Feinde zur Bestattung auszuliefern. Vollends Angehörige der eigenen Stadt der Grabesehren zu berauben, ist äusserster Frevel; man weiss, wie furchtbar an den Feldherrn in der Arginusenschlacht das aufgeregte Volk von Athen eine solche Vernachlässigung rächte. Nichts entbindet den Sohn von der Verpflichtung, den Vater zu bestatten und ihm die Grabes- spenden zu widmen1). Entziehen sich dennoch die Angehörigen dieser Pflicht, so gebietet in Athen dem Demarchen das Ge- setz, für die Bestattung der Mitglieder seines Demos zu sorgen2). Ueber das Gesetz hinaus reicht die religiöse Anforderung. Bei dem heiligen Ackerfeste der Demeter rief der Buzyges zu Athen einen Fluch aus über die, welche einen Leichnam un- bestattet liegen liessen3). Was die chthonischen Götter so in ihren Schutz stellten, ist nicht eine Maassregel der Gesundheits- polizei; nicht dieser, sondern einzig den "ungeschriebenen Satzungen" der Religion genügt Antigone, wenn sie die Leiche des Bruders mit leichtem Staube bedeckt: schon die symbo- lische Bestattung wendet den "Greuel" (agos) ab. Regungen reiner Pietät mögen sich angeschlossen haben; aber die eigent- lich bestimmende Vorstellung war jene schon in der Ilias be- gegnende4), dass die Seele des Unbestatteten im Jenseits keine Ruhe finde. Sie geht als Gespenst um, ihr Zorn trifft das Land, in dem sie widerwillig festgehalten ist, so dass die Ver- hinderung des Begräbnisses "schlimmer wird für die Hindernden als für die des Begräbnisses nicht theilhaftig Gewordenen"5). Hingerichtete Verbrecher wirft der Staat wohl unbestattet in eine Grube6), Vaterlandsverräthern und Tempelräubern versagt
1) Der Sohn hat gegen den Vater, wenn dieser ihn zur Unzucht ver- miethet, nicht mehr die Pflicht der Ernährung und Beherbergung im Leben: apothanonta d auton thapteto kai talla poieito ta nomizomena. Solon. Gesetz bei Aeschines, Timarch 13.
2) Demosthenes 43, 57. 58.
3) Schol. Soph. Antig. 255. Philo bei Euseb. pr. ev. 8, 358 D. 359 A. S. Bernays Berichte der Berl. Akad. 1876, p. 604, 606 f.
4) Il. 23, 71 ff.
5) Isokrates 14, 55.
6) Das barathron in Athen, den Kaiadas in Sparta. Doch wurde
Feinde zur Bestattung auszuliefern. Vollends Angehörige der eigenen Stadt der Grabesehren zu berauben, ist äusserster Frevel; man weiss, wie furchtbar an den Feldherrn in der Arginusenschlacht das aufgeregte Volk von Athen eine solche Vernachlässigung rächte. Nichts entbindet den Sohn von der Verpflichtung, den Vater zu bestatten und ihm die Grabes- spenden zu widmen1). Entziehen sich dennoch die Angehörigen dieser Pflicht, so gebietet in Athen dem Demarchen das Ge- setz, für die Bestattung der Mitglieder seines Demos zu sorgen2). Ueber das Gesetz hinaus reicht die religiöse Anforderung. Bei dem heiligen Ackerfeste der Demeter rief der Buzyges zu Athen einen Fluch aus über die, welche einen Leichnam un- bestattet liegen liessen3). Was die chthonischen Götter so in ihren Schutz stellten, ist nicht eine Maassregel der Gesundheits- polizei; nicht dieser, sondern einzig den „ungeschriebenen Satzungen“ der Religion genügt Antigone, wenn sie die Leiche des Bruders mit leichtem Staube bedeckt: schon die symbo- lische Bestattung wendet den „Greuel“ (ἄγος) ab. Regungen reiner Pietät mögen sich angeschlossen haben; aber die eigent- lich bestimmende Vorstellung war jene schon in der Ilias be- gegnende4), dass die Seele des Unbestatteten im Jenseits keine Ruhe finde. Sie geht als Gespenst um, ihr Zorn trifft das Land, in dem sie widerwillig festgehalten ist, so dass die Ver- hinderung des Begräbnisses „schlimmer wird für die Hindernden als für die des Begräbnisses nicht theilhaftig Gewordenen“5). Hingerichtete Verbrecher wirft der Staat wohl unbestattet in eine Grube6), Vaterlandsverräthern und Tempelräubern versagt
1) Der Sohn hat gegen den Vater, wenn dieser ihn zur Unzucht ver- miethet, nicht mehr die Pflicht der Ernährung und Beherbergung im Leben: ἀποϑανόντα δ̕ αὐτὸν ϑαπτέτω καὶ τἆλλα ποιείτω τἀ νομιζόμενα. Solon. Gesetz bei Aeschines, Timarch 13.
2) Demosthenes 43, 57. 58.
3) Schol. Soph. Antig. 255. Philo bei Euseb. pr. ev. 8, 358 D. 359 A. S. Bernays Berichte der Berl. Akad. 1876, p. 604, 606 f.
4) Il. 23, 71 ff.
5) Isokrates 14, 55.
6) Das βάραϑρον in Athen, den Καιάδας in Sparta. Doch wurde
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Arginusenschlacht das aufgeregte Volk von Athen eine solche
Vernachlässigung rächte. Nichts entbindet den Sohn von der
Verpflichtung, den Vater zu bestatten und ihm die Grabes-
spenden zu widmen 1). Entziehen sich dennoch die Angehörigen
dieser Pflicht, so gebietet in Athen dem Demarchen das Ge-
setz, für die Bestattung der Mitglieder seines Demos zu sorgen 2).
Ueber das Gesetz hinaus reicht die religiöse Anforderung. Bei
dem heiligen Ackerfeste der Demeter rief der Buzyges zu
Athen einen Fluch aus über die, welche einen Leichnam un-
bestattet liegen liessen 3). Was die chthonischen Götter so in
ihren Schutz stellten, ist nicht eine Maassregel der Gesundheits-
polizei; nicht dieser, sondern einzig den „ungeschriebenen
Satzungen“ der Religion genügt Antigone, wenn sie die Leiche
des Bruders mit leichtem Staube bedeckt: schon die symbo-
lische Bestattung wendet den „Greuel“ (ἄγος) ab. Regungen
reiner Pietät mögen sich angeschlossen haben; aber die eigent-
lich bestimmende Vorstellung war jene schon in der Ilias be-
gegnende 4), dass die Seele des Unbestatteten im Jenseits keine
Ruhe finde. Sie geht als Gespenst um, ihr Zorn trifft das
Land, in dem sie widerwillig festgehalten ist, so dass die Ver-
hinderung des Begräbnisses „schlimmer wird für die Hindernden
als für die des Begräbnisses nicht theilhaftig Gewordenen“ 5).
Hingerichtete Verbrecher wirft der Staat wohl unbestattet in
eine Grube 6), Vaterlandsverräthern und Tempelräubern versagt
1) Der Sohn hat gegen den Vater, wenn dieser ihn zur Unzucht ver-
miethet, nicht mehr die Pflicht der Ernährung und Beherbergung im
Leben: ἀποϑανόντα δ̕ αὐτὸν ϑαπτέτω καὶ τἆλλα ποιείτω τἀ νομιζόμενα. Solon.
Gesetz bei Aeschines, Timarch 13.
2) Demosthenes 43, 57. 58.
3) Schol. Soph. Antig. 255. Philo bei Euseb. pr. ev. 8, 358 D. 359 A.
S. Bernays Berichte der Berl. Akad. 1876, p. 604, 606 f.
4) Il. 23, 71 ff.
5) Isokrates 14, 55.
6) Das βάραϑρον in Athen, den Καιάδας in Sparta. Doch wurde
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/217>, abgerufen am 24.11.2024.
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