einheitlicher Persönlichkeit geschlossen, vor. Und wie er über die Götterzersplitterung der Localdienste hinwegsieht, so bindet er auch seine Götter nicht an einzelne Wohnplätze und Wir- kungsstätten in griechischen Landschaften: sie gehören dem einen Local nicht mehr an als dem anderen. Sie walten und wirken wohl auf der Erde, aber sie sind dennoch ortsfrei, sie wohnen und versammeln sich auf den Gipfeln des Olympos, des pieri- schen Götterberges, der aber schon dem Homer, von aller Orts- bestimmtheit frei, stark in's rein Ideale zu verschwimmen be- ginnt. So ist das weite Meer der Wohnplatz des Poseidon, ein einzelner Ort fesselt ihn nicht; und auch die Herrscher im Reiche der Seelen, Aides und Persephoneia hausen, fern frei- lich vom Olymp, aber nicht hier oder dort unter der Ober- fläche des griechischen Landes, sondern in einem Ideallande auch sie, an keinen einzelnen Ort im Lande der Wirklichkeit gebunden. Wem sich so, bei dem grossen Werke der Ver- einfachung und Idealisirung des unbegrenzt Mannichfaltigen, aus all den ungezählten Einzelgestaltungen des Namens Zeus, welche die einzelnen Gemeinschaften griechischer Länder, eine jede nur in ihrem engbegrenzten Umkreis, verehrte, die Eine übermächtige Gestalt des Zeus, Vaters der Götter und Men- schen, erhoben hatte, dem konnte freilich ein Sonderzeus, der sich Zeus Trophonios nannte und in einer Höhle bei Lebadea sein unsterbliches Dasein verbrachte und nur dort seine Wir- kungen ausüben konnte, kaum noch vorstellbar sein.
Dem Anwohner der heiligen Stätte freilich liess sich der Glaube an das Dasein und die Anwesenheit des Gottes seiner Heimath nicht rauben. Mochte er im Uebrigen, und fremdem Localcultus gegenüber, noch so sehr nach homerischer Dar- stellung seine Gesammtvorstellung vom Götterwesen regeln: die Wirklichkeit und Heiligkeit seines, wenn auch der olympischen Götterfamilie des Epos völlig fremden Heimathgottes stand ihm unerschütterlich fest. Der Cultus in seinem ungestörten, unveränderten Fortbestehen verbürgte ihm die Gegenständlich- keit seines Glaubens. So erhielt sich, in engbeschränkter
einheitlicher Persönlichkeit geschlossen, vor. Und wie er über die Götterzersplitterung der Localdienste hinwegsieht, so bindet er auch seine Götter nicht an einzelne Wohnplätze und Wir- kungsstätten in griechischen Landschaften: sie gehören dem einen Local nicht mehr an als dem anderen. Sie walten und wirken wohl auf der Erde, aber sie sind dennoch ortsfrei, sie wohnen und versammeln sich auf den Gipfeln des Olympos, des pieri- schen Götterberges, der aber schon dem Homer, von aller Orts- bestimmtheit frei, stark in’s rein Ideale zu verschwimmen be- ginnt. So ist das weite Meer der Wohnplatz des Poseidon, ein einzelner Ort fesselt ihn nicht; und auch die Herrscher im Reiche der Seelen, Aïdes und Persephoneia hausen, fern frei- lich vom Olymp, aber nicht hier oder dort unter der Ober- fläche des griechischen Landes, sondern in einem Ideallande auch sie, an keinen einzelnen Ort im Lande der Wirklichkeit gebunden. Wem sich so, bei dem grossen Werke der Ver- einfachung und Idealisirung des unbegrenzt Mannichfaltigen, aus all den ungezählten Einzelgestaltungen des Namens Zeus, welche die einzelnen Gemeinschaften griechischer Länder, eine jede nur in ihrem engbegrenzten Umkreis, verehrte, die Eine übermächtige Gestalt des Zeus, Vaters der Götter und Men- schen, erhoben hatte, dem konnte freilich ein Sonderzeus, der sich Zeus Trophonios nannte und in einer Höhle bei Lebadea sein unsterbliches Dasein verbrachte und nur dort seine Wir- kungen ausüben konnte, kaum noch vorstellbar sein.
Dem Anwohner der heiligen Stätte freilich liess sich der Glaube an das Dasein und die Anwesenheit des Gottes seiner Heimath nicht rauben. Mochte er im Uebrigen, und fremdem Localcultus gegenüber, noch so sehr nach homerischer Dar- stellung seine Gesammtvorstellung vom Götterwesen regeln: die Wirklichkeit und Heiligkeit seines, wenn auch der olympischen Götterfamilie des Epos völlig fremden Heimathgottes stand ihm unerschütterlich fest. Der Cultus in seinem ungestörten, unveränderten Fortbestehen verbürgte ihm die Gegenständlich- keit seines Glaubens. So erhielt sich, in engbeschränkter
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einheitlicher Persönlichkeit geschlossen, vor. Und wie er über
die Götterzersplitterung der Localdienste hinwegsieht, so bindet
er auch seine Götter nicht an einzelne Wohnplätze und Wir-
kungsstätten in griechischen Landschaften: sie gehören dem einen
Local nicht mehr an als dem anderen. Sie walten und wirken
wohl auf der Erde, aber sie sind dennoch ortsfrei, sie wohnen
und versammeln sich auf den Gipfeln des Olympos, des pieri-
schen Götterberges, der aber schon dem Homer, von aller Orts-
bestimmtheit frei, stark in’s rein Ideale zu verschwimmen be-
ginnt. So ist das weite Meer der Wohnplatz des Poseidon,
ein einzelner Ort fesselt ihn nicht; und auch die Herrscher im
Reiche der Seelen, Aïdes und Persephoneia hausen, fern frei-
lich vom Olymp, aber nicht hier oder dort unter der Ober-
fläche des griechischen Landes, sondern in einem Ideallande
auch sie, an keinen einzelnen Ort im Lande der Wirklichkeit
gebunden. Wem sich so, bei dem grossen Werke der Ver-
einfachung und Idealisirung des unbegrenzt Mannichfaltigen,
aus all den ungezählten Einzelgestaltungen des Namens Zeus,
welche die einzelnen Gemeinschaften griechischer Länder, eine
jede nur in ihrem engbegrenzten Umkreis, verehrte, die Eine
übermächtige Gestalt des Zeus, Vaters der Götter und Men-
schen, erhoben hatte, dem konnte freilich ein Sonderzeus, der
sich Zeus Trophonios nannte und in einer Höhle bei Lebadea
sein unsterbliches Dasein verbrachte und nur dort seine Wir-
kungen ausüben konnte, kaum noch vorstellbar sein.
Dem Anwohner der heiligen Stätte freilich liess sich der
Glaube an das Dasein und die Anwesenheit des Gottes seiner
Heimath nicht rauben. Mochte er im Uebrigen, und fremdem
Localcultus gegenüber, noch so sehr nach homerischer Dar-
stellung seine Gesammtvorstellung vom Götterwesen regeln: die
Wirklichkeit und Heiligkeit seines, wenn auch der olympischen
Götterfamilie des Epos völlig fremden Heimathgottes stand
ihm unerschütterlich fest. Der Cultus in seinem ungestörten,
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/134>, abgerufen am 24.11.2024.
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