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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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seiner ziellosen Selbstumkreisung ziehenden, ewig zum Anfang
zurückkehrenden Naturlaufes.

Aber es giebt für die Seele eine Möglichkeit, diesem Ge-
fängnisse der ewigen Wiederkunft aller Dinge zu entspringen;
sie hat die Hoffnung "aus dem Kreise zu scheiden und auf-
zuathmen vom Elend" 1). Zu freier Seligkeit geschaffen, kann
sie den ihrer unwürdigen Daseinsformen auf Erden zuletzt sich
entschwingen. Es giebt eine "Lösung"; aber die Menschen,
blind und unbedacht, können sich selbst nicht helfen, kaum,
wenn das Heil zur Hand ist, sich ihm zuwenden 2).

Das Heil bringt Orpheus und seine bakchischen Weihen;
Dionysos selbst wird seine Verehrer aus dem Unheil und dem

222. (Rhaps.). Hierin ist (wie Lobeck 797 treffend erklärt) das Dogma von
der periodischen Wiederkehr völlig gleicher Weltverhältnisse angedeutet.
Mit der Seelenwanderungslehre hing die Lehre von der völligen palig-
genesia oder apokatastasis apanton (s. Gataker ad Marc. Anton. p. 385)
eng und fast nothwendig zusammen (unlogisch ist eigentlich vielmehr die
Annahme der Durchbrechung der Kreisbewegung bei Ausscheidung ein-
zelner Seelen). Sie fand sich daher bei Pythagoreern, denen sie schon
Eudemos fr. 51 Sp. zuschreibt (s. Porphyr. v. Pyth. 19 p. 26, 23 ff. N.
Pythagorisirend noch spät Synesius, Aegypt. 2, 7 p. 62 f. Krab.); von den
Pythagoreern entlehnte sie die Stoa (vornehmlich Chrysipp), die sich
nach ihrer Art in der pedantisch folgerichtigen Ausführung der barocken
Vorstellung gefiel. (Nach stoischem Vorgang wieder Plotin, XVIII. Kirchh.)
Es ist wenigstens durchaus glaublich, dass die Orphiker diese Theorie
schon früh ausgebildet (nicht etwa erst den Stoikern entlehnt) haben. Es
finden sich auch Spuren der Lehre vom grossen Weltjahre (die mit der
von der apokatastasis ton apanton stets eng zusammenhängt) in orphi-
scher Ueberlieferung: Lobeck 792 ff.
1) kuklou te lexai kai anapneusai kakotetos las wohl Proclus (fr. 226)
ad Tim. p. 330 B. (das an lexai kai anapneusai -- so accentuirt Schneider
dort richtig -- stammt von Pr., der den Vers in seine Satzbildung einfügt.
Also nicht au lexai mit Gale und Lobeck p. 800). Hier ist Subject
die betende Seele. Dagegen in der Form die Simplicius (fr. 226) be-
wahrt hat: kuklou tallusai kai anapsuxai kakotetos sind Subject die an-
gerufenen Götter, Objekt die psukhe. Beidemale ist die Befreiung aus dem
Kreise als Gnade der Gottheit bezeichnet.
2) fr. 76. Wohl den orphischen Versen (out agathou pareontos ktl.)
nachgeahmt sind die Verse des carmen aureum 55 ff. (p. 207 Nauck.).
Der Sinn ist: wenige achten des Heils, das ihnen Orpheus (oder Pytha-
goras) bringt, die osioi bilden stets eine kleine Minderheit.
Rohde, Seelencult. 27

seiner ziellosen Selbstumkreisung ziehenden, ewig zum Anfang
zurückkehrenden Naturlaufes.

Aber es giebt für die Seele eine Möglichkeit, diesem Ge-
fängnisse der ewigen Wiederkunft aller Dinge zu entspringen;
sie hat die Hoffnung „aus dem Kreise zu scheiden und auf-
zuathmen vom Elend“ 1). Zu freier Seligkeit geschaffen, kann
sie den ihrer unwürdigen Daseinsformen auf Erden zuletzt sich
entschwingen. Es giebt eine „Lösung“; aber die Menschen,
blind und unbedacht, können sich selbst nicht helfen, kaum,
wenn das Heil zur Hand ist, sich ihm zuwenden 2).

Das Heil bringt Orpheus und seine bakchischen Weihen;
Dionysos selbst wird seine Verehrer aus dem Unheil und dem

222. (Rhaps.). Hierin ist (wie Lobeck 797 treffend erklärt) das Dogma von
der periodischen Wiederkehr völlig gleicher Weltverhältnisse angedeutet.
Mit der Seelenwanderungslehre hing die Lehre von der völligen παλιγ-
γενεσία oder ἀποκατάστασις ἁπάντων (s. Gataker ad Marc. Anton. p. 385)
eng und fast nothwendig zusammen (unlogisch ist eigentlich vielmehr die
Annahme der Durchbrechung der Kreisbewegung bei Ausscheidung ein-
zelner Seelen). Sie fand sich daher bei Pythagoreern, denen sie schon
Eudemos fr. 51 Sp. zuschreibt (s. Porphyr. v. Pyth. 19 p. 26, 23 ff. N.
Pythagorisirend noch spät Synesius, Aegypt. 2, 7 p. 62 f. Krab.); von den
Pythagoreern entlehnte sie die Stoa (vornehmlich Chrysipp), die sich
nach ihrer Art in der pedantisch folgerichtigen Ausführung der barocken
Vorstellung gefiel. (Nach stoischem Vorgang wieder Plotin, XVIII. Kirchh.)
Es ist wenigstens durchaus glaublich, dass die Orphiker diese Theorie
schon früh ausgebildet (nicht etwa erst den Stoikern entlehnt) haben. Es
finden sich auch Spuren der Lehre vom grossen Weltjahre (die mit der
von der ἀποκατάστασις τῶν ἁπάντων stets eng zusammenhängt) in orphi-
scher Ueberlieferung: Lobeck 792 ff.
1) κύκλου τε λῆξαι καὶ ἀναπνεῦσαι κακότητος las wohl Proclus (fr. 226)
ad Tim. p. 330 B. (das ἂν λήξαι καὶ ἀναπνεύσαι — so accentuirt Schneider
dort richtig — stammt von Pr., der den Vers in seine Satzbildung einfügt.
Also nicht αὖ λῆξαι mit Gale und Lobeck p. 800). Hier ist Subject
die betende Seele. Dagegen in der Form die Simplicius (fr. 226) be-
wahrt hat: κύκλου τ̕ἀλλῦσαι καὶ ἀναψῦξαι κακότητος sind Subject die an-
gerufenen Götter, Objekt die ψυχή. Beidemale ist die Befreiung aus dem
Kreise als Gnade der Gottheit bezeichnet.
2) fr. 76. Wohl den orphischen Versen (οὔτ̕ ἀγαϑοῦ παρεόντος κτλ.)
nachgeahmt sind die Verse des carmen aureum 55 ff. (p. 207 Nauck.).
Der Sinn ist: wenige achten des Heils, das ihnen Orpheus (oder Pytha-
goras) bringt, die ὅσιοι bilden stets eine kleine Minderheit.
Rohde, Seelencult. 27
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[417/0433] seiner ziellosen Selbstumkreisung ziehenden, ewig zum Anfang zurückkehrenden Naturlaufes. Aber es giebt für die Seele eine Möglichkeit, diesem Ge- fängnisse der ewigen Wiederkunft aller Dinge zu entspringen; sie hat die Hoffnung „aus dem Kreise zu scheiden und auf- zuathmen vom Elend“ 1). Zu freier Seligkeit geschaffen, kann sie den ihrer unwürdigen Daseinsformen auf Erden zuletzt sich entschwingen. Es giebt eine „Lösung“; aber die Menschen, blind und unbedacht, können sich selbst nicht helfen, kaum, wenn das Heil zur Hand ist, sich ihm zuwenden 2). Das Heil bringt Orpheus und seine bakchischen Weihen; Dionysos selbst wird seine Verehrer aus dem Unheil und dem 2) 1) κύκλου τε λῆξαι καὶ ἀναπνεῦσαι κακότητος las wohl Proclus (fr. 226) ad Tim. p. 330 B. (das ἂν λήξαι καὶ ἀναπνεύσαι — so accentuirt Schneider dort richtig — stammt von Pr., der den Vers in seine Satzbildung einfügt. Also nicht αὖ λῆξαι mit Gale und Lobeck p. 800). Hier ist Subject die betende Seele. Dagegen in der Form die Simplicius (fr. 226) be- wahrt hat: κύκλου τ̕ἀλλῦσαι καὶ ἀναψῦξαι κακότητος sind Subject die an- gerufenen Götter, Objekt die ψυχή. Beidemale ist die Befreiung aus dem Kreise als Gnade der Gottheit bezeichnet. 2) fr. 76. Wohl den orphischen Versen (οὔτ̕ ἀγαϑοῦ παρεόντος κτλ.) nachgeahmt sind die Verse des carmen aureum 55 ff. (p. 207 Nauck.). Der Sinn ist: wenige achten des Heils, das ihnen Orpheus (oder Pytha- goras) bringt, die ὅσιοι bilden stets eine kleine Minderheit. 2) 222. (Rhaps.). Hierin ist (wie Lobeck 797 treffend erklärt) das Dogma von der periodischen Wiederkehr völlig gleicher Weltverhältnisse angedeutet. Mit der Seelenwanderungslehre hing die Lehre von der völligen παλιγ- γενεσία oder ἀποκατάστασις ἁπάντων (s. Gataker ad Marc. Anton. p. 385) eng und fast nothwendig zusammen (unlogisch ist eigentlich vielmehr die Annahme der Durchbrechung der Kreisbewegung bei Ausscheidung ein- zelner Seelen). Sie fand sich daher bei Pythagoreern, denen sie schon Eudemos fr. 51 Sp. zuschreibt (s. Porphyr. v. Pyth. 19 p. 26, 23 ff. N. Pythagorisirend noch spät Synesius, Aegypt. 2, 7 p. 62 f. Krab.); von den Pythagoreern entlehnte sie die Stoa (vornehmlich Chrysipp), die sich nach ihrer Art in der pedantisch folgerichtigen Ausführung der barocken Vorstellung gefiel. (Nach stoischem Vorgang wieder Plotin, XVIII. Kirchh.) Es ist wenigstens durchaus glaublich, dass die Orphiker diese Theorie schon früh ausgebildet (nicht etwa erst den Stoikern entlehnt) haben. Es finden sich auch Spuren der Lehre vom grossen Weltjahre (die mit der von der ἀποκατάστασις τῶν ἁπάντων stets eng zusammenhängt) in orphi- scher Ueberlieferung: Lobeck 792 ff. Rohde, Seelencult. 27

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/433>, abgerufen am 22.11.2024.