Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

Bild:
<< vorherige Seite
8.

Im Ganzen war man um grosse oder bedeutungsvolle
Namen nicht verlegen, wenn es galt, die Stadtheroen zu be-
nennen. Namentlich der Begründer der Stadt und ihrer Götter-
dienste und des ganzen geheiligten Kreises, der das Leben
der Bürger umschloss, genoss regelmässig als Heros Archegetes
hoher Verehrung 1). Natürlich waren es meist mythische, auch
wohl willkürlich fingirte Gestalten, welche die Städte und
Städtchen Griechenlands und auch die Pflanzstädte in der
Fremde als ihre "Begründer" verehrten. Seit man aber nach
überlegtem Plane Colonien unter einem, meist mit Beirath des
Orakels bestimmten, weite Machtvollkommenheit geniessen-
den 2) Führer aussandte und anlegte, rückten auch diese wirk-
lichen Oikisten nach dem Tode regelmässig in den Rang der
Heroen ein. Von dem Ehrengrab des heroisirten Gründers von
Kyrene auf dem Marktplatz der Stadt redet Pindar 3); die
Bewohner des thracischen Chersones opferten dem Miltiades,
Sohn des Kypselos als ihrem Oikisten, "wie es Sitte ist", und
feierten ihm jährliche Wettspiele 4); in Katana auf Sicilien lag
Hieron von Syrakus begraben und wurde als Gründer der Stadt
mit heroischen Ehren gefeiert 5). In Abdera setzten die Teier,
als sie die Stadt neu gründeten, den alten Gründer Timesios
auf's Neue in die Ehren des Heros ein 6). Dagegen konnte
auch einmal der alte und wahre Oikistes von der, der Mutter-
stadt feindlich gewordenen Bevölkerung einer Colonie seiner
Ehren entsetzt, statt seiner ein anderer in die höchsten Heroen-
ehren, als nachträglich erwählter "Gründer" eingesetzt werden:

1) Tlapolemo arkhageta Pind. Ol. 7, 78; vgl. P. 5, 56. Die Regel
bezeichnet Ephorus bei Strabo 8, p. 366: -- oud arkhegetas nomisthenai ;
oper pasin apodidotai oikistais.
2) Demokleiden de katastesai ten apoikian autokratora. Volks-
beschluss über Brea: C. I. Att. I 31.
3) Pind. P. 5, 87 ff.
4) Herodot. 6, 38.
5) Diodor. 11, 66, 4.
6) Herodot. 1, 168.
8.

Im Ganzen war man um grosse oder bedeutungsvolle
Namen nicht verlegen, wenn es galt, die Stadtheroen zu be-
nennen. Namentlich der Begründer der Stadt und ihrer Götter-
dienste und des ganzen geheiligten Kreises, der das Leben
der Bürger umschloss, genoss regelmässig als Heros Archegetes
hoher Verehrung 1). Natürlich waren es meist mythische, auch
wohl willkürlich fingirte Gestalten, welche die Städte und
Städtchen Griechenlands und auch die Pflanzstädte in der
Fremde als ihre „Begründer“ verehrten. Seit man aber nach
überlegtem Plane Colonien unter einem, meist mit Beirath des
Orakels bestimmten, weite Machtvollkommenheit geniessen-
den 2) Führer aussandte und anlegte, rückten auch diese wirk-
lichen Oikisten nach dem Tode regelmässig in den Rang der
Heroen ein. Von dem Ehrengrab des heroisirten Gründers von
Kyrene auf dem Marktplatz der Stadt redet Pindar 3); die
Bewohner des thracischen Chersones opferten dem Miltiades,
Sohn des Kypselos als ihrem Oikisten, „wie es Sitte ist“, und
feierten ihm jährliche Wettspiele 4); in Katana auf Sicilien lag
Hieron von Syrakus begraben und wurde als Gründer der Stadt
mit heroischen Ehren gefeiert 5). In Abdera setzten die Teïer,
als sie die Stadt neu gründeten, den alten Gründer Timesios
auf’s Neue in die Ehren des Heros ein 6). Dagegen konnte
auch einmal der alte und wahre Oikistes von der, der Mutter-
stadt feindlich gewordenen Bevölkerung einer Colonie seiner
Ehren entsetzt, statt seiner ein anderer in die höchsten Heroen-
ehren, als nachträglich erwählter „Gründer“ eingesetzt werden:

1) Τλαπολέμῳ ἀρχαγέτᾳ Pind. Ol. 7, 78; vgl. P. 5, 56. Die Regel
bezeichnet Ephorus bei Strabo 8, p. 366: — οὐδ̕ ἀρχηγέτας νομισϑῆναι ·
ὅπερ πᾶσιν ἀποδίδοται οἰκισταῖς.
2) Δημοκλείδην δὲ καταστῆσαι τὴν ἀποικίαν αὐτοκράτορα. Volks-
beschluss über Brea: C. I. Att. I 31.
3) Pind. P. 5, 87 ff.
4) Herodot. 6, 38.
5) Diodor. 11, 66, 4.
6) Herodot. 1, 168.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0180" n="164"/>
        <div n="2">
          <head>8.</head><lb/>
          <p>Im Ganzen war man um grosse oder bedeutungsvolle<lb/>
Namen nicht verlegen, wenn es galt, die Stadtheroen zu be-<lb/>
nennen. Namentlich der Begründer der Stadt und ihrer Götter-<lb/>
dienste und des ganzen geheiligten Kreises, der das Leben<lb/>
der Bürger umschloss, genoss regelmässig als Heros Archegetes<lb/>
hoher Verehrung <note place="foot" n="1)">&#x03A4;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03AD;&#x03BC;&#x1FF3; &#x1F00;&#x03C1;&#x03C7;&#x03B1;&#x03B3;&#x03AD;&#x03C4;&#x1FB3; Pind. <hi rendition="#i">Ol.</hi> 7, 78; vgl. <hi rendition="#i">P.</hi> 5, 56. Die Regel<lb/>
bezeichnet Ephorus bei Strabo 8, p. 366: &#x2014; &#x03BF;&#x1F50;&#x03B4;&#x0315; &#x1F00;&#x03C1;&#x03C7;&#x03B7;&#x03B3;&#x03AD;&#x03C4;&#x03B1;&#x03C2; &#x03BD;&#x03BF;&#x03BC;&#x03B9;&#x03C3;&#x03D1;&#x1FC6;&#x03BD;&#x03B1;&#x03B9; &#x0387;<lb/>
&#x1F45;&#x03C0;&#x03B5;&#x03C1; &#x03C0;&#x1FB6;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BD; &#x1F00;&#x03C0;&#x03BF;&#x03B4;&#x03AF;&#x03B4;&#x03BF;&#x03C4;&#x03B1;&#x03B9; &#x03BF;&#x1F30;&#x03BA;&#x03B9;&#x03C3;&#x03C4;&#x03B1;&#x1FD6;&#x03C2;.</note>. Natürlich waren es meist mythische, auch<lb/>
wohl willkürlich fingirte Gestalten, welche die Städte und<lb/>
Städtchen Griechenlands und auch die Pflanzstädte in der<lb/>
Fremde als ihre &#x201E;Begründer&#x201C; verehrten. Seit man aber nach<lb/>
überlegtem Plane Colonien unter einem, meist mit Beirath des<lb/>
Orakels bestimmten, weite Machtvollkommenheit geniessen-<lb/>
den <note place="foot" n="2)">&#x0394;&#x03B7;&#x03BC;&#x03BF;&#x03BA;&#x03BB;&#x03B5;&#x03AF;&#x03B4;&#x03B7;&#x03BD; &#x03B4;&#x1F72; &#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B1;&#x03C3;&#x03C4;&#x1FC6;&#x03C3;&#x03B1;&#x03B9; &#x03C4;&#x1F74;&#x03BD; &#x1F00;&#x03C0;&#x03BF;&#x03B9;&#x03BA;&#x03AF;&#x03B1;&#x03BD; <hi rendition="#g">&#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x03BF;&#x03BA;&#x03C1;&#x03AC;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C1;&#x03B1;</hi>. Volks-<lb/>
beschluss über Brea: <hi rendition="#i">C. I. Att.</hi> I 31.</note> Führer aussandte und anlegte, rückten auch diese wirk-<lb/>
lichen Oikisten nach dem Tode regelmässig in den Rang der<lb/>
Heroen ein. Von dem Ehrengrab des heroisirten Gründers von<lb/>
Kyrene auf dem Marktplatz der Stadt redet Pindar <note place="foot" n="3)">Pind. <hi rendition="#i">P.</hi> 5, 87 ff.</note>; die<lb/>
Bewohner des thracischen Chersones opferten dem Miltiades,<lb/>
Sohn des Kypselos als ihrem Oikisten, &#x201E;wie es Sitte ist&#x201C;, und<lb/>
feierten ihm jährliche Wettspiele <note place="foot" n="4)">Herodot. 6, 38.</note>; in Katana auf Sicilien lag<lb/>
Hieron von Syrakus begraben und wurde als Gründer der Stadt<lb/>
mit heroischen Ehren gefeiert <note place="foot" n="5)">Diodor. 11, 66, 4.</note>. In Abdera setzten die Teïer,<lb/>
als sie die Stadt neu gründeten, den alten Gründer Timesios<lb/>
auf&#x2019;s Neue in die Ehren des Heros ein <note place="foot" n="6)">Herodot. 1, 168.</note>. Dagegen konnte<lb/>
auch einmal der alte und wahre Oikistes von der, der Mutter-<lb/>
stadt feindlich gewordenen Bevölkerung einer Colonie seiner<lb/>
Ehren entsetzt, statt seiner ein anderer in die höchsten Heroen-<lb/>
ehren, als nachträglich erwählter &#x201E;Gründer&#x201C; eingesetzt werden:<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0180] 8. Im Ganzen war man um grosse oder bedeutungsvolle Namen nicht verlegen, wenn es galt, die Stadtheroen zu be- nennen. Namentlich der Begründer der Stadt und ihrer Götter- dienste und des ganzen geheiligten Kreises, der das Leben der Bürger umschloss, genoss regelmässig als Heros Archegetes hoher Verehrung 1). Natürlich waren es meist mythische, auch wohl willkürlich fingirte Gestalten, welche die Städte und Städtchen Griechenlands und auch die Pflanzstädte in der Fremde als ihre „Begründer“ verehrten. Seit man aber nach überlegtem Plane Colonien unter einem, meist mit Beirath des Orakels bestimmten, weite Machtvollkommenheit geniessen- den 2) Führer aussandte und anlegte, rückten auch diese wirk- lichen Oikisten nach dem Tode regelmässig in den Rang der Heroen ein. Von dem Ehrengrab des heroisirten Gründers von Kyrene auf dem Marktplatz der Stadt redet Pindar 3); die Bewohner des thracischen Chersones opferten dem Miltiades, Sohn des Kypselos als ihrem Oikisten, „wie es Sitte ist“, und feierten ihm jährliche Wettspiele 4); in Katana auf Sicilien lag Hieron von Syrakus begraben und wurde als Gründer der Stadt mit heroischen Ehren gefeiert 5). In Abdera setzten die Teïer, als sie die Stadt neu gründeten, den alten Gründer Timesios auf’s Neue in die Ehren des Heros ein 6). Dagegen konnte auch einmal der alte und wahre Oikistes von der, der Mutter- stadt feindlich gewordenen Bevölkerung einer Colonie seiner Ehren entsetzt, statt seiner ein anderer in die höchsten Heroen- ehren, als nachträglich erwählter „Gründer“ eingesetzt werden: 1) Τλαπολέμῳ ἀρχαγέτᾳ Pind. Ol. 7, 78; vgl. P. 5, 56. Die Regel bezeichnet Ephorus bei Strabo 8, p. 366: — οὐδ̕ ἀρχηγέτας νομισϑῆναι · ὅπερ πᾶσιν ἀποδίδοται οἰκισταῖς. 2) Δημοκλείδην δὲ καταστῆσαι τὴν ἀποικίαν αὐτοκράτορα. Volks- beschluss über Brea: C. I. Att. I 31. 3) Pind. P. 5, 87 ff. 4) Herodot. 6, 38. 5) Diodor. 11, 66, 4. 6) Herodot. 1, 168.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/180
Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/180>, abgerufen am 22.12.2024.