Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

weisung eines Bindegliedes zwischen zwei so weit getrennten
Vorstellungsweisen sein. Es würde nichts helfen, wenn man
sagte, der Glanz der epischen Dichtung habe die von diesen
Gefeierten so herrlich und ehrwürdig erscheinen lassen, dass
sie ganz natürlich in der Phantasie der späteren Geschlechter
sich zu Halbgöttern erhöhet hätten und als solche verehrt
worden seien. Die homerische Dichtung, alle Vorstellungen
von wahrem, bewusstem und thatkräftigem Leben der Seele
nach dem Tode streng abschneidend, konnte wahrlich nicht auf-
fordern, gerade ihre Helden, die ja todt und fernab zum Reiche
des Hades entschwunden sein sollten, als fortlebend und aus
ihren Gräbern heraus wirkend sich zu denken. Auch ist es
durchaus unwahrscheinlich, dass in der geschichtlichen Ent-
wicklung es gerade die Helden der epischen Dichtung gewesen
seien, von deren Verehrung der Heroencultus ausging: im
Cultus wenigstens haben (mit geringen Ausnahmen) diese keines-
wegs besonders tiefe Wurzeln geschlagen. Und dass ein Cultus
überhaupt aus den Anregungen der Phantasie, wie das Epos
sie bot, zuerst habe entstehen können, ist an sich schon wenig
einleuchtend. Der Cultus aber ist es, auf welchem der Heroen-
glaube eigentlich beruht.

Deutlich ist vielmehr, nach allem bisher Ausgeführten,
der Gegensatz des Heroenglaubens zu homerischen Vor-
stellungen. Der phantastische Gedanke der Inselentrückung,
auch der Höhlenentrückung einzelner Menschen, vertrug sich
noch mit den Voraussetzungen homerischer Eschatologie; bei
der wunderbaren Erhaltung gottgeliebter Menschen in ewigem
Leben trat mit der Bedingung der Trennung von Seele und
Leib auch deren Folge nicht ein. Anders das, was man von
den Heroen glaubte: eine Fortsetzung des bewussten Daseins,
in der Nähe der Lebendigen, nach dem Tode, nach und trotz
dem Abscheiden der Psyche vom sichtbaren Menschen. Dies
widerstritt geradezu homerischer Psychologie. Wir müssten
gänzlich darauf verzichten, diesen neuen Glauben mit der
früheren Entwicklung in irgend einen inneren Zusammenhang

weisung eines Bindegliedes zwischen zwei so weit getrennten
Vorstellungsweisen sein. Es würde nichts helfen, wenn man
sagte, der Glanz der epischen Dichtung habe die von diesen
Gefeierten so herrlich und ehrwürdig erscheinen lassen, dass
sie ganz natürlich in der Phantasie der späteren Geschlechter
sich zu Halbgöttern erhöhet hätten und als solche verehrt
worden seien. Die homerische Dichtung, alle Vorstellungen
von wahrem, bewusstem und thatkräftigem Leben der Seele
nach dem Tode streng abschneidend, konnte wahrlich nicht auf-
fordern, gerade ihre Helden, die ja todt und fernab zum Reiche
des Hades entschwunden sein sollten, als fortlebend und aus
ihren Gräbern heraus wirkend sich zu denken. Auch ist es
durchaus unwahrscheinlich, dass in der geschichtlichen Ent-
wicklung es gerade die Helden der epischen Dichtung gewesen
seien, von deren Verehrung der Heroencultus ausging: im
Cultus wenigstens haben (mit geringen Ausnahmen) diese keines-
wegs besonders tiefe Wurzeln geschlagen. Und dass ein Cultus
überhaupt aus den Anregungen der Phantasie, wie das Epos
sie bot, zuerst habe entstehen können, ist an sich schon wenig
einleuchtend. Der Cultus aber ist es, auf welchem der Heroen-
glaube eigentlich beruht.

Deutlich ist vielmehr, nach allem bisher Ausgeführten,
der Gegensatz des Heroenglaubens zu homerischen Vor-
stellungen. Der phantastische Gedanke der Inselentrückung,
auch der Höhlenentrückung einzelner Menschen, vertrug sich
noch mit den Voraussetzungen homerischer Eschatologie; bei
der wunderbaren Erhaltung gottgeliebter Menschen in ewigem
Leben trat mit der Bedingung der Trennung von Seele und
Leib auch deren Folge nicht ein. Anders das, was man von
den Heroen glaubte: eine Fortsetzung des bewussten Daseins,
in der Nähe der Lebendigen, nach dem Tode, nach und trotz
dem Abscheiden der Psyche vom sichtbaren Menschen. Dies
widerstritt geradezu homerischer Psychologie. Wir müssten
gänzlich darauf verzichten, diesen neuen Glauben mit der
früheren Entwicklung in irgend einen inneren Zusammenhang

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0162" n="146"/>
weisung eines Bindegliedes zwischen zwei so weit getrennten<lb/>
Vorstellungsweisen sein. Es würde nichts helfen, wenn man<lb/>
sagte, der Glanz der epischen Dichtung habe die von diesen<lb/>
Gefeierten so herrlich und ehrwürdig erscheinen lassen, dass<lb/>
sie ganz natürlich in der Phantasie der späteren Geschlechter<lb/>
sich zu Halbgöttern erhöhet hätten und als solche verehrt<lb/>
worden seien. Die homerische Dichtung, alle Vorstellungen<lb/>
von wahrem, bewusstem und thatkräftigem Leben der Seele<lb/>
nach dem Tode streng abschneidend, konnte wahrlich nicht auf-<lb/>
fordern, gerade ihre Helden, die ja todt und fernab zum Reiche<lb/>
des Hades entschwunden sein sollten, als fortlebend und aus<lb/>
ihren Gräbern heraus wirkend sich zu denken. Auch ist es<lb/>
durchaus unwahrscheinlich, dass in der geschichtlichen Ent-<lb/>
wicklung es gerade die Helden der epischen Dichtung gewesen<lb/>
seien, von deren Verehrung der Heroencultus ausging: im<lb/>
Cultus wenigstens haben (mit geringen Ausnahmen) diese keines-<lb/>
wegs besonders tiefe Wurzeln geschlagen. Und dass ein Cultus<lb/>
überhaupt aus den Anregungen der <hi rendition="#g">Phantasie</hi>, wie das Epos<lb/>
sie bot, zuerst habe entstehen können, ist an sich schon wenig<lb/>
einleuchtend. Der Cultus aber ist es, auf welchem der Heroen-<lb/>
glaube eigentlich beruht.</p><lb/>
          <p>Deutlich ist vielmehr, nach allem bisher Ausgeführten,<lb/>
der <hi rendition="#g">Gegensatz</hi> des Heroenglaubens zu homerischen Vor-<lb/>
stellungen. Der phantastische Gedanke der Inselentrückung,<lb/>
auch der Höhlenentrückung einzelner Menschen, vertrug sich<lb/>
noch mit den Voraussetzungen homerischer Eschatologie; bei<lb/>
der wunderbaren Erhaltung gottgeliebter Menschen in ewigem<lb/>
Leben trat mit der Bedingung der Trennung von Seele und<lb/>
Leib auch deren Folge nicht ein. Anders das, was man von<lb/>
den Heroen glaubte: eine Fortsetzung des bewussten Daseins,<lb/>
in der Nähe der Lebendigen, nach dem Tode, nach und trotz<lb/>
dem Abscheiden der Psyche vom sichtbaren Menschen. Dies<lb/>
widerstritt geradezu homerischer Psychologie. Wir müssten<lb/>
gänzlich darauf verzichten, diesen neuen Glauben mit der<lb/>
früheren Entwicklung in irgend einen inneren Zusammenhang<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0162] weisung eines Bindegliedes zwischen zwei so weit getrennten Vorstellungsweisen sein. Es würde nichts helfen, wenn man sagte, der Glanz der epischen Dichtung habe die von diesen Gefeierten so herrlich und ehrwürdig erscheinen lassen, dass sie ganz natürlich in der Phantasie der späteren Geschlechter sich zu Halbgöttern erhöhet hätten und als solche verehrt worden seien. Die homerische Dichtung, alle Vorstellungen von wahrem, bewusstem und thatkräftigem Leben der Seele nach dem Tode streng abschneidend, konnte wahrlich nicht auf- fordern, gerade ihre Helden, die ja todt und fernab zum Reiche des Hades entschwunden sein sollten, als fortlebend und aus ihren Gräbern heraus wirkend sich zu denken. Auch ist es durchaus unwahrscheinlich, dass in der geschichtlichen Ent- wicklung es gerade die Helden der epischen Dichtung gewesen seien, von deren Verehrung der Heroencultus ausging: im Cultus wenigstens haben (mit geringen Ausnahmen) diese keines- wegs besonders tiefe Wurzeln geschlagen. Und dass ein Cultus überhaupt aus den Anregungen der Phantasie, wie das Epos sie bot, zuerst habe entstehen können, ist an sich schon wenig einleuchtend. Der Cultus aber ist es, auf welchem der Heroen- glaube eigentlich beruht. Deutlich ist vielmehr, nach allem bisher Ausgeführten, der Gegensatz des Heroenglaubens zu homerischen Vor- stellungen. Der phantastische Gedanke der Inselentrückung, auch der Höhlenentrückung einzelner Menschen, vertrug sich noch mit den Voraussetzungen homerischer Eschatologie; bei der wunderbaren Erhaltung gottgeliebter Menschen in ewigem Leben trat mit der Bedingung der Trennung von Seele und Leib auch deren Folge nicht ein. Anders das, was man von den Heroen glaubte: eine Fortsetzung des bewussten Daseins, in der Nähe der Lebendigen, nach dem Tode, nach und trotz dem Abscheiden der Psyche vom sichtbaren Menschen. Dies widerstritt geradezu homerischer Psychologie. Wir müssten gänzlich darauf verzichten, diesen neuen Glauben mit der früheren Entwicklung in irgend einen inneren Zusammenhang

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/162
Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/162>, abgerufen am 25.11.2024.