reichlichsten zu schmausen und zu saufen gab, die Dukaten nicht sparte, die kräftigsten, berühmtesten Raufbolde in seinem Solde hatte, seine Clienten in jedem Fall, mochten sie im Recht oder Unrecht sein, erfolgreich beschützte, für ihr Fortkommen sorgte und endlich auf den Landtagen am derbsten, rücksichtslosesten für "Freiheit und Glauben" zu sprechen und den Leiden- schaften der Masse zu schmeicheln verstand. "Wer war" -- ge- steht einer der unterrichtetsten polnischen Historiker und Poli- tiker der Gegenwart -- "das Ideal eines ,Herrn' in den Augen unsrer Schlachta des 18. Jahrhunderts? Etwa der große Kanzler Lithauens oder Andreas Zamoyski? Nein, sein Ideal, sein Abgott war jener Radzivil, ,Herrchen liebes' genannt, halb Thier, halb Mensch, in jeder Beziehung ein Dummkopf, der wahrhaftige Falstaff in unsrer nationalen Tragödie, der ,Weißhemd' ohne Geist, ohne Willen und ohne Grundsätze."1)
Auf diesen Landtagen, auf welchen die Abgeordneten zum Reichstage gewählt und deren sie bindende Instructionen be- schlossen wurden, auf welchen die Landboten nach ihrer Rückkehr vom Reichstage Bericht zu erstatten hatten, auf welchem end- lich der versammelte Adel -- auch der nichts Besitzende nahm dem Gesetz zuwider herkömmlich an ihnen Theil -- die Beisitzer der Landgerichte bis zu den höchsten Tribunalen hinauf wählte, und alle Landämter, so weit sie von seiner Wahl abhingen, besetzte, -- erschienen nun die "Herren" in der Regel mit einem zahlreichen bewaffneten Gefolge, welches in Verbindung mit den Hunderten, bisweilen Tausenden ihrer Clienten, die vorn- herein bereit waren zu stimmen und zu thun, wie und was der "Herr" wollte, dazu bestimmt war, nöthigenfalls auch mit offner Gewalt deren Candidaten, überhaupt deren Willen durch- zusetzen. War dies nicht zu erreichen, so führte man entweder Doppelwahlen herbei, oder ließ den Landtag sprengen, und verhinderte dadurch jeden Beschluß, zu dessen Gültigkeit auf den Land- wie auf den Reichstagen Einstimmigkeit erforderlich
1) "Weißhemden", albenczyki, nannte man die Raufbolde Radzivils. [Kladsko?] Roczniki polskie z lat 1857--61. Paryz 1863. I, p. 385.
reichlichſten zu ſchmauſen und zu ſaufen gab, die Dukaten nicht ſparte, die kräftigſten, berühmteſten Raufbolde in ſeinem Solde hatte, ſeine Clienten in jedem Fall, mochten ſie im Recht oder Unrecht ſein, erfolgreich beſchützte, für ihr Fortkommen ſorgte und endlich auf den Landtagen am derbſten, rückſichtsloſeſten für „Freiheit und Glauben“ zu ſprechen und den Leiden- ſchaften der Maſſe zu ſchmeicheln verſtand. „Wer war“ — ge- ſteht einer der unterrichtetſten polniſchen Hiſtoriker und Poli- tiker der Gegenwart — „das Ideal eines ‚Herrn‘ in den Augen unſrer Schlachta des 18. Jahrhunderts? Etwa der große Kanzler Lithauens oder Andreas Zamoyski? Nein, ſein Ideal, ſein Abgott war jener Radzivil, ‚Herrchen liebes‘ genannt, halb Thier, halb Menſch, in jeder Beziehung ein Dummkopf, der wahrhaftige Falſtaff in unſrer nationalen Tragödie, der ‚Weißhemd‘ ohne Geiſt, ohne Willen und ohne Grundſätze.“1)
Auf dieſen Landtagen, auf welchen die Abgeordneten zum Reichstage gewählt und deren ſie bindende Inſtructionen be- ſchloſſen wurden, auf welchen die Landboten nach ihrer Rückkehr vom Reichstage Bericht zu erſtatten hatten, auf welchem end- lich der verſammelte Adel — auch der nichts Beſitzende nahm dem Geſetz zuwider herkömmlich an ihnen Theil — die Beiſitzer der Landgerichte bis zu den höchſten Tribunalen hinauf wählte, und alle Landämter, ſo weit ſie von ſeiner Wahl abhingen, beſetzte, — erſchienen nun die „Herren“ in der Regel mit einem zahlreichen bewaffneten Gefolge, welches in Verbindung mit den Hunderten, bisweilen Tauſenden ihrer Clienten, die vorn- herein bereit waren zu ſtimmen und zu thun, wie und was der „Herr“ wollte, dazu beſtimmt war, nöthigenfalls auch mit offner Gewalt deren Candidaten, überhaupt deren Willen durch- zuſetzen. War dies nicht zu erreichen, ſo führte man entweder Doppelwahlen herbei, oder ließ den Landtag ſprengen, und verhinderte dadurch jeden Beſchluß, zu deſſen Gültigkeit auf den Land- wie auf den Reichstagen Einſtimmigkeit erforderlich
1) „Weißhemden“, albenczyki, nannte man die Raufbolde Radzivils. [Kladsko?] Roczniki polskie z lat 1857—61. Paryź 1863. I, p. 385.
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hatte, ſeine Clienten in jedem Fall, mochten ſie im Recht oder
Unrecht ſein, erfolgreich beſchützte, für ihr Fortkommen ſorgte
und endlich auf den Landtagen am derbſten, rückſichtsloſeſten
für „Freiheit und Glauben“ zu ſprechen und den Leiden-
ſchaften der Maſſe zu ſchmeicheln verſtand. „Wer war“ — ge-
ſteht einer der unterrichtetſten polniſchen Hiſtoriker und Poli-
tiker der Gegenwart — „das Ideal eines ‚Herrn‘ in den Augen
unſrer Schlachta des 18. Jahrhunderts? Etwa der große
Kanzler Lithauens oder Andreas Zamoyski? Nein, ſein Ideal,
ſein Abgott war jener Radzivil, ‚Herrchen liebes‘ genannt,
halb Thier, halb Menſch, in jeder Beziehung ein Dummkopf,
der wahrhaftige Falſtaff in unſrer nationalen Tragödie, der
‚Weißhemd‘ ohne Geiſt, ohne Willen und ohne Grundſätze.“ 1)
Auf dieſen Landtagen, auf welchen die Abgeordneten zum
Reichstage gewählt und deren ſie bindende Inſtructionen be-
ſchloſſen wurden, auf welchen die Landboten nach ihrer Rückkehr
vom Reichstage Bericht zu erſtatten hatten, auf welchem end-
lich der verſammelte Adel — auch der nichts Beſitzende nahm
dem Geſetz zuwider herkömmlich an ihnen Theil — die Beiſitzer der
Landgerichte bis zu den höchſten Tribunalen hinauf wählte,
und alle Landämter, ſo weit ſie von ſeiner Wahl abhingen,
beſetzte, — erſchienen nun die „Herren“ in der Regel mit einem
zahlreichen bewaffneten Gefolge, welches in Verbindung mit
den Hunderten, bisweilen Tauſenden ihrer Clienten, die vorn-
herein bereit waren zu ſtimmen und zu thun, wie und was
der „Herr“ wollte, dazu beſtimmt war, nöthigenfalls auch mit
offner Gewalt deren Candidaten, überhaupt deren Willen durch-
zuſetzen. War dies nicht zu erreichen, ſo führte man entweder
Doppelwahlen herbei, oder ließ den Landtag ſprengen, und
verhinderte dadurch jeden Beſchluß, zu deſſen Gültigkeit auf
den Land- wie auf den Reichstagen Einſtimmigkeit erforderlich
1) „Weißhemden“, albenczyki, nannte man die Raufbolde Radzivils.
[Kladsko?] Roczniki polskie z lat 1857—61. Paryź 1863. I, p. 385.
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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/34>, abgerufen am 16.07.2024.
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