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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Nicht diese aber lehrte Eleusis. Das bewusste Fortleben der
Seele nach ihrer Trennung vom Leibe wird hier nicht gelehrt,
sondern vorausgesetzt; es konnte vorausgesetzt werden, da eben
dieser Glaube dem allgemein verbreiteten Seelencult zu Grunde
lag 1). Was die in Eleusis Geweiheten gewannen, war eine leb-
haftere Vorstellung von dem Inhalte dieser, in den, den Seelen-
cult begründenden Vorstellungen leer gelassenen Existenz der
abgeschiedenen Seelen. Wir hören es ja: nur die in Eleusis
Geweiheten werden im Jenseits ein wirkliches "Leben" haben,
"den Anderen" wird es schlimm ergehen 2). Nicht dass die
des Leibes ledige Seele lebe, wie sie leben werde, erfuhr man
in Eleusis. Mit der unbeirrten Zuversicht, die allen fest um-
schriebenen Religionsvereinen eigen ist, zerlegt die eleusinische
Gemeinde die Menschheit in zwei Classen, die Reinen, in Eleusis
Geweiheten, und die unermessliche Mehrheit der nicht Ge-
weiheten. Nur den Mitgliedern der Mysteriengemeinde ist das
Heil in Aussicht gestellt. Sie haben sichere Anwartschaft
darauf, aber das ist ein Privilegium, das man sich nicht anders
als durch Theilnahme an dem, von Athen verwalteten gnaden-
reichen Feste und seinen Begehungen erwerben kann. Im Laufe
der Zeit werden, bei der liberalen Weitherzigkeit in der Zu-
lassung zur Weihe, eine sehr grosse Zahl von Hellenen (und
Römern, in späterer Zeit) sich dieses Privilegium erworben
haben; niemals aber versteht sich die Aussicht auf ein seliges
Leben im Jenseits von selber; nicht als Mensch, auch nicht

1) Schon hier sei darauf hingewiesen, dass eine eigentliche Lehre
vom unvergänglichen Leben der Seele des Menschen in der Ueberlieferung
des Alterthums durchaus als ersten unter den Griechen Philosophen, wie
Thales, oder Theosophen, wie Pherekydes (auch Pythagoras) zugeschrieben
wird. In welchem Sinne dies als ganz richtig gelten kann, wird unsere
fortgesetzte Betrachtung lehren. Die Mysterien von Eleusis, aus denen
manche Neuere den griechischen Unsterblichkeitsglauben ableiten möchten,
nennt kein antikes Zeugniss unter den Quellen solches Glaubens oder
solcher Lehre. Und auch dies mit vollstem Rechte.
2) Sophocl. fr. 753 N.: os tris olbioi keinoi broton, oi tauta derkh-
thentes tele molos es Aidou ; toisde gar monois ekei zen esti, tois d alloisi
pant ekei kaka.

Nicht diese aber lehrte Eleusis. Das bewusste Fortleben der
Seele nach ihrer Trennung vom Leibe wird hier nicht gelehrt,
sondern vorausgesetzt; es konnte vorausgesetzt werden, da eben
dieser Glaube dem allgemein verbreiteten Seelencult zu Grunde
lag 1). Was die in Eleusis Geweiheten gewannen, war eine leb-
haftere Vorstellung von dem Inhalte dieser, in den, den Seelen-
cult begründenden Vorstellungen leer gelassenen Existenz der
abgeschiedenen Seelen. Wir hören es ja: nur die in Eleusis
Geweiheten werden im Jenseits ein wirkliches „Leben“ haben,
„den Anderen“ wird es schlimm ergehen 2). Nicht dass die
des Leibes ledige Seele lebe, wie sie leben werde, erfuhr man
in Eleusis. Mit der unbeirrten Zuversicht, die allen fest um-
schriebenen Religionsvereinen eigen ist, zerlegt die eleusinische
Gemeinde die Menschheit in zwei Classen, die Reinen, in Eleusis
Geweiheten, und die unermessliche Mehrheit der nicht Ge-
weiheten. Nur den Mitgliedern der Mysteriengemeinde ist das
Heil in Aussicht gestellt. Sie haben sichere Anwartschaft
darauf, aber das ist ein Privilegium, das man sich nicht anders
als durch Theilnahme an dem, von Athen verwalteten gnaden-
reichen Feste und seinen Begehungen erwerben kann. Im Laufe
der Zeit werden, bei der liberalen Weitherzigkeit in der Zu-
lassung zur Weihe, eine sehr grosse Zahl von Hellenen (und
Römern, in späterer Zeit) sich dieses Privilegium erworben
haben; niemals aber versteht sich die Aussicht auf ein seliges
Leben im Jenseits von selber; nicht als Mensch, auch nicht

1) Schon hier sei darauf hingewiesen, dass eine eigentliche Lehre
vom unvergänglichen Leben der Seele des Menschen in der Ueberlieferung
des Alterthums durchaus als ersten unter den Griechen Philosophen, wie
Thales, oder Theosophen, wie Pherekydes (auch Pythagoras) zugeschrieben
wird. In welchem Sinne dies als ganz richtig gelten kann, wird unsere
fortgesetzte Betrachtung lehren. Die Mysterien von Eleusis, aus denen
manche Neuere den griechischen Unsterblichkeitsglauben ableiten möchten,
nennt kein antikes Zeugniss unter den Quellen solches Glaubens oder
solcher Lehre. Und auch dies mit vollstem Rechte.
2) Sophocl. fr. 753 N.: ὡς τρὶς ὄλβιοι κεῖνοι βροτῶν, οἳ ταῦτα δερχ-
ϑέντες τέλη μόλωσ̕ ἐς Ἅιδου · τοῖσδε γὰρ μόνοις ἐκεῖ ζῆν ἔστι, τοῖς δ̛ ἄλλοισι
πάντ̕ ἐκεῖ κακά.
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[271/0287] Nicht diese aber lehrte Eleusis. Das bewusste Fortleben der Seele nach ihrer Trennung vom Leibe wird hier nicht gelehrt, sondern vorausgesetzt; es konnte vorausgesetzt werden, da eben dieser Glaube dem allgemein verbreiteten Seelencult zu Grunde lag 1). Was die in Eleusis Geweiheten gewannen, war eine leb- haftere Vorstellung von dem Inhalte dieser, in den, den Seelen- cult begründenden Vorstellungen leer gelassenen Existenz der abgeschiedenen Seelen. Wir hören es ja: nur die in Eleusis Geweiheten werden im Jenseits ein wirkliches „Leben“ haben, „den Anderen“ wird es schlimm ergehen 2). Nicht dass die des Leibes ledige Seele lebe, wie sie leben werde, erfuhr man in Eleusis. Mit der unbeirrten Zuversicht, die allen fest um- schriebenen Religionsvereinen eigen ist, zerlegt die eleusinische Gemeinde die Menschheit in zwei Classen, die Reinen, in Eleusis Geweiheten, und die unermessliche Mehrheit der nicht Ge- weiheten. Nur den Mitgliedern der Mysteriengemeinde ist das Heil in Aussicht gestellt. Sie haben sichere Anwartschaft darauf, aber das ist ein Privilegium, das man sich nicht anders als durch Theilnahme an dem, von Athen verwalteten gnaden- reichen Feste und seinen Begehungen erwerben kann. Im Laufe der Zeit werden, bei der liberalen Weitherzigkeit in der Zu- lassung zur Weihe, eine sehr grosse Zahl von Hellenen (und Römern, in späterer Zeit) sich dieses Privilegium erworben haben; niemals aber versteht sich die Aussicht auf ein seliges Leben im Jenseits von selber; nicht als Mensch, auch nicht 1) Schon hier sei darauf hingewiesen, dass eine eigentliche Lehre vom unvergänglichen Leben der Seele des Menschen in der Ueberlieferung des Alterthums durchaus als ersten unter den Griechen Philosophen, wie Thales, oder Theosophen, wie Pherekydes (auch Pythagoras) zugeschrieben wird. In welchem Sinne dies als ganz richtig gelten kann, wird unsere fortgesetzte Betrachtung lehren. Die Mysterien von Eleusis, aus denen manche Neuere den griechischen Unsterblichkeitsglauben ableiten möchten, nennt kein antikes Zeugniss unter den Quellen solches Glaubens oder solcher Lehre. Und auch dies mit vollstem Rechte. 2) Sophocl. fr. 753 N.: ὡς τρὶς ὄλβιοι κεῖνοι βροτῶν, οἳ ταῦτα δερχ- ϑέντες τέλη μόλωσ̕ ἐς Ἅιδου · τοῖσδε γὰρ μόνοις ἐκεῖ ζῆν ἔστι, τοῖς δ̛ ἄλλοισι πάντ̕ ἐκεῖ κακά.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/287>, abgerufen am 24.11.2024.