Fällen (und allerdings mit freier Erfindung der besonderen Einzelumstände) ausgeführt haben, was der verbreitete Volks- glaube ihrer Zeit im Allgemeinen vorschrieb. Es kommt aber hinzu, dass das Orakel Alles, was den Seelencult fördern und stärken konnte, in seinen Schutz nahm; soweit man von einer "delphischen Theologie" reden kann, darf man den Unsterb- lichkeitsglauben in seinen populären Formen und den Cult der unsterblichen Seelen zu den wichtigsten Bestandtheilen dieser Theologie rechnen. Wir haben hiervon später noch einiges zu sagen. Lebten die Priester in solchen Vorstellungen, so lag es ihnen sehr nahe, bei seltsamen Vorfällen, bei Noth und schwerer Zeit, als wahre Urheber des Unheils die Geister ver- storbener Helden der Sage, auch wohl Mächtiger der letzten Zeiten thätig zu denken und in diesem Sinne die Gläubigen zu bescheiden. So wurde der delphische Gott der Patron des Heroenwesens, wie er als ein Patron der Heroen diese all- jährlich am Theoxenienfeste zum Mahl in seinen Tempel zu- sammenrief 1).
9.
Von allen Seiten begünstigt, vermehrte der Heroenglaube die Gegenstände seiner Anbetung in's Unübersehbare. Nach den grossen, alle heiligsten Gefühle der Griechen tief aufregen- den Freiheitskämpfen gegen die Perser schien es nicht zu viel, wenn selbst ganze Schaaren der für die Freiheit Gefallenen zu Heroen erhöhet würden; bis in späte Zeit fand alljährlich der feierliche Zug zu Ehren der bei Plataeae gebliebenen Griechen statt und das Opfer, bei dem der Archon der Stadt die Seelen "der wackeren Männer, die für Griechenland ge- storben waren", zum Mahl und Blutsättigung herbeirief 2). Auch
1) ginetai en Delphois erosi xenia, en ois dokei o theos epi xenia kalein tous eroas Schol. Pind. N. 7, 68.
2) Plut. Aristid. 21. -- Grab der im Perserkriege gefallenen Mega- renser auf dem Markte der Stadt: C. I. Gr. 1051 (= Simonid. fr. 107 Bgk.), Paus. 1, 43, 3. Von heroischen Ehren für diese erfährt man nichts, sie sind aber wohl vorauszusetzen. -- So hatte man in Phigalia auf dem
Fällen (und allerdings mit freier Erfindung der besonderen Einzelumstände) ausgeführt haben, was der verbreitete Volks- glaube ihrer Zeit im Allgemeinen vorschrieb. Es kommt aber hinzu, dass das Orakel Alles, was den Seelencult fördern und stärken konnte, in seinen Schutz nahm; soweit man von einer „delphischen Theologie“ reden kann, darf man den Unsterb- lichkeitsglauben in seinen populären Formen und den Cult der unsterblichen Seelen zu den wichtigsten Bestandtheilen dieser Theologie rechnen. Wir haben hiervon später noch einiges zu sagen. Lebten die Priester in solchen Vorstellungen, so lag es ihnen sehr nahe, bei seltsamen Vorfällen, bei Noth und schwerer Zeit, als wahre Urheber des Unheils die Geister ver- storbener Helden der Sage, auch wohl Mächtiger der letzten Zeiten thätig zu denken und in diesem Sinne die Gläubigen zu bescheiden. So wurde der delphische Gott der Patron des Heroenwesens, wie er als ein Patron der Heroen diese all- jährlich am Theoxenienfeste zum Mahl in seinen Tempel zu- sammenrief 1).
9.
Von allen Seiten begünstigt, vermehrte der Heroenglaube die Gegenstände seiner Anbetung in’s Unübersehbare. Nach den grossen, alle heiligsten Gefühle der Griechen tief aufregen- den Freiheitskämpfen gegen die Perser schien es nicht zu viel, wenn selbst ganze Schaaren der für die Freiheit Gefallenen zu Heroen erhöhet würden; bis in späte Zeit fand alljährlich der feierliche Zug zu Ehren der bei Plataeae gebliebenen Griechen statt und das Opfer, bei dem der Archon der Stadt die Seelen „der wackeren Männer, die für Griechenland ge- storben waren“, zum Mahl und Blutsättigung herbeirief 2). Auch
2) Plut. Aristid. 21. — Grab der im Perserkriege gefallenen Mega- renser auf dem Markte der Stadt: C. I. Gr. 1051 (= Simonid. fr. 107 Bgk.), Paus. 1, 43, 3. Von heroischen Ehren für diese erfährt man nichts, sie sind aber wohl vorauszusetzen. — So hatte man in Phigalia auf dem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0186"n="170"/>
Fällen (und allerdings mit freier Erfindung der besonderen<lb/>
Einzelumstände) ausgeführt haben, was der verbreitete Volks-<lb/>
glaube ihrer Zeit im Allgemeinen vorschrieb. Es kommt aber<lb/>
hinzu, dass das Orakel Alles, was den <hirendition="#g">Seelencult</hi> fördern und<lb/>
stärken konnte, in seinen Schutz nahm; soweit man von einer<lb/>„delphischen Theologie“ reden kann, darf man den Unsterb-<lb/>
lichkeitsglauben in seinen populären Formen und den Cult der<lb/>
unsterblichen Seelen zu den wichtigsten Bestandtheilen dieser<lb/>
Theologie rechnen. Wir haben hiervon später noch einiges<lb/>
zu sagen. Lebten die Priester in solchen Vorstellungen, so<lb/>
lag es ihnen sehr nahe, bei seltsamen Vorfällen, bei Noth und<lb/>
schwerer Zeit, als wahre Urheber des Unheils die Geister ver-<lb/>
storbener Helden der Sage, auch wohl Mächtiger der letzten<lb/>
Zeiten thätig zu denken und in diesem Sinne die Gläubigen<lb/>
zu bescheiden. So wurde der delphische Gott der Patron<lb/>
des Heroenwesens, wie er als ein Patron der Heroen diese all-<lb/>
jährlich am Theoxenienfeste zum Mahl in seinen Tempel zu-<lb/>
sammenrief <noteplace="foot"n="1)">γίνεταιἐνΔελφοῖςἥρωσιξένια, ἐνοἷςδοκεῖὁϑεὸςἐπὶξένιακαλεῖν<lb/>τοὺςἥρωας Schol. Pind. <hirendition="#i">N.</hi> 7, 68.</note>.</p></div><lb/><divn="2"><head>9.</head><lb/><p>Von allen Seiten begünstigt, vermehrte der Heroenglaube<lb/>
die Gegenstände seiner Anbetung in’s Unübersehbare. Nach<lb/>
den grossen, alle heiligsten Gefühle der Griechen tief aufregen-<lb/>
den Freiheitskämpfen gegen die Perser schien es nicht zu viel,<lb/>
wenn selbst ganze Schaaren der für die Freiheit Gefallenen<lb/>
zu Heroen erhöhet würden; bis in späte Zeit fand alljährlich<lb/>
der feierliche Zug zu Ehren der bei Plataeae gebliebenen<lb/>
Griechen statt und das Opfer, bei dem der Archon der Stadt<lb/>
die Seelen „der wackeren Männer, die für Griechenland ge-<lb/>
storben waren“, zum Mahl und Blutsättigung herbeirief <notexml:id="seg2pn_45_1"next="#seg2pn_45_2"place="foot"n="2)">Plut. <hirendition="#i">Aristid.</hi> 21. — Grab der im Perserkriege gefallenen Mega-<lb/>
renser auf dem Markte der Stadt: <hirendition="#i">C. I. Gr.</hi> 1051 (= Simonid. <hirendition="#i">fr.</hi> 107<lb/>
Bgk.), Paus. 1, 43, 3. Von heroischen Ehren für diese erfährt man nichts,<lb/>
sie sind aber wohl vorauszusetzen. — So hatte man in Phigalia auf dem</note>. Auch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[170/0186]
Fällen (und allerdings mit freier Erfindung der besonderen
Einzelumstände) ausgeführt haben, was der verbreitete Volks-
glaube ihrer Zeit im Allgemeinen vorschrieb. Es kommt aber
hinzu, dass das Orakel Alles, was den Seelencult fördern und
stärken konnte, in seinen Schutz nahm; soweit man von einer
„delphischen Theologie“ reden kann, darf man den Unsterb-
lichkeitsglauben in seinen populären Formen und den Cult der
unsterblichen Seelen zu den wichtigsten Bestandtheilen dieser
Theologie rechnen. Wir haben hiervon später noch einiges
zu sagen. Lebten die Priester in solchen Vorstellungen, so
lag es ihnen sehr nahe, bei seltsamen Vorfällen, bei Noth und
schwerer Zeit, als wahre Urheber des Unheils die Geister ver-
storbener Helden der Sage, auch wohl Mächtiger der letzten
Zeiten thätig zu denken und in diesem Sinne die Gläubigen
zu bescheiden. So wurde der delphische Gott der Patron
des Heroenwesens, wie er als ein Patron der Heroen diese all-
jährlich am Theoxenienfeste zum Mahl in seinen Tempel zu-
sammenrief 1).
9.
Von allen Seiten begünstigt, vermehrte der Heroenglaube
die Gegenstände seiner Anbetung in’s Unübersehbare. Nach
den grossen, alle heiligsten Gefühle der Griechen tief aufregen-
den Freiheitskämpfen gegen die Perser schien es nicht zu viel,
wenn selbst ganze Schaaren der für die Freiheit Gefallenen
zu Heroen erhöhet würden; bis in späte Zeit fand alljährlich
der feierliche Zug zu Ehren der bei Plataeae gebliebenen
Griechen statt und das Opfer, bei dem der Archon der Stadt
die Seelen „der wackeren Männer, die für Griechenland ge-
storben waren“, zum Mahl und Blutsättigung herbeirief 2). Auch
1) γίνεται ἐν Δελφοῖς ἥρωσι ξένια, ἐν οἷς δοκεῖ ὁ ϑεὸς ἐπὶ ξένια καλεῖν
τοὺς ἥρωας Schol. Pind. N. 7, 68.
2) Plut. Aristid. 21. — Grab der im Perserkriege gefallenen Mega-
renser auf dem Markte der Stadt: C. I. Gr. 1051 (= Simonid. fr. 107
Bgk.), Paus. 1, 43, 3. Von heroischen Ehren für diese erfährt man nichts,
sie sind aber wohl vorauszusetzen. — So hatte man in Phigalia auf dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/186>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.