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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Ein Feindliches, dem Menschen Schädliches wird so ge-
tilgt: es muss, da es nur durch religiöse Mittel getroffen werden
kann, dem Dämonenreiche, auf welches allein die Religion und
ihre Heilwirkungen sich beziehen, angehören. Es giebt ein
Geistervolk, dessen Nähe und Berührung schon den Menschen
verunreinigt, indem sie ihn den Unheimlichen zu eigen giebt 1).
Wer ihre Wohnstätten, ihre Opfer berührt, ist ihnen verfallen,
sie können ihm Krankheit, Wahnsinn und Uebel aller Art an-
thun. Wie ein Geisterbanner wirkt der Reinigungspriester,
der von der Macht der umschweifenden Unholden den Leiden-
den befreit. Ganz deutlich wirkt er als solcher, wo er Krank-
heiten, d. h. die Krankheit sendenden Geister durch seine
Handhabung abwendet 2); wo er zu seinen Reinigungsvornahmen

454. -- Aehnlicher apotropiasmos: eis aigas agrias. S. die Erkl. zu Macar.
prov. 3, 59; Diogenian. 5, 49. ten noson, phasin, es aigas trepsai Philostr.
Heroic. 179, 8 Ks.
1) Was Griechen unter miasma verstanden, tritt sehr deutlich hervor
z. B. in dem Gespräch der Phaedra mit ihrer Amme bei Eurip. Hippol.
316 ff. Die Gemüthsverstörung der Phaedra erklärt sich nicht aus einer
Blutthat: kheires men agnai, sagt Phaedra, phren dekhei miasma ti. Denkt nun
etwa die Amme bei diesem phrenos miasma der Ph. an eine sittliche
Verschuldung und Befleckung der Leidenden? Keineswegs, sondern sie
fragt: mon ex epaktou pemones ekhthron tinos; kann sich also unter "Be-
fleckung" des Geistes nichts anderes vorstellen, als eine Bezauberung,
einen von aussen her, durch epagoge tinon daimonion (Schol. S. u. p. 379
Anm.) und die verunreinigende Nähe solcher Dämonen der Ph. gekom-
menen Fleck. Dies war die volksthümliche Auffassung.
2) Krankheiten kommen pagaion ek menimaton (Plat. Phaedr. 244 E)
d. h. durch den Groll der Seelen vergangener Geschlechter und der
khthonioi (vgl. Lobeck Agl. 635--637). Insonderheit ist Wahnsinn ein
nosein ex alastoron (Soph. Trach. 1235) ein taragma tartareion (Eurip.
Herc. fur. 89). Wie solche Krankheiten nicht Aerzte, sondern kathartai,
magoi kai agurtai, Sühnpriester, durch zauberhafte Mittel zu heilen unter-
nehmen, schildert an der Behandlung der "heiligen Krankheit" Hippo-
krates, de morbo sacro I p. 587--594. Solche Leute, die sich als völlige
Zauberer einführen (p. 591) geben keinerlei medicinisches Heilmittel
(p. 589 extr.), sondern operiren theils mit katharmoi und epodai, theils
mit vielfachen Enthaltungsvorschriften, agneiai kai katharotetes (die zwar
Hipp. aus diätetischen Beobachtungen ableitet, die Katharten selbst aber
auf to theion kai to daimonion zurückführen: p. 591. Und so war es offen-

Ein Feindliches, dem Menschen Schädliches wird so ge-
tilgt: es muss, da es nur durch religiöse Mittel getroffen werden
kann, dem Dämonenreiche, auf welches allein die Religion und
ihre Heilwirkungen sich beziehen, angehören. Es giebt ein
Geistervolk, dessen Nähe und Berührung schon den Menschen
verunreinigt, indem sie ihn den Unheimlichen zu eigen giebt 1).
Wer ihre Wohnstätten, ihre Opfer berührt, ist ihnen verfallen,
sie können ihm Krankheit, Wahnsinn und Uebel aller Art an-
thun. Wie ein Geisterbanner wirkt der Reinigungspriester,
der von der Macht der umschweifenden Unholden den Leiden-
den befreit. Ganz deutlich wirkt er als solcher, wo er Krank-
heiten, d. h. die Krankheit sendenden Geister durch seine
Handhabung abwendet 2); wo er zu seinen Reinigungsvornahmen

454. — Aehnlicher ἀποτροπιασμός: εἰς αἶγας ἀγρίας. S. die Erkl. zu Macar.
prov. 3, 59; Diogenian. 5, 49. τὴν νόσον, φασίν, ἐς αἶγας τρέψαι Philostr.
Heroic. 179, 8 Ks.
1) Was Griechen unter μίασμα verstanden, tritt sehr deutlich hervor
z. B. in dem Gespräch der Phaedra mit ihrer Amme bei Eurip. Hippol.
316 ff. Die Gemüthsverstörung der Phaedra erklärt sich nicht aus einer
Blutthat: χεῖρες μὲν ἁγναί, sagt Phaedra, φρὴν δ̕ἔχει μίασμά τι. Denkt nun
etwa die Amme bei diesem φρενὸς μίασμα der Ph. an eine sittliche
Verschuldung und Befleckung der Leidenden? Keineswegs, sondern sie
fragt: μῶν ἐξ ἐπακτοῦ πημονῆς ἐχϑρῶν τινος; kann sich also unter „Be-
fleckung“ des Geistes nichts anderes vorstellen, als eine Bezauberung,
einen von aussen her, durch ἐπαγωγή τινων δαιμονίων (Schol. S. u. p. 379
Anm.) und die verunreinigende Nähe solcher Dämonen der Ph. gekom-
menen Fleck. Dies war die volksthümliche Auffassung.
2) Krankheiten kommen παγαιῶν ἐκ μηνιμάτων (Plat. Phaedr. 244 E)
d. h. durch den Groll der Seelen vergangener Geschlechter und der
χϑόνιοι (vgl. Lobeck Agl. 635—637). Insonderheit ist Wahnsinn ein
νοσεῖν ἐξ ἀλαστόρων (Soph. Trach. 1235) ein τάραγμα ταρτάρειον (Eurip.
Herc. fur. 89). Wie solche Krankheiten nicht Aerzte, sondern καϑαρταί,
μάγοι καὶ ἀγύρται, Sühnpriester, durch zauberhafte Mittel zu heilen unter-
nehmen, schildert an der Behandlung der „heiligen Krankheit“ Hippo-
krates, de morbo sacro I p. 587—594. Solche Leute, die sich als völlige
Zauberer einführen (p. 591) geben keinerlei medicinisches Heilmittel
(p. 589 extr.), sondern operiren theils mit καϑαρμοί und ἐπῳδαί, theils
mit vielfachen Enthaltungsvorschriften, ἁγνεῖαι καὶ καϑαρότητες (die zwar
Hipp. aus diätetischen Beobachtungen ableitet, die Katharten selbst aber
auf τὸ ϑεῖον καὶ τὸ δαιμόνιον zurückführen: p. 591. Und so war es offen-
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[364/0380] Ein Feindliches, dem Menschen Schädliches wird so ge- tilgt: es muss, da es nur durch religiöse Mittel getroffen werden kann, dem Dämonenreiche, auf welches allein die Religion und ihre Heilwirkungen sich beziehen, angehören. Es giebt ein Geistervolk, dessen Nähe und Berührung schon den Menschen verunreinigt, indem sie ihn den Unheimlichen zu eigen giebt 1). Wer ihre Wohnstätten, ihre Opfer berührt, ist ihnen verfallen, sie können ihm Krankheit, Wahnsinn und Uebel aller Art an- thun. Wie ein Geisterbanner wirkt der Reinigungspriester, der von der Macht der umschweifenden Unholden den Leiden- den befreit. Ganz deutlich wirkt er als solcher, wo er Krank- heiten, d. h. die Krankheit sendenden Geister durch seine Handhabung abwendet 2); wo er zu seinen Reinigungsvornahmen 2) 1) Was Griechen unter μίασμα verstanden, tritt sehr deutlich hervor z. B. in dem Gespräch der Phaedra mit ihrer Amme bei Eurip. Hippol. 316 ff. Die Gemüthsverstörung der Phaedra erklärt sich nicht aus einer Blutthat: χεῖρες μὲν ἁγναί, sagt Phaedra, φρὴν δ̕ἔχει μίασμά τι. Denkt nun etwa die Amme bei diesem φρενὸς μίασμα der Ph. an eine sittliche Verschuldung und Befleckung der Leidenden? Keineswegs, sondern sie fragt: μῶν ἐξ ἐπακτοῦ πημονῆς ἐχϑρῶν τινος; kann sich also unter „Be- fleckung“ des Geistes nichts anderes vorstellen, als eine Bezauberung, einen von aussen her, durch ἐπαγωγή τινων δαιμονίων (Schol. S. u. p. 379 Anm.) und die verunreinigende Nähe solcher Dämonen der Ph. gekom- menen Fleck. Dies war die volksthümliche Auffassung. 2) Krankheiten kommen παγαιῶν ἐκ μηνιμάτων (Plat. Phaedr. 244 E) d. h. durch den Groll der Seelen vergangener Geschlechter und der χϑόνιοι (vgl. Lobeck Agl. 635—637). Insonderheit ist Wahnsinn ein νοσεῖν ἐξ ἀλαστόρων (Soph. Trach. 1235) ein τάραγμα ταρτάρειον (Eurip. Herc. fur. 89). Wie solche Krankheiten nicht Aerzte, sondern καϑαρταί, μάγοι καὶ ἀγύρται, Sühnpriester, durch zauberhafte Mittel zu heilen unter- nehmen, schildert an der Behandlung der „heiligen Krankheit“ Hippo- krates, de morbo sacro I p. 587—594. Solche Leute, die sich als völlige Zauberer einführen (p. 591) geben keinerlei medicinisches Heilmittel (p. 589 extr.), sondern operiren theils mit καϑαρμοί und ἐπῳδαί, theils mit vielfachen Enthaltungsvorschriften, ἁγνεῖαι καὶ καϑαρότητες (die zwar Hipp. aus diätetischen Beobachtungen ableitet, die Katharten selbst aber auf τὸ ϑεῖον καὶ τὸ δαιμόνιον zurückführen: p. 591. Und so war es offen- 2) 454. — Aehnlicher ἀποτροπιασμός: εἰς αἶγας ἀγρίας. S. die Erkl. zu Macar. prov. 3, 59; Diogenian. 5, 49. τὴν νόσον, φασίν, ἐς αἶγας τρέψαι Philostr. Heroic. 179, 8 Ks.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/380>, abgerufen am 22.11.2024.