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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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wo man den richtigen nicht mehr kannte, und widmete seine
Verehrung dem Scheinbild, oft nur dem Symbol eines Ahnen.
Immer hielt man an der Nachbildung eines wirklichen Ahnen-
cultes fest, die Ueberreste eines wirklichen Ahnendienstes gaben
das Vorbild, sie sind die wahre Wurzel, aus welcher der
Heroenglaube und Heroencult hervorsprossen.

7.

Wie sich dann Ausbildung und Verbreitung des Heroen-
wesens im Einzelnen vollzog, können wir nicht mehr verfolgen.
Die uns erhaltenen Berichte zeigen uns den Zustand der vollen
Entwicklung, nicht die Stufen, die zu dieser Entwicklung führten.
Von der Menge der in Griechenlands blühendsten Zeiten vor-
handenen Heroendienste giebt am ersten eine Ahnung die
immer noch sehr grosse Zahl von Heroengräbern und Heroen-
culten, die Pausanias in dem Bericht über seine Wanderung
durch die wichtigsten Landschaften des alternden und in Trümmer
fallenden Griechenlands der Antoninenzeit nennt. Als Heroen
verehrt wurden fast alle durch die Heldendichtung verklärten
Gestalten der Sage, sowohl in ihrer Heimath (wie Achill in
Thessalien, Aias auf Salamis u. s. w.) als an anderen Orten,
die sich etwa rühmten, ihre Gräber zu besitzen (wie die Delpher
das des Neoptolemos, die Sybariten das des Philoktet u. s. w.)
oder durch genealogischen Zusammenhang vornehmer Ge-
schlechter der Stadt mit ihnen (wie z. B. Athen mit Aias und
dessen Söhnen) verbunden zu sein. In Colonien namentlich
mochten mit den Bestandtheilen der Bevölkerung auch die
Heroenculte sich oft bunt genug mischen: so verehrte man in
Tarent in gemeinsamem Heroencult die Atriden, Tydiden,
Aeakiden, Laertiaden, im Besonderen noch die Agamemnoniden,
auch Achill hatte einen besonderen Tempel 1). Neben den
grossen Namen, denen in der Hauptsache doch der alte dich-
terische Ruhm in den Zeiten verbreiteten Heroendienstes zu
einer nachträglichen Heroisirung verholfen haben mag, begegnen

1) Ps. Aristot. mirab. 106.

wo man den richtigen nicht mehr kannte, und widmete seine
Verehrung dem Scheinbild, oft nur dem Symbol eines Ahnen.
Immer hielt man an der Nachbildung eines wirklichen Ahnen-
cultes fest, die Ueberreste eines wirklichen Ahnendienstes gaben
das Vorbild, sie sind die wahre Wurzel, aus welcher der
Heroenglaube und Heroencult hervorsprossen.

7.

Wie sich dann Ausbildung und Verbreitung des Heroen-
wesens im Einzelnen vollzog, können wir nicht mehr verfolgen.
Die uns erhaltenen Berichte zeigen uns den Zustand der vollen
Entwicklung, nicht die Stufen, die zu dieser Entwicklung führten.
Von der Menge der in Griechenlands blühendsten Zeiten vor-
handenen Heroendienste giebt am ersten eine Ahnung die
immer noch sehr grosse Zahl von Heroengräbern und Heroen-
culten, die Pausanias in dem Bericht über seine Wanderung
durch die wichtigsten Landschaften des alternden und in Trümmer
fallenden Griechenlands der Antoninenzeit nennt. Als Heroen
verehrt wurden fast alle durch die Heldendichtung verklärten
Gestalten der Sage, sowohl in ihrer Heimath (wie Achill in
Thessalien, Aias auf Salamis u. s. w.) als an anderen Orten,
die sich etwa rühmten, ihre Gräber zu besitzen (wie die Delpher
das des Neoptolemos, die Sybariten das des Philoktet u. s. w.)
oder durch genealogischen Zusammenhang vornehmer Ge-
schlechter der Stadt mit ihnen (wie z. B. Athen mit Aias und
dessen Söhnen) verbunden zu sein. In Colonien namentlich
mochten mit den Bestandtheilen der Bevölkerung auch die
Heroenculte sich oft bunt genug mischen: so verehrte man in
Tarent in gemeinsamem Heroencult die Atriden, Tydiden,
Aeakiden, Laërtiaden, im Besonderen noch die Agamemnoniden,
auch Achill hatte einen besonderen Tempel 1). Neben den
grossen Namen, denen in der Hauptsache doch der alte dich-
terische Ruhm in den Zeiten verbreiteten Heroendienstes zu
einer nachträglichen Heroisirung verholfen haben mag, begegnen

1) Ps. Aristot. mirab. 106.
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[160/0176] wo man den richtigen nicht mehr kannte, und widmete seine Verehrung dem Scheinbild, oft nur dem Symbol eines Ahnen. Immer hielt man an der Nachbildung eines wirklichen Ahnen- cultes fest, die Ueberreste eines wirklichen Ahnendienstes gaben das Vorbild, sie sind die wahre Wurzel, aus welcher der Heroenglaube und Heroencult hervorsprossen. 7. Wie sich dann Ausbildung und Verbreitung des Heroen- wesens im Einzelnen vollzog, können wir nicht mehr verfolgen. Die uns erhaltenen Berichte zeigen uns den Zustand der vollen Entwicklung, nicht die Stufen, die zu dieser Entwicklung führten. Von der Menge der in Griechenlands blühendsten Zeiten vor- handenen Heroendienste giebt am ersten eine Ahnung die immer noch sehr grosse Zahl von Heroengräbern und Heroen- culten, die Pausanias in dem Bericht über seine Wanderung durch die wichtigsten Landschaften des alternden und in Trümmer fallenden Griechenlands der Antoninenzeit nennt. Als Heroen verehrt wurden fast alle durch die Heldendichtung verklärten Gestalten der Sage, sowohl in ihrer Heimath (wie Achill in Thessalien, Aias auf Salamis u. s. w.) als an anderen Orten, die sich etwa rühmten, ihre Gräber zu besitzen (wie die Delpher das des Neoptolemos, die Sybariten das des Philoktet u. s. w.) oder durch genealogischen Zusammenhang vornehmer Ge- schlechter der Stadt mit ihnen (wie z. B. Athen mit Aias und dessen Söhnen) verbunden zu sein. In Colonien namentlich mochten mit den Bestandtheilen der Bevölkerung auch die Heroenculte sich oft bunt genug mischen: so verehrte man in Tarent in gemeinsamem Heroencult die Atriden, Tydiden, Aeakiden, Laërtiaden, im Besonderen noch die Agamemnoniden, auch Achill hatte einen besonderen Tempel 1). Neben den grossen Namen, denen in der Hauptsache doch der alte dich- terische Ruhm in den Zeiten verbreiteten Heroendienstes zu einer nachträglichen Heroisirung verholfen haben mag, begegnen 1) Ps. Aristot. mirab. 106.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/176>, abgerufen am 25.11.2024.