überschritten seine Truppen die Gränzen Ostpreußens; am 5. Juli capitulirte Memel, und am 30. August siegten die Russen bei Großjägerndorf über das kleine Heer, welches Friedrich ihnen nur hatte entgegenstellen können. Ohne diesen Sieg zu verfolgen, kehrte Apraxin darauf nach Polen zurück.
Inzwischen war der junge Stanislaw Poniatowski von den Eltern im August 1756 aus Petersburg zurückgerufen worden, damit er sich zum Landboten für den im Herbst bevorstehenden Reichstag wählen ließe. Er verließ Petersburg mit dem heißen Wunsche baldmöglichst wieder dorthin zurückzukehren, und die Rücksicht, welche der Großkanzler Bestucheff auf die Wünsche der jungen Großfürstin nahm, öffneten ihm den Weg dazu. Ein Brief des Kanzlers an Brühl, der die Sendung des Grafen als Gesandten der Republik empfahl, blieb um so weniger ohne Wirkung, als auch Brühl im Hinblick auf die Zukunft den "jungen" russischen Hof sich zu verbinden wünschte. Der alte Poniatowski und die Oheime Czartoryski kamen den Wünschen des Sohnes und Neffen im Interesse der "Familie" entgegen; nur die Mutter, streng religiös, fügte sich schwer. Die Schwierigkeit lag nur darin, daß nach pol- nischem Staatsrecht der König ohne einen Senatsbeschluß keine Gesandten ernennen durfte, ein Senat aber in diesem Moment nicht zusammenzubringen war. Man fand den Ausweg, daß der König ihn als Churfürst von Sachsen zu seinem Gesandten ernannte, und der Oheim sich entschloß, ihm unter dem lithaui- schen Siegel eine Vollmacht zur Vertretung polnischer Interessen zu geben. Die Kosten übernahm die "Familie", da König August, seiner Einkünfte aus Sachsen beraubt, sie nicht bestreiten zu können erklärte; er verlieh zum Zeichen seines Wohlwollens seinem neuen Gesandten den Orden des weißen Adlers. Erst als die Ernennung schon erfolgt war, widersprachen der fran- zösische und der östreichische Gesandte derselben, weil sie Ponia- towski in Folge seines vertrauten Verhältnisses zu Williams und dem großfürstlichen Hofe, dessen Sympathien für Eng- land und Preußen kein Geheimniß waren, mißtrauten. Ihre
überſchritten ſeine Truppen die Gränzen Oſtpreußens; am 5. Juli capitulirte Memel, und am 30. Auguſt ſiegten die Ruſſen bei Großjägerndorf über das kleine Heer, welches Friedrich ihnen nur hatte entgegenſtellen können. Ohne dieſen Sieg zu verfolgen, kehrte Apraxin darauf nach Polen zurück.
Inzwiſchen war der junge Stanislaw Poniatowski von den Eltern im Auguſt 1756 aus Petersburg zurückgerufen worden, damit er ſich zum Landboten für den im Herbſt bevorſtehenden Reichstag wählen ließe. Er verließ Petersburg mit dem heißen Wunſche baldmöglichſt wieder dorthin zurückzukehren, und die Rückſicht, welche der Großkanzler Beſtucheff auf die Wünſche der jungen Großfürſtin nahm, öffneten ihm den Weg dazu. Ein Brief des Kanzlers an Brühl, der die Sendung des Grafen als Geſandten der Republik empfahl, blieb um ſo weniger ohne Wirkung, als auch Brühl im Hinblick auf die Zukunft den „jungen“ ruſſiſchen Hof ſich zu verbinden wünſchte. Der alte Poniatowski und die Oheime Czartoryski kamen den Wünſchen des Sohnes und Neffen im Intereſſe der „Familie“ entgegen; nur die Mutter, ſtreng religiös, fügte ſich ſchwer. Die Schwierigkeit lag nur darin, daß nach pol- niſchem Staatsrecht der König ohne einen Senatsbeſchluß keine Geſandten ernennen durfte, ein Senat aber in dieſem Moment nicht zuſammenzubringen war. Man fand den Ausweg, daß der König ihn als Churfürſt von Sachſen zu ſeinem Geſandten ernannte, und der Oheim ſich entſchloß, ihm unter dem lithaui- ſchen Siegel eine Vollmacht zur Vertretung polniſcher Intereſſen zu geben. Die Koſten übernahm die „Familie“, da König Auguſt, ſeiner Einkünfte aus Sachſen beraubt, ſie nicht beſtreiten zu können erklärte; er verlieh zum Zeichen ſeines Wohlwollens ſeinem neuen Geſandten den Orden des weißen Adlers. Erſt als die Ernennung ſchon erfolgt war, widerſprachen der fran- zöſiſche und der öſtreichiſche Geſandte derſelben, weil ſie Ponia- towski in Folge ſeines vertrauten Verhältniſſes zu Williams und dem großfürſtlichen Hofe, deſſen Sympathien für Eng- land und Preußen kein Geheimniß waren, mißtrauten. Ihre
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überſchritten ſeine Truppen die Gränzen Oſtpreußens; am
5. Juli capitulirte Memel, und am 30. Auguſt ſiegten die
Ruſſen bei Großjägerndorf über das kleine Heer, welches
Friedrich ihnen nur hatte entgegenſtellen können. Ohne
dieſen Sieg zu verfolgen, kehrte Apraxin darauf nach Polen
zurück.
Inzwiſchen war der junge Stanislaw Poniatowski von den
Eltern im Auguſt 1756 aus Petersburg zurückgerufen worden,
damit er ſich zum Landboten für den im Herbſt bevorſtehenden
Reichstag wählen ließe. Er verließ Petersburg mit dem heißen
Wunſche baldmöglichſt wieder dorthin zurückzukehren, und die
Rückſicht, welche der Großkanzler Beſtucheff auf die Wünſche
der jungen Großfürſtin nahm, öffneten ihm den Weg dazu.
Ein Brief des Kanzlers an Brühl, der die Sendung des
Grafen als Geſandten der Republik empfahl, blieb um ſo
weniger ohne Wirkung, als auch Brühl im Hinblick auf die
Zukunft den „jungen“ ruſſiſchen Hof ſich zu verbinden
wünſchte. Der alte Poniatowski und die Oheime Czartoryski
kamen den Wünſchen des Sohnes und Neffen im Intereſſe der
„Familie“ entgegen; nur die Mutter, ſtreng religiös, fügte
ſich ſchwer. Die Schwierigkeit lag nur darin, daß nach pol-
niſchem Staatsrecht der König ohne einen Senatsbeſchluß keine
Geſandten ernennen durfte, ein Senat aber in dieſem Moment
nicht zuſammenzubringen war. Man fand den Ausweg, daß
der König ihn als Churfürſt von Sachſen zu ſeinem Geſandten
ernannte, und der Oheim ſich entſchloß, ihm unter dem lithaui-
ſchen Siegel eine Vollmacht zur Vertretung polniſcher Intereſſen
zu geben. Die Koſten übernahm die „Familie“, da König Auguſt,
ſeiner Einkünfte aus Sachſen beraubt, ſie nicht beſtreiten zu
können erklärte; er verlieh zum Zeichen ſeines Wohlwollens
ſeinem neuen Geſandten den Orden des weißen Adlers. Erſt
als die Ernennung ſchon erfolgt war, widerſprachen der fran-
zöſiſche und der öſtreichiſche Geſandte derſelben, weil ſie Ponia-
towski in Folge ſeines vertrauten Verhältniſſes zu Williams
und dem großfürſtlichen Hofe, deſſen Sympathien für Eng-
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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/133>, abgerufen am 16.02.2025.
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