Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.bis in die zehnte Stunde; der Reichstag wurde, wie ein Zeit- 1) S. oben S. 22. 2) Der französische Gesandte Paulmy behauptete im October 1762
das letztere als feste Thatsache. Flassan V, 516. bis in die zehnte Stunde; der Reichstag wurde, wie ein Zeit- 1) S. oben S. 22. 2) Der franzöſiſche Geſandte Paulmy behauptete im October 1762
das letztere als feſte Thatſache. Flassan V, 516. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0091" n="77"/> bis in die zehnte Stunde; der Reichstag wurde, wie ein Zeit-<lb/> genoſſe ſich ausdrückt, „nicht zerriſſen, nicht beendet, er ver-<lb/> löſchte“. Eben ſo fruchtlos endete der folgende des Jahres<lb/> 1748, und vergebens erinnerte in der Sitzung des Senats der<lb/> greiſe Woiwode von Ploczk, Nicolaus Podoski im Hinblick auf<lb/> dieſen Gang der Dinge, an das alte claſſiſche Wort: <hi rendition="#aq">„Venit<lb/> summa dies et inevitabile fatum.“</hi> Heftiger aber noch ward<lb/> der Kampf der Partheien bei der jährlichen Erneuerung der<lb/> Tribunale. Der Sieg bei den Wahlen zu dieſen war für ſie<lb/> und alle ihre Anhänger weit wichtiger als ein Sieg bei den<lb/> Wahlen zum Reichstag <note place="foot" n="1)">S. oben S. 22.</note>, wofür ein Vorgang im Tribunal<lb/> von 1748 ein treffendes Beiſpiel iſt. Als ein Fremder durfte<lb/> Graf Brühl geſetzlich weder ein Amt noch ein Gut in der Re-<lb/> publik beſitzen, natürlich wünſchte er das Indigenat zu erhalten;<lb/> aber nur durch einen Beſchluß des Reichstags konnte daſſelbe<lb/> verliehen werden, und die Reichstage kamen zu keinen Be-<lb/> ſchlüſſen. Er ſuchte daher auf einem andern Wege zum Ziele<lb/> zu kommen, und die Czartoryski boten ihm, wie die Sage<lb/> geht, die Hand dazu <note place="foot" n="2)">Der franzöſiſche Geſandte Paulmy behauptete im October 1762<lb/> das letztere als feſte Thatſache. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Flassan</hi> V, 516.</hi></note>. In der Woiwodſchaft Poſen fand ſich<lb/> ein Dorf Brylewo, in deſſen Beſitz ein gewiſſer Granowski<lb/> war. Nun wurde ein Document fabricirt, aus welchem her-<lb/> vorging, daß vor 300 Jahren dies Dorf im Beſitz von Grafen<lb/> Ocieszyna Brylowie geweſen wäre. Hierauf ſtellten die ge-<lb/> riebenſten Advocaten des Tribunals eine Genealogie jener Bry-<lb/> lowie auf, welche die Abſtammung Brühls von ihnen erwies.<lb/> Auf dieſe beiden Documente geſtützt, klagte der Sohn des Mi-<lb/> niſters bei dem Tribunal auf Herausgabe des Dorfes durch<lb/> deſſen gegenwärtigen Beſitzer, und erreichte ein ihm günſtiges<lb/> Urtheil. Granowski, durch reiche Bezahlung gewonnen, be-<lb/> ruhigte ſich; Graf Brühl aber war durch den Spruch des Tri-<lb/> bunals als eingeborner polniſcher Edelmann mit allen Rechten<lb/> eines ſolchen anerkannt, kaufte Güter und erwarb für ſich und<lb/> ſeinen Sohn Staroſteien. Zwei Jahre darauf (1750) trat<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [77/0091]
bis in die zehnte Stunde; der Reichstag wurde, wie ein Zeit-
genoſſe ſich ausdrückt, „nicht zerriſſen, nicht beendet, er ver-
löſchte“. Eben ſo fruchtlos endete der folgende des Jahres
1748, und vergebens erinnerte in der Sitzung des Senats der
greiſe Woiwode von Ploczk, Nicolaus Podoski im Hinblick auf
dieſen Gang der Dinge, an das alte claſſiſche Wort: „Venit
summa dies et inevitabile fatum.“ Heftiger aber noch ward
der Kampf der Partheien bei der jährlichen Erneuerung der
Tribunale. Der Sieg bei den Wahlen zu dieſen war für ſie
und alle ihre Anhänger weit wichtiger als ein Sieg bei den
Wahlen zum Reichstag 1), wofür ein Vorgang im Tribunal
von 1748 ein treffendes Beiſpiel iſt. Als ein Fremder durfte
Graf Brühl geſetzlich weder ein Amt noch ein Gut in der Re-
publik beſitzen, natürlich wünſchte er das Indigenat zu erhalten;
aber nur durch einen Beſchluß des Reichstags konnte daſſelbe
verliehen werden, und die Reichstage kamen zu keinen Be-
ſchlüſſen. Er ſuchte daher auf einem andern Wege zum Ziele
zu kommen, und die Czartoryski boten ihm, wie die Sage
geht, die Hand dazu 2). In der Woiwodſchaft Poſen fand ſich
ein Dorf Brylewo, in deſſen Beſitz ein gewiſſer Granowski
war. Nun wurde ein Document fabricirt, aus welchem her-
vorging, daß vor 300 Jahren dies Dorf im Beſitz von Grafen
Ocieszyna Brylowie geweſen wäre. Hierauf ſtellten die ge-
riebenſten Advocaten des Tribunals eine Genealogie jener Bry-
lowie auf, welche die Abſtammung Brühls von ihnen erwies.
Auf dieſe beiden Documente geſtützt, klagte der Sohn des Mi-
niſters bei dem Tribunal auf Herausgabe des Dorfes durch
deſſen gegenwärtigen Beſitzer, und erreichte ein ihm günſtiges
Urtheil. Granowski, durch reiche Bezahlung gewonnen, be-
ruhigte ſich; Graf Brühl aber war durch den Spruch des Tri-
bunals als eingeborner polniſcher Edelmann mit allen Rechten
eines ſolchen anerkannt, kaufte Güter und erwarb für ſich und
ſeinen Sohn Staroſteien. Zwei Jahre darauf (1750) trat
1) S. oben S. 22.
2) Der franzöſiſche Geſandte Paulmy behauptete im October 1762
das letztere als feſte Thatſache. Flassan V, 516.
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