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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Dennoch fand die wissenschaftliche Chronologie des Alterthums,
unbeirrt durch die trügerischen Anzeichen der prophetischen
Dichtungen, Anlass, die Lebenszeit einzelner Sibyllen, d. h.
für unsere Auffassung, das Zeitalter der griechischen Propheten
im Ganzen, auf voll geschichtliche Zeit, das achte und siebente
Jahrhundert, festzusetzen 1).

schloss man nun, dass sie vor dem trojan. Krieg gelebt habe: so Paus
10, 12, 2, und so schon Apollodor von Erythrae: Lactant. 1, 6, 9. An den
Namen Herophile heftet sich fortan die Vorstellung höchsten Alters
(denn die von Pausanias als allerälteste genannte libysche Sibylle [Aibussa
-- Sibulla im anagrammatischen Spiel], eine Erfindung des Euripides,
hat nie rechte Geltung gehabt. Vgl. Alexandre p. 74 f.). Sie erkannte
man wieder in der prote Sibulla die nach Delphi kam und dort prophe-
zeiete (Plut. Pyth. orac. 9); Herophile nennt diese ausdrücklich Paus.
10, 12, 1; desgleichen Bocchus bei Solin. p. 38, 21--24. Nach Heraclides
(s. Clem. a. O.) war es vielmehr die Phrugia, die sich Artemis nennend
(ebenso, aus Her., Philetas a. O. vgl. Suidas s. Sib. Delphis), in Delphi wahr-
sagte. Hier knüpfte der Localpatriotismus der Bewohner von Troas an.
Ihre Sibylle ist die (von der Phrugia des Heracl. nicht verschiedene) Mar-
pessische: mit welchen Künsteleien der Auslegung und Fälschungen der
Ueberlieferung ein Localhistoriker aus Troas (es muss nicht gerade Deme-
trios von Skepsis gewesen sein) es möglich machte, die marpessische
Sibylle, die sich selbst Artemis nannte, mit der Herophile zu identificiren
und zur wahren eruthraia zu stempeln, kann man aus Pausanias 10, 12, 2 ff.
entnehmen (aus gleicher Quelle wie Pausanias schöpft -- wie Alexandre
p. 22 richtig bemerkt -- Steph. Byz. s. Mermessos). -- Auch von andern
Seiten ward die Angehörigkeit der Herophile (auf deren Besitz es haupt-
sächlich ankam) den Erythräern bestritten. Von der Herophile unter-
scheidet (als jünger) die Erythraea Bocchus bei Solin. p. 38, 24; in anderer
Weise auch Martian. Cap. 2, 159; bei Euseb. chron. 1305 Abr. wird
(jedenfalls nicht nach Eratosthenes) gar die Samische Sibylle und die
Herophile identificirt (um von der Herophile aus Ephesus in den Resten
des erweiterten Xanthus F. H. G. 3, 406. 408 zu schweigen). Aus der
Fabel von der marpessischen Herophile ist später herausgesponnen die
Geschichte von deren dem Aeneas gespendeten Wahrsagung: Tibull 2, 5,
67 f. Dionys. antiq. 1, 55, 4 (s. Alexandre p. 25). -- Neben diesen ver-
schiedenen Bewerberinnen um den Namen Herophile (auch die cumanische
Sibylle sollte mit Herophile dieselbe sein) haben die übrigen Sibyllen nie
recht Existenz in der Ueberlieferung gewinnen können.
1) Die erythräische Sibylle wird bei Eusebius gesetzt auf ol. 9, 3
(der thörichte Zusatz en Aigupto gehört nur dem Verf. des Chron. Pasch.
an, nicht dem Eusebius. Richtig Alexandre p. 80), die samische (Hero-

Dennoch fand die wissenschaftliche Chronologie des Alterthums,
unbeirrt durch die trügerischen Anzeichen der prophetischen
Dichtungen, Anlass, die Lebenszeit einzelner Sibyllen, d. h.
für unsere Auffassung, das Zeitalter der griechischen Propheten
im Ganzen, auf voll geschichtliche Zeit, das achte und siebente
Jahrhundert, festzusetzen 1).

schloss man nun, dass sie vor dem trojan. Krieg gelebt habe: so Paus
10, 12, 2, und so schon Apollodor von Erythrae: Lactant. 1, 6, 9. An den
Namen Herophile heftet sich fortan die Vorstellung höchsten Alters
(denn die von Pausanias als allerälteste genannte libysche Sibylle [Αίβυσσα
— Σίβυλλα im anagrammatischen Spiel], eine Erfindung des Euripides,
hat nie rechte Geltung gehabt. Vgl. Alexandre p. 74 f.). Sie erkannte
man wieder in der πρώτη Σίβυλλα die nach Delphi kam und dort prophe-
zeiete (Plut. Pyth. orac. 9); Herophile nennt diese ausdrücklich Paus.
10, 12, 1; desgleichen Bocchus bei Solin. p. 38, 21—24. Nach Heraclides
(s. Clem. a. O.) war es vielmehr die Φρυγία, die sich Artemis nennend
(ebenso, aus Her., Philetas a. O. vgl. Suidas s. Σιβ. Δελφίς), in Delphi wahr-
sagte. Hier knüpfte der Localpatriotismus der Bewohner von Troas an.
Ihre Sibylle ist die (von der Φρυγία des Heracl. nicht verschiedene) Mar-
pessische: mit welchen Künsteleien der Auslegung und Fälschungen der
Ueberlieferung ein Localhistoriker aus Troas (es muss nicht gerade Deme-
trios von Skepsis gewesen sein) es möglich machte, die marpessische
Sibylle, die sich selbst Artemis nannte, mit der Herophile zu identificiren
und zur wahren ἐρυϑραία zu stempeln, kann man aus Pausanias 10, 12, 2 ff.
entnehmen (aus gleicher Quelle wie Pausanias schöpft — wie Alexandre
p. 22 richtig bemerkt — Steph. Byz. s. Μερμησσός). — Auch von andern
Seiten ward die Angehörigkeit der Herophile (auf deren Besitz es haupt-
sächlich ankam) den Erythräern bestritten. Von der Herophile unter-
scheidet (als jünger) die Erythraea Bocchus bei Solin. p. 38, 24; in anderer
Weise auch Martian. Cap. 2, 159; bei Euseb. chron. 1305 Abr. wird
(jedenfalls nicht nach Eratosthenes) gar die Samische Sibylle und die
Herophile identificirt (um von der Herophile aus Ephesus in den Resten
des erweiterten Xanthus F. H. G. 3, 406. 408 zu schweigen). Aus der
Fabel von der marpessischen Herophile ist später herausgesponnen die
Geschichte von deren dem Aeneas gespendeten Wahrsagung: Tibull 2, 5,
67 f. Dionys. antiq. 1, 55, 4 (s. Alexandre p. 25). — Neben diesen ver-
schiedenen Bewerberinnen um den Namen Herophile (auch die cumanische
Sibylle sollte mit Herophile dieselbe sein) haben die übrigen Sibyllen nie
recht Existenz in der Ueberlieferung gewinnen können.
1) Die erythräische Sibylle wird bei Eusebius gesetzt auf ol. 9, 3
(der thörichte Zusatz ἐν Αἰγύπτῳ gehört nur dem Verf. des Chron. Pasch.
an, nicht dem Eusebius. Richtig Alexandre p. 80), die samische (Hero-
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[354/0370] Dennoch fand die wissenschaftliche Chronologie des Alterthums, unbeirrt durch die trügerischen Anzeichen der prophetischen Dichtungen, Anlass, die Lebenszeit einzelner Sibyllen, d. h. für unsere Auffassung, das Zeitalter der griechischen Propheten im Ganzen, auf voll geschichtliche Zeit, das achte und siebente Jahrhundert, festzusetzen 1). 2) 1) Die erythräische Sibylle wird bei Eusebius gesetzt auf ol. 9, 3 (der thörichte Zusatz ἐν Αἰγύπτῳ gehört nur dem Verf. des Chron. Pasch. an, nicht dem Eusebius. Richtig Alexandre p. 80), die samische (Hero- 2) schloss man nun, dass sie vor dem trojan. Krieg gelebt habe: so Paus 10, 12, 2, und so schon Apollodor von Erythrae: Lactant. 1, 6, 9. An den Namen Herophile heftet sich fortan die Vorstellung höchsten Alters (denn die von Pausanias als allerälteste genannte libysche Sibylle [Αίβυσσα — Σίβυλλα im anagrammatischen Spiel], eine Erfindung des Euripides, hat nie rechte Geltung gehabt. Vgl. Alexandre p. 74 f.). Sie erkannte man wieder in der πρώτη Σίβυλλα die nach Delphi kam und dort prophe- zeiete (Plut. Pyth. orac. 9); Herophile nennt diese ausdrücklich Paus. 10, 12, 1; desgleichen Bocchus bei Solin. p. 38, 21—24. Nach Heraclides (s. Clem. a. O.) war es vielmehr die Φρυγία, die sich Artemis nennend (ebenso, aus Her., Philetas a. O. vgl. Suidas s. Σιβ. Δελφίς), in Delphi wahr- sagte. Hier knüpfte der Localpatriotismus der Bewohner von Troas an. Ihre Sibylle ist die (von der Φρυγία des Heracl. nicht verschiedene) Mar- pessische: mit welchen Künsteleien der Auslegung und Fälschungen der Ueberlieferung ein Localhistoriker aus Troas (es muss nicht gerade Deme- trios von Skepsis gewesen sein) es möglich machte, die marpessische Sibylle, die sich selbst Artemis nannte, mit der Herophile zu identificiren und zur wahren ἐρυϑραία zu stempeln, kann man aus Pausanias 10, 12, 2 ff. entnehmen (aus gleicher Quelle wie Pausanias schöpft — wie Alexandre p. 22 richtig bemerkt — Steph. Byz. s. Μερμησσός). — Auch von andern Seiten ward die Angehörigkeit der Herophile (auf deren Besitz es haupt- sächlich ankam) den Erythräern bestritten. Von der Herophile unter- scheidet (als jünger) die Erythraea Bocchus bei Solin. p. 38, 24; in anderer Weise auch Martian. Cap. 2, 159; bei Euseb. chron. 1305 Abr. wird (jedenfalls nicht nach Eratosthenes) gar die Samische Sibylle und die Herophile identificirt (um von der Herophile aus Ephesus in den Resten des erweiterten Xanthus F. H. G. 3, 406. 408 zu schweigen). Aus der Fabel von der marpessischen Herophile ist später herausgesponnen die Geschichte von deren dem Aeneas gespendeten Wahrsagung: Tibull 2, 5, 67 f. Dionys. antiq. 1, 55, 4 (s. Alexandre p. 25). — Neben diesen ver- schiedenen Bewerberinnen um den Namen Herophile (auch die cumanische Sibylle sollte mit Herophile dieselbe sein) haben die übrigen Sibyllen nie recht Existenz in der Ueberlieferung gewinnen können.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/370>, abgerufen am 25.11.2024.