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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Neues im Verlauf der Geschichte aufgenommen haben, ohne
das Aeltere darum aufzugeben, im Schatten der grossen Götter
und ihres Cultes, mitten in der übermächtigen Ausbreitung
der Macht und der Ordnungen des Staates erhalten. Aber
er ist durch diese grösseren und weiterreichenden Gewalten
eingeschränkt und in seiner Entwicklung gehemmt worden. Bei
freierer Ausbildung wären wohl die Seelen der Hausväter zu
der Würde mächtig waltender Geister des Hauses, unter dessem
Heerde sie ehemals zur Ruhe bestattet wurden, gesteigert
worden. Aber die Griechen haben nichts, was dem italischen
Lar familiaris völlig entspräche1). Am nächsten kommt diesem
noch der "gute Dämon", den das griechische Haus verehrte.
Seine ursprüngliche Natur als einer zum guten Geist seines
Hauses gewordenen Seele eines Hausvaters ist bei genauerem
Zusehen noch erkennbar: aber die Griechen hatten dies ver-
gessen2).

1) Der Begriff des Lar familiaris lässt sich mit griechischen Worten
nicht unpassend umschreiben als o kat oikian eros, eros oikouros, wie
Dionys von Halikarnass und Plutarch in ihrer Wiedergabe der Sage von
der Ocrisia thun (ant. 4, 2, 3; de fort. Roman. 323 C.). Aber das ist kein
den Griechen geläufiger Begriff. Nahe kommt dem latein. genius generis =
lar familiaris
(Laberius 54 Rib.) der merkwürdige Ausdruck eros sugge-
neias C. I. Att. 3, 1460. Der Grieche verehrt im Hause, am häuslichen
Heerde (in dessen mukhoi "wohnt" die Hekate: Eurip. Med. 397) nicht mehr
die Geister der Vorfahren, sondern die theoi patrooi, ktesioi, mukhioi, er-
keioi, die man mit den römischen Penaten verglich (Dionys. ant. 1, 67, 3;
vgl. Hygin bei Macrob. Sat. 3, 4, 13); aber ihre Verwandtschaft mit den
Geistern des Hauses und der Familie ist viel weniger durchsichtig als
bei den Penaten der Fall ist. (Wohl nach römischen Vorbildern: daimones
patrooi kai metrooi, von dem sterbenden Peregrinus angerufen: Luc.
Peregr.
36. Stephanos tois tou patros autou daimosin, Ins. aus Lykien,
C. I. Gr. 4232.)
2) Der agathos daimon, von dem namentlich attische Schriftsteller oft
reden, hat sehr unbestimmte Züge; man verband kaum noch deutliche
Vorstellungen von einem göttlichen Wesen genau fassbarer Art und Ge-
stalt mit diesem, an sich zu allzu allgemeiner Auffassung einladenden
Namen. Dass seine ursprüngliche Art die eines Dämons des Ackersegens
sei (wie Neuere versichern), ist ebenso wenig Grund zu glauben, als dass
er identisch sei mit Dionysos, wie im Zusammenhang einer albernen,
selbsterfundenen Fabel der Arzt Philonides bei Athen. 15, 675 B behauptet.

Neues im Verlauf der Geschichte aufgenommen haben, ohne
das Aeltere darum aufzugeben, im Schatten der grossen Götter
und ihres Cultes, mitten in der übermächtigen Ausbreitung
der Macht und der Ordnungen des Staates erhalten. Aber
er ist durch diese grösseren und weiterreichenden Gewalten
eingeschränkt und in seiner Entwicklung gehemmt worden. Bei
freierer Ausbildung wären wohl die Seelen der Hausväter zu
der Würde mächtig waltender Geister des Hauses, unter dessem
Heerde sie ehemals zur Ruhe bestattet wurden, gesteigert
worden. Aber die Griechen haben nichts, was dem italischen
Lar familiaris völlig entspräche1). Am nächsten kommt diesem
noch der „gute Dämon“, den das griechische Haus verehrte.
Seine ursprüngliche Natur als einer zum guten Geist seines
Hauses gewordenen Seele eines Hausvaters ist bei genauerem
Zusehen noch erkennbar: aber die Griechen hatten dies ver-
gessen2).

1) Der Begriff des Lar familiaris lässt sich mit griechischen Worten
nicht unpassend umschreiben als ὁ κατ̕ οἰκίαν ἥρως, ἥρως οἰκουρός, wie
Dionys von Halikarnass und Plutarch in ihrer Wiedergabe der Sage von
der Ocrisia thun (ant. 4, 2, 3; de fort. Roman. 323 C.). Aber das ist kein
den Griechen geläufiger Begriff. Nahe kommt dem latein. genius generis =
lar familiaris
(Laberius 54 Rib.) der merkwürdige Ausdruck ἥρως συγγε-
νείας C. I. Att. 3, 1460. Der Grieche verehrt im Hause, am häuslichen
Heerde (in dessen μυχοί „wohnt“ die Hekate: Eurip. Med. 397) nicht mehr
die Geister der Vorfahren, sondern die ϑεοὶ πατρῷοι, κτήσιοι, μύχιοι, ἑρ-
κεῖοι, die man mit den römischen Penaten verglich (Dionys. ant. 1, 67, 3;
vgl. Hygin bei Macrob. Sat. 3, 4, 13); aber ihre Verwandtschaft mit den
Geistern des Hauses und der Familie ist viel weniger durchsichtig als
bei den Penaten der Fall ist. (Wohl nach römischen Vorbildern: δαίμονες
πατρῷοι καὶ μητρῷοι, von dem sterbenden Peregrinus angerufen: Luc.
Peregr.
36. Στέφανος τοῖς τοῦ πατρὸς αὑτοῦ δαίμοσιν, Ins. aus Lykien,
C. I. Gr. 4232.)
2) Der ἀγαϑὸς δαίμων, von dem namentlich attische Schriftsteller oft
reden, hat sehr unbestimmte Züge; man verband kaum noch deutliche
Vorstellungen von einem göttlichen Wesen genau fassbarer Art und Ge-
stalt mit diesem, an sich zu allzu allgemeiner Auffassung einladenden
Namen. Dass seine ursprüngliche Art die eines Dämons des Ackersegens
sei (wie Neuere versichern), ist ebenso wenig Grund zu glauben, als dass
er identisch sei mit Dionysos, wie im Zusammenhang einer albernen,
selbsterfundenen Fabel der Arzt Philonides bei Athen. 15, 675 B behauptet.
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[232/0248] Neues im Verlauf der Geschichte aufgenommen haben, ohne das Aeltere darum aufzugeben, im Schatten der grossen Götter und ihres Cultes, mitten in der übermächtigen Ausbreitung der Macht und der Ordnungen des Staates erhalten. Aber er ist durch diese grösseren und weiterreichenden Gewalten eingeschränkt und in seiner Entwicklung gehemmt worden. Bei freierer Ausbildung wären wohl die Seelen der Hausväter zu der Würde mächtig waltender Geister des Hauses, unter dessem Heerde sie ehemals zur Ruhe bestattet wurden, gesteigert worden. Aber die Griechen haben nichts, was dem italischen Lar familiaris völlig entspräche 1). Am nächsten kommt diesem noch der „gute Dämon“, den das griechische Haus verehrte. Seine ursprüngliche Natur als einer zum guten Geist seines Hauses gewordenen Seele eines Hausvaters ist bei genauerem Zusehen noch erkennbar: aber die Griechen hatten dies ver- gessen 2). 1) Der Begriff des Lar familiaris lässt sich mit griechischen Worten nicht unpassend umschreiben als ὁ κατ̕ οἰκίαν ἥρως, ἥρως οἰκουρός, wie Dionys von Halikarnass und Plutarch in ihrer Wiedergabe der Sage von der Ocrisia thun (ant. 4, 2, 3; de fort. Roman. 323 C.). Aber das ist kein den Griechen geläufiger Begriff. Nahe kommt dem latein. genius generis = lar familiaris (Laberius 54 Rib.) der merkwürdige Ausdruck ἥρως συγγε- νείας C. I. Att. 3, 1460. Der Grieche verehrt im Hause, am häuslichen Heerde (in dessen μυχοί „wohnt“ die Hekate: Eurip. Med. 397) nicht mehr die Geister der Vorfahren, sondern die ϑεοὶ πατρῷοι, κτήσιοι, μύχιοι, ἑρ- κεῖοι, die man mit den römischen Penaten verglich (Dionys. ant. 1, 67, 3; vgl. Hygin bei Macrob. Sat. 3, 4, 13); aber ihre Verwandtschaft mit den Geistern des Hauses und der Familie ist viel weniger durchsichtig als bei den Penaten der Fall ist. (Wohl nach römischen Vorbildern: δαίμονες πατρῷοι καὶ μητρῷοι, von dem sterbenden Peregrinus angerufen: Luc. Peregr. 36. Στέφανος τοῖς τοῦ πατρὸς αὑτοῦ δαίμοσιν, Ins. aus Lykien, C. I. Gr. 4232.) 2) Der ἀγαϑὸς δαίμων, von dem namentlich attische Schriftsteller oft reden, hat sehr unbestimmte Züge; man verband kaum noch deutliche Vorstellungen von einem göttlichen Wesen genau fassbarer Art und Ge- stalt mit diesem, an sich zu allzu allgemeiner Auffassung einladenden Namen. Dass seine ursprüngliche Art die eines Dämons des Ackersegens sei (wie Neuere versichern), ist ebenso wenig Grund zu glauben, als dass er identisch sei mit Dionysos, wie im Zusammenhang einer albernen, selbsterfundenen Fabel der Arzt Philonides bei Athen. 15, 675 B behauptet.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/248>, abgerufen am 24.11.2024.