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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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ein geregelter Cultus zu stiften sei. Standen wichtige Unter-
nehmungen eines Staates bevor, Eroberung fremden Landes,
Entscheidungsschlachten im Kriege, so hiess das Orakel die
Anfragenden, die Heroen des Landes, dem die Eroberung
galt oder in dem die Schlacht geschlagen werden sollte, vorher
zu versöhnen 1). Selbst ohne besonderen Anlass hiess bisweilen
das Orakel einen Verstorbenen als Heros ehren 2).

Eigenthümlich ist der Fall des Kleomedes von Asty-
palaea. Dieser hatte bei der 71. Olympienfeier (496) seinen
Gegner im Faustkampf getödtet, und war, von den Hellanodiken
seines Siegeskranzes für verlustig erklärt, tief gekränkt nach
Astypalaea zurückgekehrt. Dort riss er die Säule ein, welche
die Decke einer Knabenschule stützte, und floh, wegen des
Mordes der Knaben verfolgt, in den Athenetempel, wo er sich
in eine Kiste verbarg. Vergebens suchte man den Deckel
der Kiste zu öffnen, endlich erbrach man mit Gewalt die
Kiste, fand aber den Kleomedes nicht darin, weder lebend noch
als Leiche. Den Gesandten, welche die Stadt an das Orakel
schickte, wurde geantwortet, Kleomedes sei ein Heros ge-
worden, man solle ihn mit Opfern ehren, da er nicht mehr
sterblich sei 3). Und somit verehrten die Einwohner von Asty-
palaea den Kleomedes als Heros. Hier mischt sich in die
reine Vorstellung von Heroen als nach dem Tode zu gött-
lichem Leben Erhöheten der alte, von der Blüthezeit des Epos

1) Vor der Schlacht bei Plataeae: Plut. Aristid. 11. Vor der Ein-
nahme von Salamis befiehlt das Orakel dem Solon arkhegous eroas ilaso.
Plut. Sol. 9.
2) Dem Perser Artachaies, aus Achämenidischem Geschlecht, den
Xerxes, als er gestorben war, sehr feierlich bei Akanthos bestatten
liess, thuousi Akanthioi ek theopropiou os eroi, epounomazontes to ounoma.
Herodot 7, 117 (der Artakhaiou taphos blieb eine bekannte Oertlichkeit:
Aelian h. an. 13, 20). Schwerlich war der Grund seiner Heroisirung
durch das Orakel seine ungewöhnliche Leibesgrösse, von der Herodot
redet.
3) Paus. 6, 9, 6. 7. Plutarch Romul. 28. Oenomaus cyn. bei Euseb.
praep. evang. 5, 34. Auch Celsus k. khristianon spielt auf das Mirakel an:
Origen. c. Cels. 3, 33 p. 292. Lomm. vgl. 3, 3 p. 256; 3, 25 p. 280.

ein geregelter Cultus zu stiften sei. Standen wichtige Unter-
nehmungen eines Staates bevor, Eroberung fremden Landes,
Entscheidungsschlachten im Kriege, so hiess das Orakel die
Anfragenden, die Heroen des Landes, dem die Eroberung
galt oder in dem die Schlacht geschlagen werden sollte, vorher
zu versöhnen 1). Selbst ohne besonderen Anlass hiess bisweilen
das Orakel einen Verstorbenen als Heros ehren 2).

Eigenthümlich ist der Fall des Kleomedes von Asty-
palaea. Dieser hatte bei der 71. Olympienfeier (496) seinen
Gegner im Faustkampf getödtet, und war, von den Hellanodiken
seines Siegeskranzes für verlustig erklärt, tief gekränkt nach
Astypalaea zurückgekehrt. Dort riss er die Säule ein, welche
die Decke einer Knabenschule stützte, und floh, wegen des
Mordes der Knaben verfolgt, in den Athenetempel, wo er sich
in eine Kiste verbarg. Vergebens suchte man den Deckel
der Kiste zu öffnen, endlich erbrach man mit Gewalt die
Kiste, fand aber den Kleomedes nicht darin, weder lebend noch
als Leiche. Den Gesandten, welche die Stadt an das Orakel
schickte, wurde geantwortet, Kleomedes sei ein Heros ge-
worden, man solle ihn mit Opfern ehren, da er nicht mehr
sterblich sei 3). Und somit verehrten die Einwohner von Asty-
palaea den Kleomedes als Heros. Hier mischt sich in die
reine Vorstellung von Heroen als nach dem Tode zu gött-
lichem Leben Erhöheten der alte, von der Blüthezeit des Epos

1) Vor der Schlacht bei Plataeae: Plut. Aristid. 11. Vor der Ein-
nahme von Salamis befiehlt das Orakel dem Solon ἀρχηγοὺς ἥρωας ἵλασο.
Plut. Sol. 9.
2) Dem Perser Artachaies, aus Achämenidischem Geschlecht, den
Xerxes, als er gestorben war, sehr feierlich bei Akanthos bestatten
liess, ϑύουσι Ἀκάνϑιοι ἐκ ϑεοπροπίου ὠς ἥρωϊ, ἐπουνομάζοντες τὸ οὔνομα.
Herodot 7, 117 (der Ἀρταχαίου τάφος blieb eine bekannte Oertlichkeit:
Aelian h. an. 13, 20). Schwerlich war der Grund seiner Heroisirung
durch das Orakel seine ungewöhnliche Leibesgrösse, von der Herodot
redet.
3) Paus. 6, 9, 6. 7. Plutarch Romul. 28. Oenomaus cyn. bei Euseb.
praep. evang. 5, 34. Auch Celsus κ. χριστιανῶν spielt auf das Mirakel an:
Origen. c. Cels. 3, 33 p. 292. Lomm. vgl. 3, 3 p. 256; 3, 25 p. 280.
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[167/0183] ein geregelter Cultus zu stiften sei. Standen wichtige Unter- nehmungen eines Staates bevor, Eroberung fremden Landes, Entscheidungsschlachten im Kriege, so hiess das Orakel die Anfragenden, die Heroen des Landes, dem die Eroberung galt oder in dem die Schlacht geschlagen werden sollte, vorher zu versöhnen 1). Selbst ohne besonderen Anlass hiess bisweilen das Orakel einen Verstorbenen als Heros ehren 2). Eigenthümlich ist der Fall des Kleomedes von Asty- palaea. Dieser hatte bei der 71. Olympienfeier (496) seinen Gegner im Faustkampf getödtet, und war, von den Hellanodiken seines Siegeskranzes für verlustig erklärt, tief gekränkt nach Astypalaea zurückgekehrt. Dort riss er die Säule ein, welche die Decke einer Knabenschule stützte, und floh, wegen des Mordes der Knaben verfolgt, in den Athenetempel, wo er sich in eine Kiste verbarg. Vergebens suchte man den Deckel der Kiste zu öffnen, endlich erbrach man mit Gewalt die Kiste, fand aber den Kleomedes nicht darin, weder lebend noch als Leiche. Den Gesandten, welche die Stadt an das Orakel schickte, wurde geantwortet, Kleomedes sei ein Heros ge- worden, man solle ihn mit Opfern ehren, da er nicht mehr sterblich sei 3). Und somit verehrten die Einwohner von Asty- palaea den Kleomedes als Heros. Hier mischt sich in die reine Vorstellung von Heroen als nach dem Tode zu gött- lichem Leben Erhöheten der alte, von der Blüthezeit des Epos 1) Vor der Schlacht bei Plataeae: Plut. Aristid. 11. Vor der Ein- nahme von Salamis befiehlt das Orakel dem Solon ἀρχηγοὺς ἥρωας ἵλασο. Plut. Sol. 9. 2) Dem Perser Artachaies, aus Achämenidischem Geschlecht, den Xerxes, als er gestorben war, sehr feierlich bei Akanthos bestatten liess, ϑύουσι Ἀκάνϑιοι ἐκ ϑεοπροπίου ὠς ἥρωϊ, ἐπουνομάζοντες τὸ οὔνομα. Herodot 7, 117 (der Ἀρταχαίου τάφος blieb eine bekannte Oertlichkeit: Aelian h. an. 13, 20). Schwerlich war der Grund seiner Heroisirung durch das Orakel seine ungewöhnliche Leibesgrösse, von der Herodot redet. 3) Paus. 6, 9, 6. 7. Plutarch Romul. 28. Oenomaus cyn. bei Euseb. praep. evang. 5, 34. Auch Celsus κ. χριστιανῶν spielt auf das Mirakel an: Origen. c. Cels. 3, 33 p. 292. Lomm. vgl. 3, 3 p. 256; 3, 25 p. 280.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/183>, abgerufen am 23.11.2024.