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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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am 20. Juli: "Die Familie und besonders der Stolnik Ponia-
towski ist gegenwärtig von so großem patriotischen Eifer beseelt,
daß sie nichts andres im Kopfe haben, als die Reform ihrer
Verfassung, zu der die Conföderation die Gelegenheit geben soll."

Wie wenig tief begründet dieser Eifer bei der Masse war,
hat sich später erwiesen: in diesem Augenblick aber war er
wirklich vorhanden, und die "Familie" plante in der That
seit dem letzten Reichstage nichts anderes als die Reform ver-
mittelst einer Conföderation in Angriff zu nehmen. Die Nieder-
lagen, welche sie damals bei der Vertheilung der hohen Ämter
erfahren hatte und seitdem in Bezug auf die geringern noch
alle Tage erlitt, waren für sie um so empfindlicher, je näher
nach allgemeiner Überzeugung der Tod des Königs zu er-
warten war. In wessen Händen sich während eines Inter-
regnums die Ämter befanden, war stets in Polen für alle
Partheien von sehr entscheidender Bedeutung gewesen, und
konnte es jetzt für die Czartoryski um so mehr werden, als
sie für den Fall der Thronerledigung auf die Unterstützung
Rußlands zur Erhebung eines Königs rechnen durften, der
nicht nur ihre Reformideen theilte, sondern sogar zu ihrer
Familie gehörte. Denn Katharina hatte vom ersten Moment
ihrer Thronbesteigung an, nicht nur in ihrem vertrauten Brief-
wechsel mit Poniatowski, diesem hiefür die besten Versiche-
rungen gegeben, sondern auch officiell durch ihren Gesandten
in Warschau wiederholt erklären lassen, daß sie die Czartoryski
in ihren Schutz nehme und von dem dortigen Hofe ihre Be-
rücksichtigung verlange 1). Es war mithin für sie von der
größten Wichtigkeit, daß im Moment des Todes des Königs
ihre eigne Stellung in Polen fest begründet sei, und indem
sie dies Ziel nach allem, was auf dem letzten Reichstage vor-
gefallen, nicht mehr durch den Hof zu erreichen hoffen durften,

1) Gleich nach dem Reichstage schrieb Benoit am 20. October 1762:
Der russische Geschäftsträger habe auf Weisung seines Hofes Brühl er-
klärt, daß seine Souverainin die Familie "Czartoryski pretendoit soutenir,
parceque leurs sentiments pour leur patrie etoient ceux de veritables
citoyens"
.
12*

am 20. Juli: „Die Familie und beſonders der Stolnik Ponia-
towski iſt gegenwärtig von ſo großem patriotiſchen Eifer beſeelt,
daß ſie nichts andres im Kopfe haben, als die Reform ihrer
Verfaſſung, zu der die Conföderation die Gelegenheit geben ſoll.“

Wie wenig tief begründet dieſer Eifer bei der Maſſe war,
hat ſich ſpäter erwieſen: in dieſem Augenblick aber war er
wirklich vorhanden, und die „Familie“ plante in der That
ſeit dem letzten Reichstage nichts anderes als die Reform ver-
mittelſt einer Conföderation in Angriff zu nehmen. Die Nieder-
lagen, welche ſie damals bei der Vertheilung der hohen Ämter
erfahren hatte und ſeitdem in Bezug auf die geringern noch
alle Tage erlitt, waren für ſie um ſo empfindlicher, je näher
nach allgemeiner Überzeugung der Tod des Königs zu er-
warten war. In weſſen Händen ſich während eines Inter-
regnums die Ämter befanden, war ſtets in Polen für alle
Partheien von ſehr entſcheidender Bedeutung geweſen, und
konnte es jetzt für die Czartoryski um ſo mehr werden, als
ſie für den Fall der Thronerledigung auf die Unterſtützung
Rußlands zur Erhebung eines Königs rechnen durften, der
nicht nur ihre Reformideen theilte, ſondern ſogar zu ihrer
Familie gehörte. Denn Katharina hatte vom erſten Moment
ihrer Thronbeſteigung an, nicht nur in ihrem vertrauten Brief-
wechſel mit Poniatowski, dieſem hiefür die beſten Verſiche-
rungen gegeben, ſondern auch officiell durch ihren Geſandten
in Warſchau wiederholt erklären laſſen, daß ſie die Czartoryski
in ihren Schutz nehme und von dem dortigen Hofe ihre Be-
rückſichtigung verlange 1). Es war mithin für ſie von der
größten Wichtigkeit, daß im Moment des Todes des Königs
ihre eigne Stellung in Polen feſt begründet ſei, und indem
ſie dies Ziel nach allem, was auf dem letzten Reichstage vor-
gefallen, nicht mehr durch den Hof zu erreichen hoffen durften,

1) Gleich nach dem Reichstage ſchrieb Benoit am 20. October 1762:
Der ruſſiſche Geſchäftsträger habe auf Weiſung ſeines Hofes Brühl er-
klärt, daß ſeine Souverainin die Familie „Czartoryski pretendoit soutenir,
parceque leurs sentiments pour leur patrie etoient ceux de veritables
citoyens“
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[179/0193] am 20. Juli: „Die Familie und beſonders der Stolnik Ponia- towski iſt gegenwärtig von ſo großem patriotiſchen Eifer beſeelt, daß ſie nichts andres im Kopfe haben, als die Reform ihrer Verfaſſung, zu der die Conföderation die Gelegenheit geben ſoll.“ Wie wenig tief begründet dieſer Eifer bei der Maſſe war, hat ſich ſpäter erwieſen: in dieſem Augenblick aber war er wirklich vorhanden, und die „Familie“ plante in der That ſeit dem letzten Reichstage nichts anderes als die Reform ver- mittelſt einer Conföderation in Angriff zu nehmen. Die Nieder- lagen, welche ſie damals bei der Vertheilung der hohen Ämter erfahren hatte und ſeitdem in Bezug auf die geringern noch alle Tage erlitt, waren für ſie um ſo empfindlicher, je näher nach allgemeiner Überzeugung der Tod des Königs zu er- warten war. In weſſen Händen ſich während eines Inter- regnums die Ämter befanden, war ſtets in Polen für alle Partheien von ſehr entſcheidender Bedeutung geweſen, und konnte es jetzt für die Czartoryski um ſo mehr werden, als ſie für den Fall der Thronerledigung auf die Unterſtützung Rußlands zur Erhebung eines Königs rechnen durften, der nicht nur ihre Reformideen theilte, ſondern ſogar zu ihrer Familie gehörte. Denn Katharina hatte vom erſten Moment ihrer Thronbeſteigung an, nicht nur in ihrem vertrauten Brief- wechſel mit Poniatowski, dieſem hiefür die beſten Verſiche- rungen gegeben, ſondern auch officiell durch ihren Geſandten in Warſchau wiederholt erklären laſſen, daß ſie die Czartoryski in ihren Schutz nehme und von dem dortigen Hofe ihre Be- rückſichtigung verlange 1). Es war mithin für ſie von der größten Wichtigkeit, daß im Moment des Todes des Königs ihre eigne Stellung in Polen feſt begründet ſei, und indem ſie dies Ziel nach allem, was auf dem letzten Reichstage vor- gefallen, nicht mehr durch den Hof zu erreichen hoffen durften, 1) Gleich nach dem Reichstage ſchrieb Benoit am 20. October 1762: Der ruſſiſche Geſchäftsträger habe auf Weiſung ſeines Hofes Brühl er- klärt, daß ſeine Souverainin die Familie „Czartoryski pretendoit soutenir, parceque leurs sentiments pour leur patrie etoient ceux de veritables citoyens“. 12*

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/193>, abgerufen am 24.11.2024.