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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Höhlengötter. Bergentrückung.

Die Geschichte der griechischen Cultur und Religion kennt
keinen Sprung, keinen Bruch in ihrem Fortgange. Weder hat
das Griechenthum jemals aus sich selbst eine Bewegung er-
regt, die es zu gewaltsamer Umkehr auf dem eingeschlagenen
Wege zwang, noch ist es zu irgend einer Zeit durch ein mit
Uebermacht hereinbrechendes Fremdes aus der natürlichen Bahn
seiner Entwicklung geworfen worden. Wohl hat dies gedanken-
reichste der Völker aus eigenem Sinn und Sinnen die wich-
tigsten der Gedanken hervorgebracht, von denen die Jahr-
hunderte zehren; sie haben der ganzen Menschheit vorgedacht;
die tiefsten und kühnsten, die frömmsten und die frechsten
Gedanken über Götter, Welt und Menschenwesen haben ihren
Ursprung in Griechenland. Aber in dieser überschwänglichen
Mannichfaltigkeit hielten die sich gegenseitig einschränkenden
oder aufhebenden Einzelerscheinungen einander im Gleich-
gewicht; die gewaltsamen Stösse und plötzlichen Umschwünge
im Culturleben gehen von den Völkern aus, die nur Einen
Gedanken festhalten und in der Beschränktheit des Fanatismus
alles Andere über den Haufen rennen.

Wohl stand das Griechenthum der Einwirkung fremder
Cultur und selbst Uncultur weit offen. Ununterbrochen drangen
namentlich von Osten her in sanfter Einströmung und Ueber-
strömung breite Wellen fremden Wesens über Griechenland;
an Einer Stelle wenigstens brach auch (in dem Aufregungs-
cult der thrakischen Dionysosdiener) in dunkler Vorzeit eine
heftige Springfluth durch alle Deiche. Viele fremde Elemente
mögen leicht wieder ausgeschieden worden sein aus griechischem
Wesen; manches gewann eine dauernde Stelle und tiefe Wir-

Höhlengötter. Bergentrückung.

Die Geschichte der griechischen Cultur und Religion kennt
keinen Sprung, keinen Bruch in ihrem Fortgange. Weder hat
das Griechenthum jemals aus sich selbst eine Bewegung er-
regt, die es zu gewaltsamer Umkehr auf dem eingeschlagenen
Wege zwang, noch ist es zu irgend einer Zeit durch ein mit
Uebermacht hereinbrechendes Fremdes aus der natürlichen Bahn
seiner Entwicklung geworfen worden. Wohl hat dies gedanken-
reichste der Völker aus eigenem Sinn und Sinnen die wich-
tigsten der Gedanken hervorgebracht, von denen die Jahr-
hunderte zehren; sie haben der ganzen Menschheit vorgedacht;
die tiefsten und kühnsten, die frömmsten und die frechsten
Gedanken über Götter, Welt und Menschenwesen haben ihren
Ursprung in Griechenland. Aber in dieser überschwänglichen
Mannichfaltigkeit hielten die sich gegenseitig einschränkenden
oder aufhebenden Einzelerscheinungen einander im Gleich-
gewicht; die gewaltsamen Stösse und plötzlichen Umschwünge
im Culturleben gehen von den Völkern aus, die nur Einen
Gedanken festhalten und in der Beschränktheit des Fanatismus
alles Andere über den Haufen rennen.

Wohl stand das Griechenthum der Einwirkung fremder
Cultur und selbst Uncultur weit offen. Ununterbrochen drangen
namentlich von Osten her in sanfter Einströmung und Ueber-
strömung breite Wellen fremden Wesens über Griechenland;
an Einer Stelle wenigstens brach auch (in dem Aufregungs-
cult der thrakischen Dionysosdiener) in dunkler Vorzeit eine
heftige Springfluth durch alle Deiche. Viele fremde Elemente
mögen leicht wieder ausgeschieden worden sein aus griechischem
Wesen; manches gewann eine dauernde Stelle und tiefe Wir-

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[[104]/0120] Höhlengötter. Bergentrückung. Die Geschichte der griechischen Cultur und Religion kennt keinen Sprung, keinen Bruch in ihrem Fortgange. Weder hat das Griechenthum jemals aus sich selbst eine Bewegung er- regt, die es zu gewaltsamer Umkehr auf dem eingeschlagenen Wege zwang, noch ist es zu irgend einer Zeit durch ein mit Uebermacht hereinbrechendes Fremdes aus der natürlichen Bahn seiner Entwicklung geworfen worden. Wohl hat dies gedanken- reichste der Völker aus eigenem Sinn und Sinnen die wich- tigsten der Gedanken hervorgebracht, von denen die Jahr- hunderte zehren; sie haben der ganzen Menschheit vorgedacht; die tiefsten und kühnsten, die frömmsten und die frechsten Gedanken über Götter, Welt und Menschenwesen haben ihren Ursprung in Griechenland. Aber in dieser überschwänglichen Mannichfaltigkeit hielten die sich gegenseitig einschränkenden oder aufhebenden Einzelerscheinungen einander im Gleich- gewicht; die gewaltsamen Stösse und plötzlichen Umschwünge im Culturleben gehen von den Völkern aus, die nur Einen Gedanken festhalten und in der Beschränktheit des Fanatismus alles Andere über den Haufen rennen. Wohl stand das Griechenthum der Einwirkung fremder Cultur und selbst Uncultur weit offen. Ununterbrochen drangen namentlich von Osten her in sanfter Einströmung und Ueber- strömung breite Wellen fremden Wesens über Griechenland; an Einer Stelle wenigstens brach auch (in dem Aufregungs- cult der thrakischen Dionysosdiener) in dunkler Vorzeit eine heftige Springfluth durch alle Deiche. Viele fremde Elemente mögen leicht wieder ausgeschieden worden sein aus griechischem Wesen; manches gewann eine dauernde Stelle und tiefe Wir-

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. [104]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/120>, abgerufen am 22.11.2024.