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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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es so ausgedehnt, so fruchtbar und so reich an Menschen ist,
dennoch niemals seine Nachbarn bedroht hat, und dem auch
jetzt die eigne Kraft zur Vertheidigung nicht fehlen würde, wenn
nicht diejenigen, welche an seiner Kräftigung am eifrigsten ar-
beiten sollten, und selbst seine Freunde es dem sichern Unter-
gang anheimfallen ließen. -- Die Zukunft wird zeigen, was
daraus folgen wird; je mehr wir Zeit verlieren, um so schwie-
riger wird die Heilung unsrer Leiden sein. Denn, wenn wir
auch so glücklich sein sollten, bei dem allgemeinen Frieden ohne
Schädigung davon zu kommen, wer sichert uns davor, daß
unsre gierigen Nachbarn, sobald nur der Friede geschlossen sein
wird, nicht aus unsrer Schwäche und Anarchie für sich Vor-
theil ziehen wollen. Unsre beste Hoffnung beruht auf der Re-
gierung und der Hilfe Frankreichs: ich weiß, daß wir an keiner
andern Macht eine so zuverläßige und so uninteressirte Stütze
haben." Paulmy sandte eine Abschrift dieses Briefes nach
Frankreich (3. Februar), aber Choiseul antwortete: "Nichts
Wahreres als die Bemerkungen des Krongroßfeldherrn; aber
es giebt für jetzt keine Arznei für diese Übel. Es ist besser,
daß Polen in seiner gegenwärtigen Lage verbleibt, als das-
selbe zu einer Thatkraft anzufeuern, welche nicht zu unserm
Vortheil
gereichen dürfte. Es ist daher nothwendig, die
Polen zu beruhigen und sie davon zurückzuhalten, irgend etwas
in diesen kritischen Momenten zu beginnen 1). Nach dieser
Antwort war es natürlich, daß Branicki den etwas spätern
Vorschlag Paulmy's, er solle in Konstantinopel energische Vor-
stellungen über den Aufenthalt der Russen in Polen erheben,
und Türken und Tartaren zu einem Einfall nach Rußland an-
stacheln, zurückwies 2). Selbst die Czartoryski, welchen Brühl
Regimenter, Starosteien und andre "Gnaden" bot, um sie
zum Hofe hinüberzuziehen, nahmen anfangs die Miene an, als
ob auch sie an jene Gefahren glaubten, so daß Benoit es sich

1) Nabielak in der Biblioteka Ossolinskich, p. 16--21.
2) Benoit, Depesche vom 8. Mai: "L'ami Mokranowski m'a dit
sous le sceau du secret etc."
Mokranowski scheint überhaupt nicht selten
eine Doppelrolle gespielt zu haben.

es ſo ausgedehnt, ſo fruchtbar und ſo reich an Menſchen iſt,
dennoch niemals ſeine Nachbarn bedroht hat, und dem auch
jetzt die eigne Kraft zur Vertheidigung nicht fehlen würde, wenn
nicht diejenigen, welche an ſeiner Kräftigung am eifrigſten ar-
beiten ſollten, und ſelbſt ſeine Freunde es dem ſichern Unter-
gang anheimfallen ließen. — Die Zukunft wird zeigen, was
daraus folgen wird; je mehr wir Zeit verlieren, um ſo ſchwie-
riger wird die Heilung unſrer Leiden ſein. Denn, wenn wir
auch ſo glücklich ſein ſollten, bei dem allgemeinen Frieden ohne
Schädigung davon zu kommen, wer ſichert uns davor, daß
unſre gierigen Nachbarn, ſobald nur der Friede geſchloſſen ſein
wird, nicht aus unſrer Schwäche und Anarchie für ſich Vor-
theil ziehen wollen. Unſre beſte Hoffnung beruht auf der Re-
gierung und der Hilfe Frankreichs: ich weiß, daß wir an keiner
andern Macht eine ſo zuverläßige und ſo unintereſſirte Stütze
haben.“ Paulmy ſandte eine Abſchrift dieſes Briefes nach
Frankreich (3. Februar), aber Choiſeul antwortete: „Nichts
Wahreres als die Bemerkungen des Krongroßfeldherrn; aber
es giebt für jetzt keine Arznei für dieſe Übel. Es iſt beſſer,
daß Polen in ſeiner gegenwärtigen Lage verbleibt, als das-
ſelbe zu einer Thatkraft anzufeuern, welche nicht zu unſerm
Vortheil
gereichen dürfte. Es iſt daher nothwendig, die
Polen zu beruhigen und ſie davon zurückzuhalten, irgend etwas
in dieſen kritiſchen Momenten zu beginnen 1). Nach dieſer
Antwort war es natürlich, daß Branicki den etwas ſpätern
Vorſchlag Paulmy’s, er ſolle in Konſtantinopel energiſche Vor-
ſtellungen über den Aufenthalt der Ruſſen in Polen erheben,
und Türken und Tartaren zu einem Einfall nach Rußland an-
ſtacheln, zurückwies 2). Selbſt die Czartoryski, welchen Brühl
Regimenter, Staroſteien und andre „Gnaden“ bot, um ſie
zum Hofe hinüberzuziehen, nahmen anfangs die Miene an, als
ob auch ſie an jene Gefahren glaubten, ſo daß Benoit es ſich

1) Nabielak in der Biblioteka Ossolinskich, p. 16—21.
2) Benoit, Depeſche vom 8. Mai: „L’ami Mokranowski m’a dit
sous le sceau du secrét etc.“
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[148/0162] es ſo ausgedehnt, ſo fruchtbar und ſo reich an Menſchen iſt, dennoch niemals ſeine Nachbarn bedroht hat, und dem auch jetzt die eigne Kraft zur Vertheidigung nicht fehlen würde, wenn nicht diejenigen, welche an ſeiner Kräftigung am eifrigſten ar- beiten ſollten, und ſelbſt ſeine Freunde es dem ſichern Unter- gang anheimfallen ließen. — Die Zukunft wird zeigen, was daraus folgen wird; je mehr wir Zeit verlieren, um ſo ſchwie- riger wird die Heilung unſrer Leiden ſein. Denn, wenn wir auch ſo glücklich ſein ſollten, bei dem allgemeinen Frieden ohne Schädigung davon zu kommen, wer ſichert uns davor, daß unſre gierigen Nachbarn, ſobald nur der Friede geſchloſſen ſein wird, nicht aus unſrer Schwäche und Anarchie für ſich Vor- theil ziehen wollen. Unſre beſte Hoffnung beruht auf der Re- gierung und der Hilfe Frankreichs: ich weiß, daß wir an keiner andern Macht eine ſo zuverläßige und ſo unintereſſirte Stütze haben.“ Paulmy ſandte eine Abſchrift dieſes Briefes nach Frankreich (3. Februar), aber Choiſeul antwortete: „Nichts Wahreres als die Bemerkungen des Krongroßfeldherrn; aber es giebt für jetzt keine Arznei für dieſe Übel. Es iſt beſſer, daß Polen in ſeiner gegenwärtigen Lage verbleibt, als das- ſelbe zu einer Thatkraft anzufeuern, welche nicht zu unſerm Vortheil gereichen dürfte. Es iſt daher nothwendig, die Polen zu beruhigen und ſie davon zurückzuhalten, irgend etwas in dieſen kritiſchen Momenten zu beginnen 1). Nach dieſer Antwort war es natürlich, daß Branicki den etwas ſpätern Vorſchlag Paulmy’s, er ſolle in Konſtantinopel energiſche Vor- ſtellungen über den Aufenthalt der Ruſſen in Polen erheben, und Türken und Tartaren zu einem Einfall nach Rußland an- ſtacheln, zurückwies 2). Selbſt die Czartoryski, welchen Brühl Regimenter, Staroſteien und andre „Gnaden“ bot, um ſie zum Hofe hinüberzuziehen, nahmen anfangs die Miene an, als ob auch ſie an jene Gefahren glaubten, ſo daß Benoit es ſich 1) Nabielak in der Biblioteka Ossolinskich, p. 16—21. 2) Benoit, Depeſche vom 8. Mai: „L’ami Mokranowski m’a dit sous le sceau du secrét etc.“ Mokranowski ſcheint überhaupt nicht ſelten eine Doppelrolle geſpielt zu haben.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/162>, abgerufen am 24.11.2024.