Befehl zum Blutvergießen zu geben. Sie schrieen vielmehr, daß man die Säbel einstecke, und forderten kurz darauf meinen Bru- der zu einer Conferenz in der Sakristei auf. Das Ergebniß derselben war, daß aus Mangel einer hinreichenden Anzahl rechts- gültig gewählter Deputirten das Tribunal nicht eröffnet werden konnte. Mein Bruder sagte ihnen: ,Ihr werdet das zu verant- worten haben.' Es wurde ein Manifest beim Grod eingereicht, welches die Ursachen nachwies, woher das Tribunal nicht eröffnet worden sei. Wir gingen alle zur Kastellanin von Kaminiec, welche, für eine Frau sehr unpassend, die ganze Scene in der Kirche von der Tribüne der Orgel mit angesehen hatte, und jetzt mit einem halben Dutzend schöner Nichten und Dienerinnen beschäftigt war, den Partheigängern ihres Bruders die Humpen mit Ungarwein zu füllen. Sie nahm uns mit der größten Artig- keit auf, wiederholte aber nach links und nach rechts halblaut, es sei doch sehr schade, daß die Arbeit nicht zu Ende ge- bracht sei.
"Am folgenden Morgen verließen alle Petrikau in banger Er- wartung der Folgen, welche es nach sich ziehen würde, daß Polen zum erstenmal auf ein ganzes Jahr kein höchstes Tribunal hatte. Aber es ereignete sich nichts Ungewöhnliches; die öffentliche Ruhe ward nicht gestört, und man wartete, ohne irgend einen Schritt zu thun, bis zur Eröffnung des Tribunals im Mai 1750. (?) Dies beweist einerseits, wie gut diese Gesellschaft ist, und zum andern, daß, so lange ein Volk, wie die Engländer sagen, nicht reif für eine Revolution ist, diese auch trotz der wunderbarsten Ereignisse nicht möglich ist."
Befehl zum Blutvergießen zu geben. Sie ſchrieen vielmehr, daß man die Säbel einſtecke, und forderten kurz darauf meinen Bru- der zu einer Conferenz in der Sakriſtei auf. Das Ergebniß derſelben war, daß aus Mangel einer hinreichenden Anzahl rechts- gültig gewählter Deputirten das Tribunal nicht eröffnet werden konnte. Mein Bruder ſagte ihnen: ‚Ihr werdet das zu verant- worten haben.‘ Es wurde ein Manifeſt beim Grod eingereicht, welches die Urſachen nachwies, woher das Tribunal nicht eröffnet worden ſei. Wir gingen alle zur Kaſtellanin von Kaminiec, welche, für eine Frau ſehr unpaſſend, die ganze Scene in der Kirche von der Tribüne der Orgel mit angeſehen hatte, und jetzt mit einem halben Dutzend ſchöner Nichten und Dienerinnen beſchäftigt war, den Partheigängern ihres Bruders die Humpen mit Ungarwein zu füllen. Sie nahm uns mit der größten Artig- keit auf, wiederholte aber nach links und nach rechts halblaut, es ſei doch ſehr ſchade, daß die Arbeit nicht zu Ende ge- bracht ſei.
„Am folgenden Morgen verließen alle Petrikau in banger Er- wartung der Folgen, welche es nach ſich ziehen würde, daß Polen zum erſtenmal auf ein ganzes Jahr kein höchſtes Tribunal hatte. Aber es ereignete ſich nichts Ungewöhnliches; die öffentliche Ruhe ward nicht geſtört, und man wartete, ohne irgend einen Schritt zu thun, bis zur Eröffnung des Tribunals im Mai 1750. (?) Dies beweiſt einerſeits, wie gut dieſe Geſellſchaft iſt, und zum andern, daß, ſo lange ein Volk, wie die Engländer ſagen, nicht reif für eine Revolution iſt, dieſe auch trotz der wunderbarſten Ereigniſſe nicht möglich iſt.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0248"n="234"/>
Befehl zum Blutvergießen zu geben. Sie ſchrieen vielmehr, daß<lb/>
man die Säbel einſtecke, und forderten kurz darauf meinen Bru-<lb/>
der zu einer Conferenz in der Sakriſtei auf. Das Ergebniß<lb/>
derſelben war, daß aus Mangel einer hinreichenden Anzahl rechts-<lb/>
gültig gewählter Deputirten das Tribunal nicht eröffnet werden<lb/>
konnte. Mein Bruder ſagte ihnen: ‚Ihr werdet das zu verant-<lb/>
worten haben.‘ Es wurde ein Manifeſt beim Grod eingereicht,<lb/>
welches die Urſachen nachwies, woher das Tribunal nicht eröffnet<lb/>
worden ſei. Wir gingen alle zur Kaſtellanin von Kaminiec,<lb/>
welche, für eine Frau ſehr unpaſſend, die ganze Scene in der<lb/>
Kirche von der Tribüne der Orgel mit angeſehen hatte, und<lb/>
jetzt mit einem halben Dutzend ſchöner Nichten und Dienerinnen<lb/>
beſchäftigt war, den Partheigängern ihres Bruders die Humpen<lb/>
mit Ungarwein zu füllen. Sie nahm uns mit der größten Artig-<lb/>
keit auf, wiederholte aber nach links und nach rechts halblaut,<lb/>
es ſei doch ſehr ſchade, daß die Arbeit nicht zu Ende ge-<lb/>
bracht ſei.</p><lb/><p>„Am folgenden Morgen verließen alle Petrikau in banger Er-<lb/>
wartung der Folgen, welche es nach ſich ziehen würde, daß Polen<lb/>
zum erſtenmal auf ein ganzes Jahr kein höchſtes Tribunal hatte.<lb/>
Aber es ereignete ſich nichts Ungewöhnliches; die öffentliche Ruhe<lb/>
ward nicht geſtört, und man wartete, ohne irgend einen Schritt<lb/>
zu thun, bis zur Eröffnung des Tribunals im Mai 1750. (?)<lb/>
Dies beweiſt einerſeits, wie gut dieſe Geſellſchaft iſt, und zum<lb/>
andern, daß, ſo lange ein Volk, wie die Engländer ſagen, nicht<lb/>
reif für eine Revolution iſt, dieſe auch trotz der wunderbarſten<lb/>
Ereigniſſe nicht möglich iſt.“</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[234/0248]
Befehl zum Blutvergießen zu geben. Sie ſchrieen vielmehr, daß
man die Säbel einſtecke, und forderten kurz darauf meinen Bru-
der zu einer Conferenz in der Sakriſtei auf. Das Ergebniß
derſelben war, daß aus Mangel einer hinreichenden Anzahl rechts-
gültig gewählter Deputirten das Tribunal nicht eröffnet werden
konnte. Mein Bruder ſagte ihnen: ‚Ihr werdet das zu verant-
worten haben.‘ Es wurde ein Manifeſt beim Grod eingereicht,
welches die Urſachen nachwies, woher das Tribunal nicht eröffnet
worden ſei. Wir gingen alle zur Kaſtellanin von Kaminiec,
welche, für eine Frau ſehr unpaſſend, die ganze Scene in der
Kirche von der Tribüne der Orgel mit angeſehen hatte, und
jetzt mit einem halben Dutzend ſchöner Nichten und Dienerinnen
beſchäftigt war, den Partheigängern ihres Bruders die Humpen
mit Ungarwein zu füllen. Sie nahm uns mit der größten Artig-
keit auf, wiederholte aber nach links und nach rechts halblaut,
es ſei doch ſehr ſchade, daß die Arbeit nicht zu Ende ge-
bracht ſei.
„Am folgenden Morgen verließen alle Petrikau in banger Er-
wartung der Folgen, welche es nach ſich ziehen würde, daß Polen
zum erſtenmal auf ein ganzes Jahr kein höchſtes Tribunal hatte.
Aber es ereignete ſich nichts Ungewöhnliches; die öffentliche Ruhe
ward nicht geſtört, und man wartete, ohne irgend einen Schritt
zu thun, bis zur Eröffnung des Tribunals im Mai 1750. (?)
Dies beweiſt einerſeits, wie gut dieſe Geſellſchaft iſt, und zum
andern, daß, ſo lange ein Volk, wie die Engländer ſagen, nicht
reif für eine Revolution iſt, dieſe auch trotz der wunderbarſten
Ereigniſſe nicht möglich iſt.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/248>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.