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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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Ganz Warschau war in der höchsten Aufregung. Mokranowski
und mehrere andre hatten noch in der Sitzung am 5ten vor-
geschlagen, den Reichstag zu Pferde abzuhalten, um durch dieses
Mittel die Unruhstifter zu bändigen. Am folgenden Tage sprengten
die Landboten, von zahlreichem Gefolge begleitet, mit geladnen
Pistolen durch die Straßen der Stadt; einige der "Herren"
hatten 3- bis 400 Bewaffnete um sich und man sprach von nichts
anderm als von einer Conföderation. Der Primas Lubienski
begab sich zum Könige, um ihm die Gefahr vorzustellen, in
der man schwebe; die Unzufriedenheit und die Aufregung der
Nation hätten einen so hohen Grad erreicht, daß, wenn es
auch jetzt gelänge, die Gemüther zu beruhigen, die Ruhe nicht
lange vorhalten würde. Von allen Seiten bemühte man sich,
es nicht zum Äußersten kommen zu lassen. Auch Benoit stellte
seinen Freunden aufs nachdrücklichste vor, wie gefährlich eine
Conföderation und ein durch sie herbeigeführter Bürgerkrieg in
diesem Moment sein würde, in welchem noch fremde Truppen
im Lande ständen. Im ersten Augenblik machte er auch hiemit
keinen Eindruck. "Es scheint", schrieb er am 6. October,
"daß der Haß gegen Graf Brühl und alles, was Sachse heißt,
auf den höchsten Grad gestiegen ist; alle Welt ist in einer
staunenswürdigen Aufregung. Ich hoffe, daß man noch einmal
den Sturm beschwören wird, aber ich kann für nichts stehen;
sollte etwas Außerordentliches sich ereignen, werde ich eine
Stafette senden." Der Hof beschäftigte sich bereits mit dem
Gedanken, sächsische Truppen kommen zu lassen 1). So weit
kam es indeß nicht.

6. October. Über die Scene bei Branicki schreibt er: "Une scene presqu'
aussi bruijante se passa en meme tems chez le grand general de la
couronne, ou le prince Czartoryski, grand chancelier de Lithuanie et
le premier ministre Comte Brühl se trouvoient justement a diner. Ils
s'y sont dit tout ce que la haine et l'animosite peuvent inspirer.
Ce dernier y a ete menace par le dit prince et par d'autres, que
comme il n'etoit pas gentilhomme polonois, on sauroit a l'avenir
l'empecher de se meler des affaires du gouvernement du royaume."
1) Benoit, Bericht vom 30. October.

Ganz Warſchau war in der höchſten Aufregung. Mokranowski
und mehrere andre hatten noch in der Sitzung am 5ten vor-
geſchlagen, den Reichstag zu Pferde abzuhalten, um durch dieſes
Mittel die Unruhſtifter zu bändigen. Am folgenden Tage ſprengten
die Landboten, von zahlreichem Gefolge begleitet, mit geladnen
Piſtolen durch die Straßen der Stadt; einige der „Herren“
hatten 3- bis 400 Bewaffnete um ſich und man ſprach von nichts
anderm als von einer Conföderation. Der Primas Lubienski
begab ſich zum Könige, um ihm die Gefahr vorzuſtellen, in
der man ſchwebe; die Unzufriedenheit und die Aufregung der
Nation hätten einen ſo hohen Grad erreicht, daß, wenn es
auch jetzt gelänge, die Gemüther zu beruhigen, die Ruhe nicht
lange vorhalten würde. Von allen Seiten bemühte man ſich,
es nicht zum Äußerſten kommen zu laſſen. Auch Benoit ſtellte
ſeinen Freunden aufs nachdrücklichſte vor, wie gefährlich eine
Conföderation und ein durch ſie herbeigeführter Bürgerkrieg in
dieſem Moment ſein würde, in welchem noch fremde Truppen
im Lande ſtänden. Im erſten Augenblik machte er auch hiemit
keinen Eindruck. „Es ſcheint“, ſchrieb er am 6. October,
„daß der Haß gegen Graf Brühl und alles, was Sachſe heißt,
auf den höchſten Grad geſtiegen iſt; alle Welt iſt in einer
ſtaunenswürdigen Aufregung. Ich hoffe, daß man noch einmal
den Sturm beſchwören wird, aber ich kann für nichts ſtehen;
ſollte etwas Außerordentliches ſich ereignen, werde ich eine
Stafette ſenden.“ Der Hof beſchäftigte ſich bereits mit dem
Gedanken, ſächſiſche Truppen kommen zu laſſen 1). So weit
kam es indeß nicht.

6. October. Über die Scene bei Branicki ſchreibt er: „Une scene presqu’
aussi bruijante se passa en meme tems chez le grand general de la
couronne, ou le prince Czartoryski, grand chancelier de Lithuanie et
le premier ministre Comte Brühl se trouvoient justement à diner. Ils
s’y sont dit tout ce que la haine et l’animosité peuvent inspirer.
Ce dernier y a été menacé par le dit prince et par d’autres, que
comme il n’étoit pas gentilhomme polonois, on sauroit a l’avenir
l’empecher de se meler des affaires du gouvernement du royaume.“
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[164/0178] Ganz Warſchau war in der höchſten Aufregung. Mokranowski und mehrere andre hatten noch in der Sitzung am 5ten vor- geſchlagen, den Reichstag zu Pferde abzuhalten, um durch dieſes Mittel die Unruhſtifter zu bändigen. Am folgenden Tage ſprengten die Landboten, von zahlreichem Gefolge begleitet, mit geladnen Piſtolen durch die Straßen der Stadt; einige der „Herren“ hatten 3- bis 400 Bewaffnete um ſich und man ſprach von nichts anderm als von einer Conföderation. Der Primas Lubienski begab ſich zum Könige, um ihm die Gefahr vorzuſtellen, in der man ſchwebe; die Unzufriedenheit und die Aufregung der Nation hätten einen ſo hohen Grad erreicht, daß, wenn es auch jetzt gelänge, die Gemüther zu beruhigen, die Ruhe nicht lange vorhalten würde. Von allen Seiten bemühte man ſich, es nicht zum Äußerſten kommen zu laſſen. Auch Benoit ſtellte ſeinen Freunden aufs nachdrücklichſte vor, wie gefährlich eine Conföderation und ein durch ſie herbeigeführter Bürgerkrieg in dieſem Moment ſein würde, in welchem noch fremde Truppen im Lande ſtänden. Im erſten Augenblik machte er auch hiemit keinen Eindruck. „Es ſcheint“, ſchrieb er am 6. October, „daß der Haß gegen Graf Brühl und alles, was Sachſe heißt, auf den höchſten Grad geſtiegen iſt; alle Welt iſt in einer ſtaunenswürdigen Aufregung. Ich hoffe, daß man noch einmal den Sturm beſchwören wird, aber ich kann für nichts ſtehen; ſollte etwas Außerordentliches ſich ereignen, werde ich eine Stafette ſenden.“ Der Hof beſchäftigte ſich bereits mit dem Gedanken, ſächſiſche Truppen kommen zu laſſen 1). So weit kam es indeß nicht. 1) 1) Benoit, Bericht vom 30. October. 1) 6. October. Über die Scene bei Branicki ſchreibt er: „Une scene presqu’ aussi bruijante se passa en meme tems chez le grand general de la couronne, ou le prince Czartoryski, grand chancelier de Lithuanie et le premier ministre Comte Brühl se trouvoient justement à diner. Ils s’y sont dit tout ce que la haine et l’animosité peuvent inspirer. Ce dernier y a été menacé par le dit prince et par d’autres, que comme il n’étoit pas gentilhomme polonois, on sauroit a l’avenir l’empecher de se meler des affaires du gouvernement du royaume.“

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/178>, abgerufen am 21.11.2024.