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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Leben gebracht oder "vor der Zeit" gestorben sind1). Solche
Seelen finden nach dem Tode keine Ruhe; sie fahren nun im

spenster einzelner Orte sein, die freilich zuletzt alle dieselbe Gesammt-
vorstellung ausdrückten und darum sich unter einander und mit der ver-
breitetsten Gestaltung dieser Art, der Hekate, deckten. Uebrigens ge-
hören diese, neben der Hekate stark depotenzirten und zuletzt (vielleicht
mit Ausnahme der Empusa) dem Kindermärchen überlassenen weiblichen
Dämonen sämmtlich, wie Hekate auch, der Unterwelt und dem Seelen-
reiche an. Bei Gorgyra (Gorgo) und Mormolyke (Mormo) ist dies ja aus-
gesprochen. Lamia, Gello reissen Kinder und sonst aorous aus dem
Leben wie andre Höllengeister, Keren, Harpyien, Erinyen, Thanatos selbst.
Empusa kommt auf die Erde am Mittag, weil man da den Todten opferte
(Schol. Ran. 293. Mittagsopfer für Todte und Heroen: oben p. 139 A. 2).
Sie kommt zum Opfer für die Unterirdischen, weil sie eben selbst zu
diesen gehört. (So bekundet sich der chthonische Charakter der Sirenen
-- die den Harpyien nächstverwandt sind -- auch darin, dass sie nach
dem dämonistischen Volksglauben Mittags erscheinen [wie die Empusen],
Schlafende bedrücken u. s. w. S. Crusius, Philolog. 50, 97 ff.)
1) Der Schwarm der Hekate bringt nächtliche Angst und Krank-
heit: eit enupnon phantasma phobe khthonias th Ekates komon edexo.
Trag. inc. (Porson dachte an Aeschylus) fr. 375. Den Schwarm bilden
die nuktiphantoi propoloi Enodias: Eurip. Hel. 571. (Diese propoloi tas
theou sind wohl auch gemeint auf der defixio C. I. Gr. 5773). Es sind
keine anderen als die mit der Hekate umschweifenden Seelen Ver-
storbener. Nächtliche Schrecknisse bringen Ekates epibolai kai eroon
ephodoi. Hippocr. morb sacr. I p. 593 K. Daher nennt hymn. Orph. 1, 3
die Hekate psukhais nekuon meta bakkheuousan. Solche mit der Hekate
fahrende Seelen sind zumal die der aoroi, der vor dem Ende der ihnen
"bestimmten" Lebenszeit Gestorbenen; prin moiran exekein biou (Soph.
Antig. 896. Vgl. Phrynich., Bekk. anecd. 24, 22. promoiros arpage: Inscr.
of Cos
322) Gegen sie war Thanatos, en takhuteti biou pauon neoelikas
akmas, ungerecht: hymn. Orph. 87, 5. 6; was ihnen an bewusstem Leben
auf Erden entzogen ist, müssen sie nun als entkörperte "Seelen" ein-
bringen. aiunt, immatura morte praeventas (animas) eo usque vagari
istic, donec reliquatio compleatur aetatum, quas tum pervixissent, si non
intempestive obiissent
. Tertull. de anima 56. (Sie haften an der Stelle
ihres Grabes: eroes atukheis, oi en to deini topo sunekhesthe, Pariser
Zauberb 1408. Vgl. C. I. Gr. 5858b). Darum wird auf Grabsteinen (und
sonst: Eur. Alc. 172 f.) oft als etwas besonders klägliches hervorgehoben,
dass der hier Bestattete als aoros gestorben sei (s. Kaib. ep. lap. 12;
16; 193; 220, 1; 221, 2; 313, 2. 3. ateknos [und unverheirathet s. ob.
p. 292] aoros: 236, 2. Vgl. 372, 32; 184, 3. C. I. Gr. 5574). Gello,
die selbst als parthenos aoros eteleutese, wird zum phantasma, das Kinder
tödtet und tous ton aoron thanatous verschuldet (Zenob. 3, 3. Hesych.

Leben gebracht oder „vor der Zeit“ gestorben sind1). Solche
Seelen finden nach dem Tode keine Ruhe; sie fahren nun im

spenster einzelner Orte sein, die freilich zuletzt alle dieselbe Gesammt-
vorstellung ausdrückten und darum sich unter einander und mit der ver-
breitetsten Gestaltung dieser Art, der Hekate, deckten. Uebrigens ge-
hören diese, neben der Hekate stark depotenzirten und zuletzt (vielleicht
mit Ausnahme der Empusa) dem Kindermärchen überlassenen weiblichen
Dämonen sämmtlich, wie Hekate auch, der Unterwelt und dem Seelen-
reiche an. Bei Gorgyra (Gorgo) und Mormolyke (Mormo) ist dies ja aus-
gesprochen. Lamia, Gello reissen Kinder und sonst ἀώρους aus dem
Leben wie andre Höllengeister, Keren, Harpyien, Erinyen, Thanatos selbst.
Empusa kommt auf die Erde am Mittag, weil man da den Todten opferte
(Schol. Ran. 293. Mittagsopfer für Todte und Heroen: oben p. 139 A. 2).
Sie kommt zum Opfer für die Unterirdischen, weil sie eben selbst zu
diesen gehört. (So bekundet sich der chthonische Charakter der Sirenen
— die den Harpyien nächstverwandt sind — auch darin, dass sie nach
dem dämonistischen Volksglauben Mittags erscheinen [wie die Empusen],
Schlafende bedrücken u. s. w. S. Crusius, Philolog. 50, 97 ff.)
1) Der Schwarm der Hekate bringt nächtliche Angst und Krank-
heit: εἲτ̕ ἔνυπνον φάντασμα φοβῇ χϑονίας ϑ̕ Ἑκάτης κῶμον ἐδέξω.
Trag. inc. (Porson dachte an Aeschylus) fr. 375. Den Schwarm bilden
die νυκτίφαντοι πρόπολοι Ἐνοδίας: Eurip. Hel. 571. (Diese πρόπολοι τᾶς
ϑεοῦ sind wohl auch gemeint auf der defixio C. I. Gr. 5773). Es sind
keine anderen als die mit der Hekate umschweifenden Seelen Ver-
storbener. Nächtliche Schrecknisse bringen Ἑκάτης ἐπιβολαὶ καὶ ἡρώων
ἔφοδοι. Hippocr. morb sacr. I p. 593 K. Daher nennt hymn. Orph. 1, 3
die Hekate ψυχαῖς νεκύων μέτα βακχεύουσαν. Solche mit der Hekate
fahrende Seelen sind zumal die der ἄωροι, der vor dem Ende der ihnen
„bestimmten“ Lebenszeit Gestorbenen; πρὶν μοῖραν ἐξήκειν βίου (Soph.
Antig. 896. Vgl. Phrynich., Bekk. anecd. 24, 22. πρόμοιρος ἁρπαγή: Inscr.
of Cos
322) Gegen sie war Thanatos, ἐν ταχυτῆτι βίου παύων νεοηλίκας
ἀκμάς, ungerecht: hymn. Orph. 87, 5. 6; was ihnen an bewusstem Leben
auf Erden entzogen ist, müssen sie nun als entkörperte „Seelen“ ein-
bringen. aiunt, immatura morte praeventas (animas) eo usque vagari
istic, donec reliquatio compleatur aetatum, quas tum pervixissent, si non
intempestive obiissent
. Tertull. de anima 56. (Sie haften an der Stelle
ihres Grabes: ἥρωες ἀτυχεῖς, οἱ ἐν τῷ δεῖνι τόπῳ συνέχεσϑε, Pariser
Zauberb 1408. Vgl. C. I. Gr. 5858b). Darum wird auf Grabsteinen (und
sonst: Eur. Alc. 172 f.) oft als etwas besonders klägliches hervorgehoben,
dass der hier Bestattete als ἄωρος gestorben sei (s. Kaib. ep. lap. 12;
16; 193; 220, 1; 221, 2; 313, 2. 3. ἄτεκνος [und unverheirathet s. ob.
p. 292] ἄωρος: 236, 2. Vgl. 372, 32; 184, 3. C. I. Gr. 5574). Gello,
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[373/0389] Leben gebracht oder „vor der Zeit“ gestorben sind 1). Solche Seelen finden nach dem Tode keine Ruhe; sie fahren nun im 2) 1) Der Schwarm der Hekate bringt nächtliche Angst und Krank- heit: εἲτ̕ ἔνυπνον φάντασμα φοβῇ χϑονίας ϑ̕ Ἑκάτης κῶμον ἐδέξω. Trag. inc. (Porson dachte an Aeschylus) fr. 375. Den Schwarm bilden die νυκτίφαντοι πρόπολοι Ἐνοδίας: Eurip. Hel. 571. (Diese πρόπολοι τᾶς ϑεοῦ sind wohl auch gemeint auf der defixio C. I. Gr. 5773). Es sind keine anderen als die mit der Hekate umschweifenden Seelen Ver- storbener. Nächtliche Schrecknisse bringen Ἑκάτης ἐπιβολαὶ καὶ ἡρώων ἔφοδοι. Hippocr. morb sacr. I p. 593 K. Daher nennt hymn. Orph. 1, 3 die Hekate ψυχαῖς νεκύων μέτα βακχεύουσαν. Solche mit der Hekate fahrende Seelen sind zumal die der ἄωροι, der vor dem Ende der ihnen „bestimmten“ Lebenszeit Gestorbenen; πρὶν μοῖραν ἐξήκειν βίου (Soph. Antig. 896. Vgl. Phrynich., Bekk. anecd. 24, 22. πρόμοιρος ἁρπαγή: Inscr. of Cos 322) Gegen sie war Thanatos, ἐν ταχυτῆτι βίου παύων νεοηλίκας ἀκμάς, ungerecht: hymn. Orph. 87, 5. 6; was ihnen an bewusstem Leben auf Erden entzogen ist, müssen sie nun als entkörperte „Seelen“ ein- bringen. aiunt, immatura morte praeventas (animas) eo usque vagari istic, donec reliquatio compleatur aetatum, quas tum pervixissent, si non intempestive obiissent. Tertull. de anima 56. (Sie haften an der Stelle ihres Grabes: ἥρωες ἀτυχεῖς, οἱ ἐν τῷ δεῖνι τόπῳ συνέχεσϑε, Pariser Zauberb 1408. Vgl. C. I. Gr. 5858b). Darum wird auf Grabsteinen (und sonst: Eur. Alc. 172 f.) oft als etwas besonders klägliches hervorgehoben, dass der hier Bestattete als ἄωρος gestorben sei (s. Kaib. ep. lap. 12; 16; 193; 220, 1; 221, 2; 313, 2. 3. ἄτεκνος [und unverheirathet s. ob. p. 292] ἄωρος: 236, 2. Vgl. 372, 32; 184, 3. C. I. Gr. 5574). Gello, die selbst als παρϑένος ἀώρως ἐτελεύτησε, wird zum φάντασμα, das Kinder tödtet und τοὺς τῶν ἀώρων ϑανάτους verschuldet (Zenob. 3, 3. Hesych. 2) spenster einzelner Orte sein, die freilich zuletzt alle dieselbe Gesammt- vorstellung ausdrückten und darum sich unter einander und mit der ver- breitetsten Gestaltung dieser Art, der Hekate, deckten. Uebrigens ge- hören diese, neben der Hekate stark depotenzirten und zuletzt (vielleicht mit Ausnahme der Empusa) dem Kindermärchen überlassenen weiblichen Dämonen sämmtlich, wie Hekate auch, der Unterwelt und dem Seelen- reiche an. Bei Gorgyra (Gorgo) und Mormolyke (Mormo) ist dies ja aus- gesprochen. Lamia, Gello reissen Kinder und sonst ἀώρους aus dem Leben wie andre Höllengeister, Keren, Harpyien, Erinyen, Thanatos selbst. Empusa kommt auf die Erde am Mittag, weil man da den Todten opferte (Schol. Ran. 293. Mittagsopfer für Todte und Heroen: oben p. 139 A. 2). Sie kommt zum Opfer für die Unterirdischen, weil sie eben selbst zu diesen gehört. (So bekundet sich der chthonische Charakter der Sirenen — die den Harpyien nächstverwandt sind — auch darin, dass sie nach dem dämonistischen Volksglauben Mittags erscheinen [wie die Empusen], Schlafende bedrücken u. s. w. S. Crusius, Philolog. 50, 97 ff.)

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/389>, abgerufen am 25.11.2024.