verblassen konnten, wenn etwa die Empfindung der Einwirkung der Todten auf die Lebenden sich abstumpfte und, aus welchem Grunde immer, der Cult der Seelen an Lebhaftigkeit und Stätigkeit verlor. Entzogen die Lebenden der abgeschiedenen Seele ihre Beachtung und Sorge, so blieb der Vorstellung kaum noch irgend ein Bild von ihr übrig; sie wurde zum huschenden Schatten, wenig mehr als ein Nichts. Und so war es geschehen in dem Zeitraum ionischer Bildung, in dessen Mitte Homer steht.
Die Dichtung jener Zeit hatte aber aus sich selbst her- vor auch den Wunsch erzeugt nach einem inhaltreicheren, ausgefüllten Dasein in der langen, unabsehbaren Zukunft im jenseitigen Lande. Und sie hatte dem Wunsche Gestalt gegeben in den Bildern von der Entrückung einzelner Sterblichen nach Elysion, nach den Inseln der Seligen.
Aber das war und blieb Poesie, nicht Glaubenssache. Und selbst die Dichtung stellte den Menschen der lebenden Geschlechter nicht in Aussicht, was einst Gnade der Götter auserwählten Helden wunderreicher Vorzeit gewährt hatte. Aus anderen Quellen musste, falls er erwachte, der Wunsch nach hoffnungsvoller Aussicht über das Grab hinaus, über die leere Existenz der im Cult der Familie verehrten Ahnen hinaus, seinen Durst stillen. Solche Wünsche erwachten bei Vielen. Die Triebe die sie entstehen liessen, die inneren Bewegungen die sie emporhoben, verhüllt uns das Dunkel, das über der wichtigsten Periode griechischer Entwicklung, dem achten und siebenten Jahrhundert, liegt, und es hilft uns nicht, wenn man aus eigener Eingebung die Lücke unserer Kenntniss mit Banalitäten und unfruchtbaren Phantasieen zustopft. Dass der Wunsch sich regte, dass er Macht gewann, zeigt die Thatsache dass er sich eine (allerdings eigenthümlich ein- geschränkte) Befriedigung zu verschaffen vermocht hat in einer Einrichtung, deren, sobald von Unsterblichkeitsglauben der Griechen die Rede ist, Jeder sich sofort erinnert, den eleusini- schen Mysterien.
Rohde, Seelencult. 17
verblassen konnten, wenn etwa die Empfindung der Einwirkung der Todten auf die Lebenden sich abstumpfte und, aus welchem Grunde immer, der Cult der Seelen an Lebhaftigkeit und Stätigkeit verlor. Entzogen die Lebenden der abgeschiedenen Seele ihre Beachtung und Sorge, so blieb der Vorstellung kaum noch irgend ein Bild von ihr übrig; sie wurde zum huschenden Schatten, wenig mehr als ein Nichts. Und so war es geschehen in dem Zeitraum ionischer Bildung, in dessen Mitte Homer steht.
Die Dichtung jener Zeit hatte aber aus sich selbst her- vor auch den Wunsch erzeugt nach einem inhaltreicheren, ausgefüllten Dasein in der langen, unabsehbaren Zukunft im jenseitigen Lande. Und sie hatte dem Wunsche Gestalt gegeben in den Bildern von der Entrückung einzelner Sterblichen nach Elysion, nach den Inseln der Seligen.
Aber das war und blieb Poesie, nicht Glaubenssache. Und selbst die Dichtung stellte den Menschen der lebenden Geschlechter nicht in Aussicht, was einst Gnade der Götter auserwählten Helden wunderreicher Vorzeit gewährt hatte. Aus anderen Quellen musste, falls er erwachte, der Wunsch nach hoffnungsvoller Aussicht über das Grab hinaus, über die leere Existenz der im Cult der Familie verehrten Ahnen hinaus, seinen Durst stillen. Solche Wünsche erwachten bei Vielen. Die Triebe die sie entstehen liessen, die inneren Bewegungen die sie emporhoben, verhüllt uns das Dunkel, das über der wichtigsten Periode griechischer Entwicklung, dem achten und siebenten Jahrhundert, liegt, und es hilft uns nicht, wenn man aus eigener Eingebung die Lücke unserer Kenntniss mit Banalitäten und unfruchtbaren Phantasieen zustopft. Dass der Wunsch sich regte, dass er Macht gewann, zeigt die Thatsache dass er sich eine (allerdings eigenthümlich ein- geschränkte) Befriedigung zu verschaffen vermocht hat in einer Einrichtung, deren, sobald von Unsterblichkeitsglauben der Griechen die Rede ist, Jeder sich sofort erinnert, den eleusini- schen Mysterien.
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verblassen konnten, wenn etwa die Empfindung der Einwirkung
der Todten auf die Lebenden sich abstumpfte und, aus welchem
Grunde immer, der Cult der Seelen an Lebhaftigkeit und
Stätigkeit verlor. Entzogen die Lebenden der abgeschiedenen
Seele ihre Beachtung und Sorge, so blieb der Vorstellung
kaum noch irgend ein Bild von ihr übrig; sie wurde zum
huschenden Schatten, wenig mehr als ein Nichts. Und so war
es geschehen in dem Zeitraum ionischer Bildung, in dessen
Mitte Homer steht.
Die Dichtung jener Zeit hatte aber aus sich selbst her-
vor auch den Wunsch erzeugt nach einem inhaltreicheren,
ausgefüllten Dasein in der langen, unabsehbaren Zukunft im
jenseitigen Lande. Und sie hatte dem Wunsche Gestalt gegeben
in den Bildern von der Entrückung einzelner Sterblichen
nach Elysion, nach den Inseln der Seligen.
Aber das war und blieb Poesie, nicht Glaubenssache.
Und selbst die Dichtung stellte den Menschen der lebenden
Geschlechter nicht in Aussicht, was einst Gnade der Götter
auserwählten Helden wunderreicher Vorzeit gewährt hatte. Aus
anderen Quellen musste, falls er erwachte, der Wunsch nach
hoffnungsvoller Aussicht über das Grab hinaus, über die leere
Existenz der im Cult der Familie verehrten Ahnen hinaus,
seinen Durst stillen. Solche Wünsche erwachten bei Vielen.
Die Triebe die sie entstehen liessen, die inneren Bewegungen
die sie emporhoben, verhüllt uns das Dunkel, das über der
wichtigsten Periode griechischer Entwicklung, dem achten und
siebenten Jahrhundert, liegt, und es hilft uns nicht, wenn
man aus eigener Eingebung die Lücke unserer Kenntniss
mit Banalitäten und unfruchtbaren Phantasieen zustopft. Dass
der Wunsch sich regte, dass er Macht gewann, zeigt die
Thatsache dass er sich eine (allerdings eigenthümlich ein-
geschränkte) Befriedigung zu verschaffen vermocht hat in einer
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/273>, abgerufen am 23.11.2024.
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