eigene Religion wiedererkannt haben würden. Im Besonderen würde -- auch die Berechtigung zu solchen Umdeutungen im Allgemeinen für einen Augenblick zugestanden -- die Gleich- setzung der Kore und ihres Geschicks mit dem Samenkorn, sobald man über die unbestimmteste Allgemeinheit hinaus- geht, nur zu den unleidlichsten Absurditäten führen. Wie aber vollends (was hier die Hauptsache wäre) aus der Ana- logie der Seele mit dem Samenkorn sich ein Unsterblichkeits- glaube, der sich, wie es scheinen muss, auf directem Wege nicht hervorbringen liess, habe entwickeln können, ist schwer zu begreifen. Welchen Eindruck konnte eine entfernte, will- kürlich herbeigezogene Aehnlichkeit zwischen den Erscheinungen zweier völlig von einander getrennten Gebiete des Lebens machen, wo zu einem leidlich haltbaren Schluss von dem Wahr- nehmbaren und Gewissen (den Zuständen des Saatkorns) auf das Unsichtbare und Unbekannte (den Zustand der Seelen nach dem Tode) mindestens doch erforderlich gewesen wäre, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesem und jenem nach- gewiesen würde. Solche Worte mögen trocken scheinen, wo es sich um die sublimsten Ahnungen des Gemüths handeln soll. Ich wüsste aber nicht, dass man die Griechen so leicht mit nebelhaften Ahnungen von dem Wege logischer Klarheit habe ablocken, und damit gar noch besonders "beseligen" können.
Zuletzt trifft ja die (nichts beweisende) Analogie gar nicht einmal zu. Sie wäre nur vorhanden, wenn der Seele, wie dem Samenkorn, nach vorübergehendem Eingehen in die Erdtiefe, ein neues Dasein auf der Erde, also eine Palingenesie, ver- heissen worden wäre. Dass aber dies nicht der in den von Staatswegen begangenen Mysterien Athens genährte Glaube war, giebt jetzt Jedermann zu.
wachs einst Orcus geraubt haben sollte u. s. w. (Augustin. C. D. 7, 20). Bei Porphyrius ap. Euseb. praep. ev. 3, 11, 7. 9 begegnet sogar schon die neuerdings wieder zu Ehren gebrachte Aufklärung, dass Kore nichts anderes sei als eine (weibliche) Personificirung von koros = Schössling, Pflanzenspross.
eigene Religion wiedererkannt haben würden. Im Besonderen würde — auch die Berechtigung zu solchen Umdeutungen im Allgemeinen für einen Augenblick zugestanden — die Gleich- setzung der Kore und ihres Geschicks mit dem Samenkorn, sobald man über die unbestimmteste Allgemeinheit hinaus- geht, nur zu den unleidlichsten Absurditäten führen. Wie aber vollends (was hier die Hauptsache wäre) aus der Ana- logie der Seele mit dem Samenkorn sich ein Unsterblichkeits- glaube, der sich, wie es scheinen muss, auf directem Wege nicht hervorbringen liess, habe entwickeln können, ist schwer zu begreifen. Welchen Eindruck konnte eine entfernte, will- kürlich herbeigezogene Aehnlichkeit zwischen den Erscheinungen zweier völlig von einander getrennten Gebiete des Lebens machen, wo zu einem leidlich haltbaren Schluss von dem Wahr- nehmbaren und Gewissen (den Zuständen des Saatkorns) auf das Unsichtbare und Unbekannte (den Zustand der Seelen nach dem Tode) mindestens doch erforderlich gewesen wäre, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesem und jenem nach- gewiesen würde. Solche Worte mögen trocken scheinen, wo es sich um die sublimsten Ahnungen des Gemüths handeln soll. Ich wüsste aber nicht, dass man die Griechen so leicht mit nebelhaften Ahnungen von dem Wege logischer Klarheit habe ablocken, und damit gar noch besonders „beseligen“ können.
Zuletzt trifft ja die (nichts beweisende) Analogie gar nicht einmal zu. Sie wäre nur vorhanden, wenn der Seele, wie dem Samenkorn, nach vorübergehendem Eingehen in die Erdtiefe, ein neues Dasein auf der Erde, also eine Palingenesie, ver- heissen worden wäre. Dass aber dies nicht der in den von Staatswegen begangenen Mysterien Athens genährte Glaube war, giebt jetzt Jedermann zu.
wachs einst Orcus geraubt haben sollte u. s. w. (Augustin. C. D. 7, 20). Bei Porphyrius ap. Euseb. praep. ev. 3, 11, 7. 9 begegnet sogar schon die neuerdings wieder zu Ehren gebrachte Aufklärung, dass Κόρη nichts anderes sei als eine (weibliche) Personificirung von κόρος = Schössling, Pflanzenspross.
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[269/0285]
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setzung der Kore und ihres Geschicks mit dem Samenkorn,
sobald man über die unbestimmteste Allgemeinheit hinaus-
geht, nur zu den unleidlichsten Absurditäten führen. Wie
aber vollends (was hier die Hauptsache wäre) aus der Ana-
logie der Seele mit dem Samenkorn sich ein Unsterblichkeits-
glaube, der sich, wie es scheinen muss, auf directem Wege
nicht hervorbringen liess, habe entwickeln können, ist schwer
zu begreifen. Welchen Eindruck konnte eine entfernte, will-
kürlich herbeigezogene Aehnlichkeit zwischen den Erscheinungen
zweier völlig von einander getrennten Gebiete des Lebens
machen, wo zu einem leidlich haltbaren Schluss von dem Wahr-
nehmbaren und Gewissen (den Zuständen des Saatkorns) auf
das Unsichtbare und Unbekannte (den Zustand der Seelen nach
dem Tode) mindestens doch erforderlich gewesen wäre, dass ein
ursächlicher Zusammenhang zwischen diesem und jenem nach-
gewiesen würde. Solche Worte mögen trocken scheinen, wo
es sich um die sublimsten Ahnungen des Gemüths handeln
soll. Ich wüsste aber nicht, dass man die Griechen so leicht
mit nebelhaften Ahnungen von dem Wege logischer Klarheit
habe ablocken, und damit gar noch besonders „beseligen“ können.
Zuletzt trifft ja die (nichts beweisende) Analogie gar nicht
einmal zu. Sie wäre nur vorhanden, wenn der Seele, wie dem
Samenkorn, nach vorübergehendem Eingehen in die Erdtiefe,
ein neues Dasein auf der Erde, also eine Palingenesie, ver-
heissen worden wäre. Dass aber dies nicht der in den von
Staatswegen begangenen Mysterien Athens genährte Glaube
war, giebt jetzt Jedermann zu.
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1) wachs einst Orcus geraubt haben sollte u. s. w. (Augustin. C. D. 7, 20).
Bei Porphyrius ap. Euseb. praep. ev. 3, 11, 7. 9 begegnet sogar schon
die neuerdings wieder zu Ehren gebrachte Aufklärung, dass Κόρη nichts
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/285>, abgerufen am 24.11.2024.
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