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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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da nun das Land erlöst ist, feiert der Ritter "Wohlgemuth"
glänzende Hochzeit mit der befreiten Schönen. Er lebte bis
in das höchste Alter, da aber stirbt er nicht, sondern wird
lebend entrückt und ist nun selbst ein Heros1). --

Solche Helden der panhellenischen Kampfspiele wie Eu-
thymos einer war, sind Lieblingsgestalten der Volkssage, so-
wohl im Leben als in ihrem Geisterdasein als Heroen. Gleich
von dem Zeitgenossen des Euthymos, Theagenes von Thasos,
einem der gefeiertsten Sieger in allen grossen Wettkämpfen,
lief eine Geschichte um, wie nach seinem Tode ein Gegner sein
ehernes Standbild nächtlich gepeitscht habe, bis einst das Bild
auf ihn fiel und ihn erschlug, wie dann die Thasier das mörde-
rische Bild in's Meer versenkten, aber nun (in Folge des Zornes
des Heros) durch Unfruchtbarkeit geplagt wurden, bis sie, auf
mehrmals wiederholte Anweisung des delphischen Orakels, das
versenkte Standbild wieder auffischten, neu aufrichteten, und
ihm "wie einem Gotte" opferten2). -- Merkwürdig ist diese Ge-

Heros von Temesa überein mit der entlegenen Fabel von dem Unthier
Lamia oder Sybaris, das Eurybatos bezwingt, wie sie, nach Nikanders
Eteroioumena, Antoninus Liberalis cap. 8 erzählt. Es wird gleichwohl
nicht nöthig sein, Nachahmung der einen Erzählung in der anderen an-
zunehmen, beide geben, unabhängig von einander, den gleichen (übrigens
bei allen Völkern verbreiteten) Märchentypus wieder. Das von dem Helden
bezwungene Ungeheuer ist stets ein chthonisches Wesen, eine Ausgeburt der
Hölle: Thanatos, Poine, Lamia (dies der Artname, Subaris scheint der Special-
name dieser bestimmten Lamia zu sein), der gespenstische "Heros" zu Temesa.
1) Paus. 6, 6, 7--11 (der Hauptbericht); Strabo 6, p. 255; Aelian.
v. h. 8, 18; Zenob. 2, 31. Suidas s. Euthumos. Die Entrückung bei Paus.
Ael. und Suidas. Nach Aelian geht er zum Flusse Kaikinos bei seiner
Vaterstadt Lokri und verschwindet (aphanisthenai). Warum das an jenem
Flusse geschieht, weiss ich nicht zu deuten. Vermuthlich wird aber in
dessen Nähe das Heroon des Euthymos gewesen sein. Auf eine Blitzent-
rückung des E. (vgl. oben S. 132, 4) scheinen die unklaren Worte des
Plinius, n. h. 7, 152 anzuspielen. -- Unterschrift des Standbildes des
Euthymos zu Olympia: Archäol. Zeitung, 1878 p. 82.
2) Paus. 6, 11, 2--9. Dio Chrys. or. 31, p. 618, 619 R. Vgl. auch
Oenomaus bei Euseb. praep. ev. 5, 34, 9--15. Oenomaus spielt § 16 auf
eine sehr ähnliche Legende von einem Pentathlos Euthykles in Lokri und
seinem Standbilde an.

da nun das Land erlöst ist, feiert der Ritter „Wohlgemuth“
glänzende Hochzeit mit der befreiten Schönen. Er lebte bis
in das höchste Alter, da aber stirbt er nicht, sondern wird
lebend entrückt und ist nun selbst ein Heros1). —

Solche Helden der panhellenischen Kampfspiele wie Eu-
thymos einer war, sind Lieblingsgestalten der Volkssage, so-
wohl im Leben als in ihrem Geisterdasein als Heroen. Gleich
von dem Zeitgenossen des Euthymos, Theagenes von Thasos,
einem der gefeiertsten Sieger in allen grossen Wettkämpfen,
lief eine Geschichte um, wie nach seinem Tode ein Gegner sein
ehernes Standbild nächtlich gepeitscht habe, bis einst das Bild
auf ihn fiel und ihn erschlug, wie dann die Thasier das mörde-
rische Bild in’s Meer versenkten, aber nun (in Folge des Zornes
des Heros) durch Unfruchtbarkeit geplagt wurden, bis sie, auf
mehrmals wiederholte Anweisung des delphischen Orakels, das
versenkte Standbild wieder auffischten, neu aufrichteten, und
ihm „wie einem Gotte“ opferten2). — Merkwürdig ist diese Ge-

Heros von Temesa überein mit der entlegenen Fabel von dem Unthier
Lamia oder Sybaris, das Eurybatos bezwingt, wie sie, nach Nikanders
Ἑτεροιούμενα, Antoninus Liberalis cap. 8 erzählt. Es wird gleichwohl
nicht nöthig sein, Nachahmung der einen Erzählung in der anderen an-
zunehmen, beide geben, unabhängig von einander, den gleichen (übrigens
bei allen Völkern verbreiteten) Märchentypus wieder. Das von dem Helden
bezwungene Ungeheuer ist stets ein chthonisches Wesen, eine Ausgeburt der
Hölle: Thanatos, Poine, Lamia (dies der Artname, Σύβαρις scheint der Special-
name dieser bestimmten Lamia zu sein), der gespenstische „Heros“ zu Temesa.
1) Paus. 6, 6, 7—11 (der Hauptbericht); Strabo 6, p. 255; Aelian.
v. h. 8, 18; Zenob. 2, 31. Suidas s. Εὔϑυμος. Die Entrückung bei Paus.
Ael. und Suidas. Nach Aelian geht er zum Flusse Kaikinos bei seiner
Vaterstadt Lokri und verschwindet (ἀφανισϑῆναι). Warum das an jenem
Flusse geschieht, weiss ich nicht zu deuten. Vermuthlich wird aber in
dessen Nähe das Heroon des Euthymos gewesen sein. Auf eine Blitzent-
rückung des E. (vgl. oben S. 132, 4) scheinen die unklaren Worte des
Plinius, n. h. 7, 152 anzuspielen. — Unterschrift des Standbildes des
Euthymos zu Olympia: Archäol. Zeitung, 1878 p. 82.
2) Paus. 6, 11, 2—9. Dio Chrys. or. 31, p. 618, 619 R. Vgl. auch
Oenomaus bei Euseb. praep. ev. 5, 34, 9—15. Oenomaus spielt § 16 auf
eine sehr ähnliche Legende von einem Pentathlos Euthykles in Lokri und
seinem Standbilde an.
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[181/0197] da nun das Land erlöst ist, feiert der Ritter „Wohlgemuth“ glänzende Hochzeit mit der befreiten Schönen. Er lebte bis in das höchste Alter, da aber stirbt er nicht, sondern wird lebend entrückt und ist nun selbst ein Heros 1). — Solche Helden der panhellenischen Kampfspiele wie Eu- thymos einer war, sind Lieblingsgestalten der Volkssage, so- wohl im Leben als in ihrem Geisterdasein als Heroen. Gleich von dem Zeitgenossen des Euthymos, Theagenes von Thasos, einem der gefeiertsten Sieger in allen grossen Wettkämpfen, lief eine Geschichte um, wie nach seinem Tode ein Gegner sein ehernes Standbild nächtlich gepeitscht habe, bis einst das Bild auf ihn fiel und ihn erschlug, wie dann die Thasier das mörde- rische Bild in’s Meer versenkten, aber nun (in Folge des Zornes des Heros) durch Unfruchtbarkeit geplagt wurden, bis sie, auf mehrmals wiederholte Anweisung des delphischen Orakels, das versenkte Standbild wieder auffischten, neu aufrichteten, und ihm „wie einem Gotte“ opferten 2). — Merkwürdig ist diese Ge- 2) 1) Paus. 6, 6, 7—11 (der Hauptbericht); Strabo 6, p. 255; Aelian. v. h. 8, 18; Zenob. 2, 31. Suidas s. Εὔϑυμος. Die Entrückung bei Paus. Ael. und Suidas. Nach Aelian geht er zum Flusse Kaikinos bei seiner Vaterstadt Lokri und verschwindet (ἀφανισϑῆναι). Warum das an jenem Flusse geschieht, weiss ich nicht zu deuten. Vermuthlich wird aber in dessen Nähe das Heroon des Euthymos gewesen sein. Auf eine Blitzent- rückung des E. (vgl. oben S. 132, 4) scheinen die unklaren Worte des Plinius, n. h. 7, 152 anzuspielen. — Unterschrift des Standbildes des Euthymos zu Olympia: Archäol. Zeitung, 1878 p. 82. 2) Paus. 6, 11, 2—9. Dio Chrys. or. 31, p. 618, 619 R. Vgl. auch Oenomaus bei Euseb. praep. ev. 5, 34, 9—15. Oenomaus spielt § 16 auf eine sehr ähnliche Legende von einem Pentathlos Euthykles in Lokri und seinem Standbilde an. 2) Heros von Temesa überein mit der entlegenen Fabel von dem Unthier Lamia oder Sybaris, das Eurybatos bezwingt, wie sie, nach Nikanders Ἑτεροιούμενα, Antoninus Liberalis cap. 8 erzählt. Es wird gleichwohl nicht nöthig sein, Nachahmung der einen Erzählung in der anderen an- zunehmen, beide geben, unabhängig von einander, den gleichen (übrigens bei allen Völkern verbreiteten) Märchentypus wieder. Das von dem Helden bezwungene Ungeheuer ist stets ein chthonisches Wesen, eine Ausgeburt der Hölle: Thanatos, Poine, Lamia (dies der Artname, Σύβαρις scheint der Special- name dieser bestimmten Lamia zu sein), der gespenstische „Heros“ zu Temesa.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/197>, abgerufen am 23.11.2024.