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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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verlangten sie selbst dringend von dem Residenten, daß er den-
selben zerreißen lasse, weil der Hof die Absicht, die Republik
zu einer Kriegserklärung gegen Friedrich zu bringen, sicher mit
Hilfe Rußlands durchsetzen werde 1). Unter diesen Umständen
waren natürlich die Wahlen so stürmisch wie nur immer. Von
beiden Seiten zerriß man die Landtage; der von Warschau
dauerte nicht über eine Viertelstunde 2). Branicki und die Pa-
trioten gingen mit der "Familie" Hand in Hand und be-
stimmten Mokranowski zum Marschall des Reichstags. Gegen
diesen erklärte sich aber der Hof auf das Entschiedenste. Mniszek
und Soltyk sagten ihm ins Gesicht, daß sie als die ersten sich
seiner Wahl widersetzen würden, und als es schien, daß diese
dennoch nicht verhindert werden könne, ließ der Hof durch einen
Landboten aus Podolien, Lezenski, den Reichstag noch vor der
Wahl des Marschalls zerreißen. Der Palatin von Kiew, der
Schwiegervater von Brühls ältestem Sohn, hatte dazu 20,000
Timpfe gegeben 3).

Und eben so wenig wie dieser kam der außerordentliche
Reichstag, welchen der Hof im Frühjahr 1761 berief, zu einem
gedeihlichen Schluß. Die Hofparthei trug sich mit dem Plan,
ihn in eine Conföderation zu verwandeln, weil sie hoffte unter
dem Schutz und Druck der russischen Truppen im Lande eine
Mehrheit von Stimmen zu gewinnen. Und in der That er-
reichte sie dies Ziel zum Theil auch dadurch, daß sie eine An-
zahl von Landtagen, die schon einmal zerrissen waren, von
neuem wählen ließ. Man sprach davon, daß der Hof in Über-

l'etat delabre dans lequel etoit la republique la rendu beaucoup trop
faible pour pouvoir le moins du monde s'opposer aux Russes."
Be-
richt vom 18. Juni 1760.
1) Benoit, Bericht vom 11. Juni 1760.
2) Desgl. vom 13. u. 27. August 1760.
3) Desgl. vom 8. u. 10. October 1760. Brühl schrieb am 11. Oc-
tober an Riedesel: "Wir halten dafür, daß man bei dem russischen Hofe
sowohl, als von Seiten der Generalität mit solchem Ausschlage nicht übel
zufrieden sein dürfte, indem wenigstens vielem Geschrei und Vorwürfen
wegen des Verbleibens und der angeblichen Bedrückungen der Russen in
diesem Königreich vorgekommen ist." S. v. Eelking, Corresp., S. 118.

verlangten ſie ſelbſt dringend von dem Reſidenten, daß er den-
ſelben zerreißen laſſe, weil der Hof die Abſicht, die Republik
zu einer Kriegserklärung gegen Friedrich zu bringen, ſicher mit
Hilfe Rußlands durchſetzen werde 1). Unter dieſen Umſtänden
waren natürlich die Wahlen ſo ſtürmiſch wie nur immer. Von
beiden Seiten zerriß man die Landtage; der von Warſchau
dauerte nicht über eine Viertelſtunde 2). Branicki und die Pa-
trioten gingen mit der „Familie“ Hand in Hand und be-
ſtimmten Mokranowski zum Marſchall des Reichstags. Gegen
dieſen erklärte ſich aber der Hof auf das Entſchiedenſte. Mniszek
und Soltyk ſagten ihm ins Geſicht, daß ſie als die erſten ſich
ſeiner Wahl widerſetzen würden, und als es ſchien, daß dieſe
dennoch nicht verhindert werden könne, ließ der Hof durch einen
Landboten aus Podolien, Lezenski, den Reichstag noch vor der
Wahl des Marſchalls zerreißen. Der Palatin von Kiew, der
Schwiegervater von Brühls älteſtem Sohn, hatte dazu 20,000
Timpfe gegeben 3).

Und eben ſo wenig wie dieſer kam der außerordentliche
Reichstag, welchen der Hof im Frühjahr 1761 berief, zu einem
gedeihlichen Schluß. Die Hofparthei trug ſich mit dem Plan,
ihn in eine Conföderation zu verwandeln, weil ſie hoffte unter
dem Schutz und Druck der ruſſiſchen Truppen im Lande eine
Mehrheit von Stimmen zu gewinnen. Und in der That er-
reichte ſie dies Ziel zum Theil auch dadurch, daß ſie eine An-
zahl von Landtagen, die ſchon einmal zerriſſen waren, von
neuem wählen ließ. Man ſprach davon, daß der Hof in Über-

l’etat delabré dans lequel etoit la république la rendu beaucoup trop
faible pour pouvoir le moins du monde s’opposer aux Russes.“
Be-
richt vom 18. Juni 1760.
1) Benoit, Bericht vom 11. Juni 1760.
2) Desgl. vom 13. u. 27. Auguſt 1760.
3) Desgl. vom 8. u. 10. October 1760. Brühl ſchrieb am 11. Oc-
tober an Riedeſel: „Wir halten dafür, daß man bei dem ruſſiſchen Hofe
ſowohl, als von Seiten der Generalität mit ſolchem Ausſchlage nicht übel
zufrieden ſein dürfte, indem wenigſtens vielem Geſchrei und Vorwürfen
wegen des Verbleibens und der angeblichen Bedrückungen der Ruſſen in
dieſem Königreich vorgekommen iſt.“ S. v. Eelking, Correſp., S. 118.
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[139/0153] verlangten ſie ſelbſt dringend von dem Reſidenten, daß er den- ſelben zerreißen laſſe, weil der Hof die Abſicht, die Republik zu einer Kriegserklärung gegen Friedrich zu bringen, ſicher mit Hilfe Rußlands durchſetzen werde 1). Unter dieſen Umſtänden waren natürlich die Wahlen ſo ſtürmiſch wie nur immer. Von beiden Seiten zerriß man die Landtage; der von Warſchau dauerte nicht über eine Viertelſtunde 2). Branicki und die Pa- trioten gingen mit der „Familie“ Hand in Hand und be- ſtimmten Mokranowski zum Marſchall des Reichstags. Gegen dieſen erklärte ſich aber der Hof auf das Entſchiedenſte. Mniszek und Soltyk ſagten ihm ins Geſicht, daß ſie als die erſten ſich ſeiner Wahl widerſetzen würden, und als es ſchien, daß dieſe dennoch nicht verhindert werden könne, ließ der Hof durch einen Landboten aus Podolien, Lezenski, den Reichstag noch vor der Wahl des Marſchalls zerreißen. Der Palatin von Kiew, der Schwiegervater von Brühls älteſtem Sohn, hatte dazu 20,000 Timpfe gegeben 3). Und eben ſo wenig wie dieſer kam der außerordentliche Reichstag, welchen der Hof im Frühjahr 1761 berief, zu einem gedeihlichen Schluß. Die Hofparthei trug ſich mit dem Plan, ihn in eine Conföderation zu verwandeln, weil ſie hoffte unter dem Schutz und Druck der ruſſiſchen Truppen im Lande eine Mehrheit von Stimmen zu gewinnen. Und in der That er- reichte ſie dies Ziel zum Theil auch dadurch, daß ſie eine An- zahl von Landtagen, die ſchon einmal zerriſſen waren, von neuem wählen ließ. Man ſprach davon, daß der Hof in Über- 2) 1) Benoit, Bericht vom 11. Juni 1760. 2) Desgl. vom 13. u. 27. Auguſt 1760. 3) Desgl. vom 8. u. 10. October 1760. Brühl ſchrieb am 11. Oc- tober an Riedeſel: „Wir halten dafür, daß man bei dem ruſſiſchen Hofe ſowohl, als von Seiten der Generalität mit ſolchem Ausſchlage nicht übel zufrieden ſein dürfte, indem wenigſtens vielem Geſchrei und Vorwürfen wegen des Verbleibens und der angeblichen Bedrückungen der Ruſſen in dieſem Königreich vorgekommen iſt.“ S. v. Eelking, Correſp., S. 118. 2) l’etat delabré dans lequel etoit la république la rendu beaucoup trop faible pour pouvoir le moins du monde s’opposer aux Russes.“ Be- richt vom 18. Juni 1760.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/153>, abgerufen am 21.11.2024.