, erscheint diesen<lb/> Eiferern unter der einförmigen Vorstellung einer Verknüpfung<lb/> von Schuld und Busse, Befleckung und Reinigung.</p><lb/> <p>Und die Orphiker sind es, die sich allein oder vor An-<lb/> deren mit dem Namen der „Reinen“ grüssen dürfen <note place="foot" n="4)">συμπόσιον τῶν ὁσίων Plat. <hi rendition="#i">Rep.</hi> 2, 363 C. ὁσίους μύστας <hi rendition="#i">hymn. Orph.</hi><lb/> 84, 3. S. oben p. 265 A. 2.</note>. Den<lb/> <fw place="bottom" type="sig">27*</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [419/0435]
keit mehr in religiöser Symbolik vorstellten, als thatsächlich
in sich fassten. Die längst ausgebildeten Vorschriften des
priesterlichen Reinheitsrituals wurden hier ergriffen und ver-
mehrt 1); aber sie gewannen eine erweiterte Bedeutung. Nicht
von dämonischen Berührungen sollen sie den Menschen be-
freien und reinigen; sie machen die Seele selbst rein 2), rein
von dem Leibe und seiner befleckenden Gemeinschaft, rein
vom Tode und dem Gräuel seiner Herrschaft. Zur Busse
einer „Schuld“ ist die Seele in den Leib gebannt 3), der Sünde
Sold ist hier das Leben auf Erden, welches der Seele Tod ist.
Die ganze Mannichfaltigkeit des Daseins, der Unschuld ihrer
Folge von Ursache und Wirkung entkleidet, erscheint diesen
Eiferern unter der einförmigen Vorstellung einer Verknüpfung
von Schuld und Busse, Befleckung und Reinigung.
Und die Orphiker sind es, die sich allein oder vor An-
deren mit dem Namen der „Reinen“ grüssen dürfen 4). Den
1) Verbot der Beerdigung in Wollkleidern: Herod. 2, 81 (jedenfalls,
damit den Abgeschiedenen nichts ϑνησείδιον anhafte). Verbot, Eier zu
essen: s. Lobeck 251 (Eier sind Bestandtheile der Todtenopfer und Nah-
rung der χϑόνιοι, und darum verboten: so richtig Lobeck 477). Auch
orphische (wie sonst pythagoreische) Verse verboten, Bohnen zu essen
(s. Lobeck 251 ff.; Nauck, Jamblich. V. Pyth. p. 231 f.): der Grund ist
auch hier, dass die Bohnen, als Bestandtheil chthonischer Opfer, putantur
ad mortuos pertinere (Fest.). S. Lobeck 254. Vgl. Crusius, Rhein. Mus.
39, 165. Es sind überall die gleichen Gründe, aus denen theils in Py-
thagoreischen Satzungen (s. Lobeck 247 ff.), theils in mystischem Cult der
χϑόνιοι (s. Rhein. Mus. 25, 560; 26, 561) gewisse Speisen untersagt
wurden: weil sie zu Opfern für Unterirdische, πρὸς τὰ περίδειπνα καὶ τὰς
προκλήσεις τῶν νεκρῶν verwendet, oder auch nur mit Namen genannt
wurden, die (wie ἐρέβινϑος, λάϑυρος) an ἔρεβος und λήϑη anklingen (Plut.
Quaest. Rom. 95). Die „Reinheit“ fordert vor allem das Abschneiden jedes
Vereinigungsbandes mit dem Reiche der Todten und der Seelengötter.
2) Vgl. fr. 208.
3) Die Seele ist in den Leib eingeschlossen ὡς δίκην διδούσης τῆς ψυχῆς
(nach den ἀμφὶ Ὀρφέα), ὧν δὴ ἔνεκα δίδωσιν. Plat. Cratyl. 400 C. Die nähere
Bezeichnung dieser „Schuld“ der Seele in orphischer Mythologie ist uns
nicht erhalten. Das Wesentliche ist aber, dass nach dieser Lehre das Leben
im Leibe der Naturbestimmung der Seele nicht gemäss, sondern zuwider ist.
4) συμπόσιον τῶν ὁσίων Plat. Rep. 2, 363 C. ὁσίους μύστας hymn. Orph.
84, 3. S. oben p. 265 A. 2.
27*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |