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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 8. Berlin, Wien, 1917.

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Gletscher- oder Eislawinen bestehen aus Gletschereis, das sich beim Vorrücken des Gletschers bis an einen steilen Absturz ablöst. Sie sind, nachdem sie durchwegs im Bett des Gletschers fallen, für die hier in Betracht stehenden Interessen belanglos.

Diese Grundformen der Lawinen1 sind jedoch in konkreten Fällen nicht immer scharf zu unterscheiden, sondern treten vielfach in Kombinationen auf, u. zw. hauptsächlich schon deshalb, weil jede Lawine die Veranlassung für das Entstehen einer zweiten Lawine anderer Art bilden kann.

Die unerläßliche Bedingung für das Entstehen der Lawinen ist die Ansammlung von Schnee und Eis auf steiler und glatter Unterlage (vegetationsloser Felsboden, baumlose Graslehnen), unmittelbare Veranlassung zur Lawinenbildung jeder Umstand, der eine Störung des zwischen der Schwere der Schneemassen und den Reibungs- und Adhäsionskräften an der Unterlage bestehenden Gleichgewichts herbeiführen kann.

Der bei niederen Temperaturen fallende pulverige Neuschnee haftet nur in sehr geringem Maße an der Unterlage. Je größer die Ansammlung, desto labiler sein Gleichgewicht. Das fortschreitende Anwachsen der Ablagerung allein kann die Ursache des plötzlich eintretenden Abgleitens werden. Aber auch ein heftiger Windstoß, allenfalls ein Flintenschuß, ein unbedeutendes Erdbeben kann hierzu den Anlaß geben und ist auf diese Weise das Entstehen der Staublawinen zu erklären.

Die Absitzungen des Sinter- und des Firnschnees, bzw. die Bildung der Ober- und der Grundlawinen tritt unter wesentlich anderen Umständen ein.

Wie bereits eingangs bemerkt wurde, bildet sich Sinter- und Firnschnee nur in jenen Regionen des Gebirges, in denen sich die durch die Sonnenbestrahlung hervorgerufenen Wärmewirkungen geltend machen können, also in den Alpen etwa in Höhen unter 4000 m.

In diesen Höhenregionen verursachen die vorerwähnten Wärmewirkungen zunächst oberflächliches Schmelzen des Schnees, das eindringende Schmelzwasser bewirkt die Verwandlung des Neuschnees in Sinter- und Firnschnee, die unter gleichzeitiger Verdichtung des Schnees vor sich geht und meist auch von den - ebenfalls bereits beschriebenen - Setzungserscheinungen begleitet ist. Durch diese Vorgänge wird die Kohärenz der Schneemassen zunächst nur vergrößert. Ein Abgleiten derselben auf der Unterlage wird jedoch erst eintreten, wenn die den Schnee am Boden haltenden Kräfte, Reibung und Kohäsion, verringert werden.

Letzteres kann nun durch zwischen die Schneedecke und den Boden eindringendes Schmelzwasser erfolgen, ein Fall, der namentlich bei plötzlich eintretendem Tauwetter vorliegt. Die im Frühjahr auftretenden Lawinenstürze sind durchwegs auf diese Weise zu erklären.

In den tiefer liegenden Gebirgsregionen besitzt aber auch der Boden zur Zeit des Eintritts der ersten Schneefälle, u. zw. selbst dann, wenn er oberflächlich schon ziemlich abgekühlt ist, noch immer gewisse Wärmemengen. Die Schneedecke verhindert nun die weitere Abkühlung des Bodens und es tritt unter dem Einfluß der oberwähnten Wärmereste ein allmähliches Auftauen der gefrorenen Bodenpartien unter der Schneedecke ein, durch das die Unterlage der Schneedecke glatt und schlüpfrig wird.

Auf diese Weise kann die Entstehung der im Spätherbst abstürzenden Lawinen erklärt werden, soferne diese nicht etwa ebenfalls auf den Eintritt von Tauwetter zurückzuführen sind.

Der Abgang der Lawinen wurde früher vielfach mit dem Abbrechen der auf den hochgelegenen scharfen Felsgraten sich bildenden sog. Schneeschilder (Schneewächten) in Zusammenhang gebracht. Diese Schneeschilder verdanken ihre Entstehung den gleichen Ursachen, wie die bei den Schneezäunen auftretenden Überwulstungen. Sie erreichen aber Höhenabmessungen bis zu 20 m und bestehen vielfach durchwegs aus Eis. Zuweilen brechen diese Schneeschilder stückweise ab und stürzen als Eistrümmer in die Tiefe. Es ist nun neuerer Zeit mehrfach beobachtet worden, daß die Sturzbahn dieser Eistrümmer durch hohe Schneelagen führte, ohne daß jedoch die letzteren hierdurch zum Abgleiten gebracht wurden. Daraus geht hervor, daß die Entstehung der hier in Rede stehenden Grund- und Oberlawinen im allgemeinen andere Ursachen haben müsse, als den sprichwörtlich gewordenen kleinen Anstoß durch den Schneeball. Ausgeschlossen ist es allerdings nicht, daß durch die mit dem Absturz solcher Eistrümmer verbundenen Erschütterungen irgend eine der in labilem Gleichgewicht befindlichen pulverigen Neuschneelage in Bewegung geraten könnte und die so entstehende Staublawine durch den sie begleitenden Luftström

1 Sprecher (Jahrbuch des Schweizer Alpenklubs XXXIX) wählt, u. zw. nach der Art des abstürzenden Materials, die Bezeichnungen: Neuschnee-, Sinterschnee- bzw. Firnschneelawinen und Eislawinen.

Gletscher- oder Eislawinen bestehen aus Gletschereis, das sich beim Vorrücken des Gletschers bis an einen steilen Absturz ablöst. Sie sind, nachdem sie durchwegs im Bett des Gletschers fallen, für die hier in Betracht stehenden Interessen belanglos.

Diese Grundformen der Lawinen1 sind jedoch in konkreten Fällen nicht immer scharf zu unterscheiden, sondern treten vielfach in Kombinationen auf, u. zw. hauptsächlich schon deshalb, weil jede Lawine die Veranlassung für das Entstehen einer zweiten Lawine anderer Art bilden kann.

Die unerläßliche Bedingung für das Entstehen der Lawinen ist die Ansammlung von Schnee und Eis auf steiler und glatter Unterlage (vegetationsloser Felsboden, baumlose Graslehnen), unmittelbare Veranlassung zur Lawinenbildung jeder Umstand, der eine Störung des zwischen der Schwere der Schneemassen und den Reibungs- und Adhäsionskräften an der Unterlage bestehenden Gleichgewichts herbeiführen kann.

Der bei niederen Temperaturen fallende pulverige Neuschnee haftet nur in sehr geringem Maße an der Unterlage. Je größer die Ansammlung, desto labiler sein Gleichgewicht. Das fortschreitende Anwachsen der Ablagerung allein kann die Ursache des plötzlich eintretenden Abgleitens werden. Aber auch ein heftiger Windstoß, allenfalls ein Flintenschuß, ein unbedeutendes Erdbeben kann hierzu den Anlaß geben und ist auf diese Weise das Entstehen der Staublawinen zu erklären.

Die Absitzungen des Sinter- und des Firnschnees, bzw. die Bildung der Ober- und der Grundlawinen tritt unter wesentlich anderen Umständen ein.

Wie bereits eingangs bemerkt wurde, bildet sich Sinter- und Firnschnee nur in jenen Regionen des Gebirges, in denen sich die durch die Sonnenbestrahlung hervorgerufenen Wärmewirkungen geltend machen können, also in den Alpen etwa in Höhen unter 4000 m.

In diesen Höhenregionen verursachen die vorerwähnten Wärmewirkungen zunächst oberflächliches Schmelzen des Schnees, das eindringende Schmelzwasser bewirkt die Verwandlung des Neuschnees in Sinter- und Firnschnee, die unter gleichzeitiger Verdichtung des Schnees vor sich geht und meist auch von den – ebenfalls bereits beschriebenen – Setzungserscheinungen begleitet ist. Durch diese Vorgänge wird die Kohärenz der Schneemassen zunächst nur vergrößert. Ein Abgleiten derselben auf der Unterlage wird jedoch erst eintreten, wenn die den Schnee am Boden haltenden Kräfte, Reibung und Kohäsion, verringert werden.

Letzteres kann nun durch zwischen die Schneedecke und den Boden eindringendes Schmelzwasser erfolgen, ein Fall, der namentlich bei plötzlich eintretendem Tauwetter vorliegt. Die im Frühjahr auftretenden Lawinenstürze sind durchwegs auf diese Weise zu erklären.

In den tiefer liegenden Gebirgsregionen besitzt aber auch der Boden zur Zeit des Eintritts der ersten Schneefälle, u. zw. selbst dann, wenn er oberflächlich schon ziemlich abgekühlt ist, noch immer gewisse Wärmemengen. Die Schneedecke verhindert nun die weitere Abkühlung des Bodens und es tritt unter dem Einfluß der oberwähnten Wärmereste ein allmähliches Auftauen der gefrorenen Bodenpartien unter der Schneedecke ein, durch das die Unterlage der Schneedecke glatt und schlüpfrig wird.

Auf diese Weise kann die Entstehung der im Spätherbst abstürzenden Lawinen erklärt werden, soferne diese nicht etwa ebenfalls auf den Eintritt von Tauwetter zurückzuführen sind.

Der Abgang der Lawinen wurde früher vielfach mit dem Abbrechen der auf den hochgelegenen scharfen Felsgraten sich bildenden sog. Schneeschilder (Schneewächten) in Zusammenhang gebracht. Diese Schneeschilder verdanken ihre Entstehung den gleichen Ursachen, wie die bei den Schneezäunen auftretenden Überwulstungen. Sie erreichen aber Höhenabmessungen bis zu 20 m und bestehen vielfach durchwegs aus Eis. Zuweilen brechen diese Schneeschilder stückweise ab und stürzen als Eistrümmer in die Tiefe. Es ist nun neuerer Zeit mehrfach beobachtet worden, daß die Sturzbahn dieser Eistrümmer durch hohe Schneelagen führte, ohne daß jedoch die letzteren hierdurch zum Abgleiten gebracht wurden. Daraus geht hervor, daß die Entstehung der hier in Rede stehenden Grund- und Oberlawinen im allgemeinen andere Ursachen haben müsse, als den sprichwörtlich gewordenen kleinen Anstoß durch den Schneeball. Ausgeschlossen ist es allerdings nicht, daß durch die mit dem Absturz solcher Eistrümmer verbundenen Erschütterungen irgend eine der in labilem Gleichgewicht befindlichen pulverigen Neuschneelage in Bewegung geraten könnte und die so entstehende Staublawine durch den sie begleitenden Luftström

1 Sprecher (Jahrbuch des Schweizer Alpenklubs XXXIX) wählt, u. zw. nach der Art des abstürzenden Materials, die Bezeichnungen: Neuschnee-, Sinterschnee- bzw. Firnschneelawinen und Eislawinen.
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[398/0417] Gletscher- oder Eislawinen bestehen aus Gletschereis, das sich beim Vorrücken des Gletschers bis an einen steilen Absturz ablöst. Sie sind, nachdem sie durchwegs im Bett des Gletschers fallen, für die hier in Betracht stehenden Interessen belanglos. Diese Grundformen der Lawinen 1 sind jedoch in konkreten Fällen nicht immer scharf zu unterscheiden, sondern treten vielfach in Kombinationen auf, u. zw. hauptsächlich schon deshalb, weil jede Lawine die Veranlassung für das Entstehen einer zweiten Lawine anderer Art bilden kann. Die unerläßliche Bedingung für das Entstehen der Lawinen ist die Ansammlung von Schnee und Eis auf steiler und glatter Unterlage (vegetationsloser Felsboden, baumlose Graslehnen), unmittelbare Veranlassung zur Lawinenbildung jeder Umstand, der eine Störung des zwischen der Schwere der Schneemassen und den Reibungs- und Adhäsionskräften an der Unterlage bestehenden Gleichgewichts herbeiführen kann. Der bei niederen Temperaturen fallende pulverige Neuschnee haftet nur in sehr geringem Maße an der Unterlage. Je größer die Ansammlung, desto labiler sein Gleichgewicht. Das fortschreitende Anwachsen der Ablagerung allein kann die Ursache des plötzlich eintretenden Abgleitens werden. Aber auch ein heftiger Windstoß, allenfalls ein Flintenschuß, ein unbedeutendes Erdbeben kann hierzu den Anlaß geben und ist auf diese Weise das Entstehen der Staublawinen zu erklären. Die Absitzungen des Sinter- und des Firnschnees, bzw. die Bildung der Ober- und der Grundlawinen tritt unter wesentlich anderen Umständen ein. Wie bereits eingangs bemerkt wurde, bildet sich Sinter- und Firnschnee nur in jenen Regionen des Gebirges, in denen sich die durch die Sonnenbestrahlung hervorgerufenen Wärmewirkungen geltend machen können, also in den Alpen etwa in Höhen unter 4000 m. In diesen Höhenregionen verursachen die vorerwähnten Wärmewirkungen zunächst oberflächliches Schmelzen des Schnees, das eindringende Schmelzwasser bewirkt die Verwandlung des Neuschnees in Sinter- und Firnschnee, die unter gleichzeitiger Verdichtung des Schnees vor sich geht und meist auch von den – ebenfalls bereits beschriebenen – Setzungserscheinungen begleitet ist. Durch diese Vorgänge wird die Kohärenz der Schneemassen zunächst nur vergrößert. Ein Abgleiten derselben auf der Unterlage wird jedoch erst eintreten, wenn die den Schnee am Boden haltenden Kräfte, Reibung und Kohäsion, verringert werden. Letzteres kann nun durch zwischen die Schneedecke und den Boden eindringendes Schmelzwasser erfolgen, ein Fall, der namentlich bei plötzlich eintretendem Tauwetter vorliegt. Die im Frühjahr auftretenden Lawinenstürze sind durchwegs auf diese Weise zu erklären. In den tiefer liegenden Gebirgsregionen besitzt aber auch der Boden zur Zeit des Eintritts der ersten Schneefälle, u. zw. selbst dann, wenn er oberflächlich schon ziemlich abgekühlt ist, noch immer gewisse Wärmemengen. Die Schneedecke verhindert nun die weitere Abkühlung des Bodens und es tritt unter dem Einfluß der oberwähnten Wärmereste ein allmähliches Auftauen der gefrorenen Bodenpartien unter der Schneedecke ein, durch das die Unterlage der Schneedecke glatt und schlüpfrig wird. Auf diese Weise kann die Entstehung der im Spätherbst abstürzenden Lawinen erklärt werden, soferne diese nicht etwa ebenfalls auf den Eintritt von Tauwetter zurückzuführen sind. Der Abgang der Lawinen wurde früher vielfach mit dem Abbrechen der auf den hochgelegenen scharfen Felsgraten sich bildenden sog. Schneeschilder (Schneewächten) in Zusammenhang gebracht. Diese Schneeschilder verdanken ihre Entstehung den gleichen Ursachen, wie die bei den Schneezäunen auftretenden Überwulstungen. Sie erreichen aber Höhenabmessungen bis zu 20 m und bestehen vielfach durchwegs aus Eis. Zuweilen brechen diese Schneeschilder stückweise ab und stürzen als Eistrümmer in die Tiefe. Es ist nun neuerer Zeit mehrfach beobachtet worden, daß die Sturzbahn dieser Eistrümmer durch hohe Schneelagen führte, ohne daß jedoch die letzteren hierdurch zum Abgleiten gebracht wurden. Daraus geht hervor, daß die Entstehung der hier in Rede stehenden Grund- und Oberlawinen im allgemeinen andere Ursachen haben müsse, als den sprichwörtlich gewordenen kleinen Anstoß durch den Schneeball. Ausgeschlossen ist es allerdings nicht, daß durch die mit dem Absturz solcher Eistrümmer verbundenen Erschütterungen irgend eine der in labilem Gleichgewicht befindlichen pulverigen Neuschneelage in Bewegung geraten könnte und die so entstehende Staublawine durch den sie begleitenden Luftström 1 Sprecher (Jahrbuch des Schweizer Alpenklubs XXXIX) wählt, u. zw. nach der Art des abstürzenden Materials, die Bezeichnungen: Neuschnee-, Sinterschnee- bzw. Firnschneelawinen und Eislawinen.

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 8. Berlin, Wien, 1917, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen08_1917/417>, abgerufen am 24.11.2024.