die Weisungen des delphischen Orakels. Seit aus dunkeln An- fängen der delphische Priesterstaat sich zu der Würde einer anerkannten höchsten Autorität in allen Angelegenheiten des geistlichen Rechtes emporgeschwungen hatte, wurde das Orakel, wie bei allen Begebenheiten, die auf Zusammenhang mit einem Reiche unsichtbarer Mächte hinzuweisen schienen, so namentlich auch bei dauernder Unfruchtbarkeit und Dürre des Bodens und bei pestartigen Krankheiten, die eine Landschaft betroffen hatten, um die Ursache des Unglücks befragt. Sehr häufig lautete die Antwort dahin, dass Grund des Leidens der Zorn eines Heros sei, den man durch Opfer und Stiftung eines dauernden Dienstes zu versöhnen habe; oder es wurde empfohlen, zur Abwendung des Unheils die Gebeine eines Heros aus der Fremde zu holen, daheim beizusetzen, und dem Heros eine geregelte Verehrung zu widmen 1). Zahlreiche Heroenculte sind auf diese Weise gestiftet worden: die Beispiele gehören nicht nur einer halb sagenhaften Vorzeit an. Als nach dem Tode des Kimon auf Cypern Pest und Unfruchtbarkeit aus- brach, befahl das Orakel den Bewohnern von Kition, den Kimon "nicht zu vernachlässigen", sondern ihn als einen "Höheren", d. h. als Heros zu verehren 2). Auch wenn ängstliche Religiosität das Orakel wegen wunderbarer Gesichte, die Je- mand gehabt hatte, oder etwa wegen seltsamer Erscheinungen an der Leiche eines jüngst Verstorbenen 3) um Auskunft fragte, deutete die Antwort auf die Thätigkeit eines Heros, dem nun
1) In sämmtlichen oben S. 151 aufgezählten Beispielen war die Ver- setzung der Heroengebeine durch das delphische Orakel anempfohlen. Typische Beispiele für die Stiftung heroischer Jahresfeste auf Befehl des Orakels: Herodot 1, 167. Pausan. 8, 23, 7; 9, 38, 5.
2) Plut. Cimon 19. Gewährsmann ist Nausikrates o Retor, der Schüler des Isokrates. Der Gott befiehlt me amelein Kimonos: Kimons Geist rächte sich also durch die Pest und ges aphoria wegen "Vernachlässigung", er verlangte einen Cult.
3) Erscheinung in der Schlacht bei Marathon, Befehl des Orakels timan Ekhetlaion eroa. Paus. 1, 32, 5. -- Bienenschwarm in dem abge- schnittenen Kopfe des Onesilos zu Amathus; das Orakel befiehlt den Kopf zu bestatten, Onesilo de thuein os eroi ana pan etos. Herodot 5, 114.
die Weisungen des delphischen Orakels. Seit aus dunkeln An- fängen der delphische Priesterstaat sich zu der Würde einer anerkannten höchsten Autorität in allen Angelegenheiten des geistlichen Rechtes emporgeschwungen hatte, wurde das Orakel, wie bei allen Begebenheiten, die auf Zusammenhang mit einem Reiche unsichtbarer Mächte hinzuweisen schienen, so namentlich auch bei dauernder Unfruchtbarkeit und Dürre des Bodens und bei pestartigen Krankheiten, die eine Landschaft betroffen hatten, um die Ursache des Unglücks befragt. Sehr häufig lautete die Antwort dahin, dass Grund des Leidens der Zorn eines Heros sei, den man durch Opfer und Stiftung eines dauernden Dienstes zu versöhnen habe; oder es wurde empfohlen, zur Abwendung des Unheils die Gebeine eines Heros aus der Fremde zu holen, daheim beizusetzen, und dem Heros eine geregelte Verehrung zu widmen 1). Zahlreiche Heroenculte sind auf diese Weise gestiftet worden: die Beispiele gehören nicht nur einer halb sagenhaften Vorzeit an. Als nach dem Tode des Kimon auf Cypern Pest und Unfruchtbarkeit aus- brach, befahl das Orakel den Bewohnern von Kition, den Kimon „nicht zu vernachlässigen“, sondern ihn als einen „Höheren“, d. h. als Heros zu verehren 2). Auch wenn ängstliche Religiosität das Orakel wegen wunderbarer Gesichte, die Je- mand gehabt hatte, oder etwa wegen seltsamer Erscheinungen an der Leiche eines jüngst Verstorbenen 3) um Auskunft fragte, deutete die Antwort auf die Thätigkeit eines Heros, dem nun
1) In sämmtlichen oben S. 151 aufgezählten Beispielen war die Ver- setzung der Heroengebeine durch das delphische Orakel anempfohlen. Typische Beispiele für die Stiftung heroischer Jahresfeste auf Befehl des Orakels: Herodot 1, 167. Pausan. 8, 23, 7; 9, 38, 5.
2) Plut. Cimon 19. Gewährsmann ist Nausikrates ὁ ῥήτωρ, der Schüler des Isokrates. Der Gott befiehlt μὴ ἀμελεῖν Κίμωνος: Kimons Geist rächte sich also durch die Pest und γῆς ἀφορία wegen „Vernachlässigung“, er verlangte einen Cult.
3) Erscheinung in der Schlacht bei Marathon, Befehl des Orakels τιμᾶν Ἐχετλαῖον ἥρωα. Paus. 1, 32, 5. — Bienenschwarm in dem abge- schnittenen Kopfe des Onesilos zu Amathus; das Orakel befiehlt den Kopf zu bestatten, Ὀνησίλῳ δὲ ϑύειν ὡς ἥρωι ἀνὰ πᾶν ἔτος. Herodot 5, 114.
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nicht nur einer halb sagenhaften Vorzeit an. Als nach dem
Tode des Kimon auf Cypern Pest und Unfruchtbarkeit aus-
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Kimon „nicht zu vernachlässigen“, sondern ihn als einen
„Höheren“, d. h. als Heros zu verehren 2). Auch wenn ängstliche
Religiosität das Orakel wegen wunderbarer Gesichte, die Je-
mand gehabt hatte, oder etwa wegen seltsamer Erscheinungen
an der Leiche eines jüngst Verstorbenen 3) um Auskunft fragte,
deutete die Antwort auf die Thätigkeit eines Heros, dem nun
1) In sämmtlichen oben S. 151 aufgezählten Beispielen war die Ver-
setzung der Heroengebeine durch das delphische Orakel anempfohlen.
Typische Beispiele für die Stiftung heroischer Jahresfeste auf Befehl des
Orakels: Herodot 1, 167. Pausan. 8, 23, 7; 9, 38, 5.
2) Plut. Cimon 19. Gewährsmann ist Nausikrates ὁ ῥήτωρ, der Schüler
des Isokrates. Der Gott befiehlt μὴ ἀμελεῖν Κίμωνος: Kimons Geist rächte
sich also durch die Pest und γῆς ἀφορία wegen „Vernachlässigung“, er
verlangte einen Cult.
3) Erscheinung in der Schlacht bei Marathon, Befehl des Orakels
τιμᾶν Ἐχετλαῖον ἥρωα. Paus. 1, 32, 5. — Bienenschwarm in dem abge-
schnittenen Kopfe des Onesilos zu Amathus; das Orakel befiehlt den Kopf
zu bestatten, Ὀνησίλῳ δὲ ϑύειν ὡς ἥρωι ἀνὰ πᾶν ἔτος. Herodot 5, 114.
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/182>, abgerufen am 23.11.2024.
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