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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 6. Berlin, Wien, 1914.

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(Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechts und Spezialvorschriften für die Eisenbahnen. Innerhalb dieser Gruppen gilt folgende Ordnung: 1. Voraussetzungen der H; 2. die Bahn als Träger der H. und ihr Verhältnis zu andern Ersatzpflichtigen; 3. die Ersatzberechtigten, Umfang und Inhalt ihrer Ansprüche; 4. Verjährungsfristen; 5. Verschiedenes.)

I. Unter H. im weitesten Sinne könnte jede Verantwortlichkeit einer physischen oder juristischen Person auf Grund von Rechtsätzen verstanden werden, die sich im Zusammenhang mit dem Bestand und der Tätigkeit der Eisenbahnunternehmungen ergibt. Dieser umfassendste Begriff erfährt nachstehend auf Grund des Sprachgebrauchs in verschiedenen Richtungen Einschränkungen.

a) Vor allem sollen hier nur zivilrechtliche Haftbarkeiten in Betracht gezogen werden. Damit scheidet sowohl die staatsrechtliche Verantwortlichkeit gegenüber den Parlamenten als auch die straf- oder disziplinarrechtliche der Bahnbeamten und -arbeiter aus, ferner die ihrem Rechtsgrunde nach ebenfalls öffentlich-rechtliche Haftung, die bei staatlich betriebenen Bahnen dem Staat kraft Beamtenunfallfürsorgerechts gegenüber seinen Beamten und (wo, wie in Deutschland und Österreich eine Sozialversicherung besteht, die den Staat als Versicherungsträger vorsieht) kraft des Rechts der öffentlichen Unfallversicherung gegenüber seinen Arbeitern obliegt (s. den besonderen Artikel)1. Immerhin beeinflussen die beiden letzteren Rechtsgebiete vielfach auch die privatrechtliche Haftung der Bahnen gegenüber ihren Leuten und sind insoweit auch für das hier behandelte Thema wichtig.

b) Ferner kommt lediglich die H. des Eisenbahnunternehmers als solche in Frage, nicht die persönliche Haftung der Angestellten für den von ihnen verursachten Schaden.

Da die auf den Fracht- und Personenbeförderungsvertrag gestützten Ansprüche in besonderen Artikeln behandelt sind, so verbleibt für den Begriff der H. im Sinne dieses und des nachfolgenden Artikels die außervertragliche zivilrechtliche Haftbarkeit des Bahnunternehmers für einmalige, ausnahmsweise auftretende Schädigungen im Zusammenhang mit der Bahnunternehmung (gleichviel, ob sie sich aus dem Bau der Eisenbahn, aus dem Betrieb des Personen- oder Güterbeförderungsgewerbes oder aus den sonstigen mit der Bahn verbundenen Betrieben, z. B. Reparaturwerkstätten u. dgl. ergeben).

Die Sondervorschriften für Sachbeschädigungen und für Personenverletzungen sind in dem Artikel "Haftpflicht für Tötungen und Körperverletzungen" dargestellt, Sondervorschriften für Sachschäden sind im Zusammenhange mit den allgemeinen Haftungsgrundsätzen besprochen.

II. Die besonderen Gefahren des Bahnbaus und -betriebs, wie die Anwendung der Dampfkraft und Elektrizität, die Verwendung glatter Eisenschienen und die hierdurch ermöglichte Schnelligkeit, die große Schwere der Beförderungsmittel und der beförderten Lasten, die außergewöhnliche Eile des Betriebs erzeugen die Gelegenheit zu mannigfachen, oft schweren Unfällen an Personen und Gütern; es besteht deshalb die Notwendigkeit, die Bahn in weitgehendem Umfang für den entstandenen Schaden haftbar zu machen. Dieser Sachlage entsprachen die Rechtsbestimmungen der meisten Staaten über H. zur Zeit der Entstehung des modernen Bahnwesens nur in geringem Maße. Fast alle Rechte der Kulturstaaten verlangten den vielfach kaum zu erbringenden Nachweis, daß die Ursache des Unfalls auf ein Verschulden der Bahn zurückzuführen sei. Ferner war die Haftbarkeit der Unternehmer (fast durchwegs juristischer Personen) für das Verhalten ihrer Beamten und Angestellten mehrfach nur in sehr eingeschränktem Maße anerkannt. Auch der Kreis der Ersatzberechtigten und der Umfang ihrer Ansprüche war nur selten genügend weit gezogen. Die auf dem Gebiet des Obligationenrechts meist bestehende unbeschränkte Vertragsfreiheit bot den wirtschaftlich überlegenen Bahnen die Möglichkeit, ihre Haftung gegenüber Angestellten und Fahrgästen durch besondere Vereinbarungen im voraus auszuschließen oder einzuschränken.

Diesen Mißständen trugen die meisten Staaten in neuerer Zeit, wenn auch in verschiedenem Umfang, Rechnung. Vor allem wurden in Rückkehr zu einem Grundsatz der germanischen Rechtsentwicklung und nach dem Vorbild des Frachtrechts neben den altgewohnten, ein subjektives Verschulden voraussetzenden obligationes ex delicto vel quasidelicto (Kulpahaftung), neue obligationes ex lege eingeführt, die die Ersatzpflicht kraft Gesetz unmittelbar an die Tatsache der Verursachung eines schädigenden Erfolges knüpften (Erfolgs- oder Kausalhaftung). Wo man nicht

1 Dagegen fallen die in neuerer Zeit in Frankreich, England u. s. w. erlassenen Gesetze, die die Bahn bei Betriebsunfällen zur Zahlung genau fixierter Beträge an ihre Arbeiter und Angestellten verpflichten, trotz ihrer großen sachlichen Ähnlichkeit mit dem Unfallversicherungsrecht wegen ihres wesentlich bürgerlichrechtlichen Charakters in den Rahmen dieses Artikels.

(Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechts und Spezialvorschriften für die Eisenbahnen. Innerhalb dieser Gruppen gilt folgende Ordnung: 1. Voraussetzungen der H; 2. die Bahn als Träger der H. und ihr Verhältnis zu andern Ersatzpflichtigen; 3. die Ersatzberechtigten, Umfang und Inhalt ihrer Ansprüche; 4. Verjährungsfristen; 5. Verschiedenes.)

I. Unter H. im weitesten Sinne könnte jede Verantwortlichkeit einer physischen oder juristischen Person auf Grund von Rechtsätzen verstanden werden, die sich im Zusammenhang mit dem Bestand und der Tätigkeit der Eisenbahnunternehmungen ergibt. Dieser umfassendste Begriff erfährt nachstehend auf Grund des Sprachgebrauchs in verschiedenen Richtungen Einschränkungen.

a) Vor allem sollen hier nur zivilrechtliche Haftbarkeiten in Betracht gezogen werden. Damit scheidet sowohl die staatsrechtliche Verantwortlichkeit gegenüber den Parlamenten als auch die straf- oder disziplinarrechtliche der Bahnbeamten und -arbeiter aus, ferner die ihrem Rechtsgrunde nach ebenfalls öffentlich-rechtliche Haftung, die bei staatlich betriebenen Bahnen dem Staat kraft Beamtenunfallfürsorgerechts gegenüber seinen Beamten und (wo, wie in Deutschland und Österreich eine Sozialversicherung besteht, die den Staat als Versicherungsträger vorsieht) kraft des Rechts der öffentlichen Unfallversicherung gegenüber seinen Arbeitern obliegt (s. den besonderen Artikel)1. Immerhin beeinflussen die beiden letzteren Rechtsgebiete vielfach auch die privatrechtliche Haftung der Bahnen gegenüber ihren Leuten und sind insoweit auch für das hier behandelte Thema wichtig.

b) Ferner kommt lediglich die H. des Eisenbahnunternehmers als solche in Frage, nicht die persönliche Haftung der Angestellten für den von ihnen verursachten Schaden.

Da die auf den Fracht- und Personenbeförderungsvertrag gestützten Ansprüche in besonderen Artikeln behandelt sind, so verbleibt für den Begriff der H. im Sinne dieses und des nachfolgenden Artikels die außervertragliche zivilrechtliche Haftbarkeit des Bahnunternehmers für einmalige, ausnahmsweise auftretende Schädigungen im Zusammenhang mit der Bahnunternehmung (gleichviel, ob sie sich aus dem Bau der Eisenbahn, aus dem Betrieb des Personen- oder Güterbeförderungsgewerbes oder aus den sonstigen mit der Bahn verbundenen Betrieben, z. B. Reparaturwerkstätten u. dgl. ergeben).

Die Sondervorschriften für Sachbeschädigungen und für Personenverletzungen sind in dem Artikel „Haftpflicht für Tötungen und Körperverletzungen“ dargestellt, Sondervorschriften für Sachschäden sind im Zusammenhange mit den allgemeinen Haftungsgrundsätzen besprochen.

II. Die besonderen Gefahren des Bahnbaus und -betriebs, wie die Anwendung der Dampfkraft und Elektrizität, die Verwendung glatter Eisenschienen und die hierdurch ermöglichte Schnelligkeit, die große Schwere der Beförderungsmittel und der beförderten Lasten, die außergewöhnliche Eile des Betriebs erzeugen die Gelegenheit zu mannigfachen, oft schweren Unfällen an Personen und Gütern; es besteht deshalb die Notwendigkeit, die Bahn in weitgehendem Umfang für den entstandenen Schaden haftbar zu machen. Dieser Sachlage entsprachen die Rechtsbestimmungen der meisten Staaten über H. zur Zeit der Entstehung des modernen Bahnwesens nur in geringem Maße. Fast alle Rechte der Kulturstaaten verlangten den vielfach kaum zu erbringenden Nachweis, daß die Ursache des Unfalls auf ein Verschulden der Bahn zurückzuführen sei. Ferner war die Haftbarkeit der Unternehmer (fast durchwegs juristischer Personen) für das Verhalten ihrer Beamten und Angestellten mehrfach nur in sehr eingeschränktem Maße anerkannt. Auch der Kreis der Ersatzberechtigten und der Umfang ihrer Ansprüche war nur selten genügend weit gezogen. Die auf dem Gebiet des Obligationenrechts meist bestehende unbeschränkte Vertragsfreiheit bot den wirtschaftlich überlegenen Bahnen die Möglichkeit, ihre Haftung gegenüber Angestellten und Fahrgästen durch besondere Vereinbarungen im voraus auszuschließen oder einzuschränken.

Diesen Mißständen trugen die meisten Staaten in neuerer Zeit, wenn auch in verschiedenem Umfang, Rechnung. Vor allem wurden in Rückkehr zu einem Grundsatz der germanischen Rechtsentwicklung und nach dem Vorbild des Frachtrechts neben den altgewohnten, ein subjektives Verschulden voraussetzenden obligationes ex delicto vel quasidelicto (Kulpahaftung), neue obligationes ex lege eingeführt, die die Ersatzpflicht kraft Gesetz unmittelbar an die Tatsache der Verursachung eines schädigenden Erfolges knüpften (Erfolgs- oder Kausalhaftung). Wo man nicht

1 Dagegen fallen die in neuerer Zeit in Frankreich, England u. s. w. erlassenen Gesetze, die die Bahn bei Betriebsunfällen zur Zahlung genau fixierter Beträge an ihre Arbeiter und Angestellten verpflichten, trotz ihrer großen sachlichen Ähnlichkeit mit dem Unfallversicherungsrecht wegen ihres wesentlich bürgerlichrechtlichen Charakters in den Rahmen dieses Artikels.
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[43/0054] (Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechts und Spezialvorschriften für die Eisenbahnen. Innerhalb dieser Gruppen gilt folgende Ordnung: 1. Voraussetzungen der H; 2. die Bahn als Träger der H. und ihr Verhältnis zu andern Ersatzpflichtigen; 3. die Ersatzberechtigten, Umfang und Inhalt ihrer Ansprüche; 4. Verjährungsfristen; 5. Verschiedenes.) I. Unter H. im weitesten Sinne könnte jede Verantwortlichkeit einer physischen oder juristischen Person auf Grund von Rechtsätzen verstanden werden, die sich im Zusammenhang mit dem Bestand und der Tätigkeit der Eisenbahnunternehmungen ergibt. Dieser umfassendste Begriff erfährt nachstehend auf Grund des Sprachgebrauchs in verschiedenen Richtungen Einschränkungen. a) Vor allem sollen hier nur zivilrechtliche Haftbarkeiten in Betracht gezogen werden. Damit scheidet sowohl die staatsrechtliche Verantwortlichkeit gegenüber den Parlamenten als auch die straf- oder disziplinarrechtliche der Bahnbeamten und -arbeiter aus, ferner die ihrem Rechtsgrunde nach ebenfalls öffentlich-rechtliche Haftung, die bei staatlich betriebenen Bahnen dem Staat kraft Beamtenunfallfürsorgerechts gegenüber seinen Beamten und (wo, wie in Deutschland und Österreich eine Sozialversicherung besteht, die den Staat als Versicherungsträger vorsieht) kraft des Rechts der öffentlichen Unfallversicherung gegenüber seinen Arbeitern obliegt (s. den besonderen Artikel) 1. Immerhin beeinflussen die beiden letzteren Rechtsgebiete vielfach auch die privatrechtliche Haftung der Bahnen gegenüber ihren Leuten und sind insoweit auch für das hier behandelte Thema wichtig. b) Ferner kommt lediglich die H. des Eisenbahnunternehmers als solche in Frage, nicht die persönliche Haftung der Angestellten für den von ihnen verursachten Schaden. Da die auf den Fracht- und Personenbeförderungsvertrag gestützten Ansprüche in besonderen Artikeln behandelt sind, so verbleibt für den Begriff der H. im Sinne dieses und des nachfolgenden Artikels die außervertragliche zivilrechtliche Haftbarkeit des Bahnunternehmers für einmalige, ausnahmsweise auftretende Schädigungen im Zusammenhang mit der Bahnunternehmung (gleichviel, ob sie sich aus dem Bau der Eisenbahn, aus dem Betrieb des Personen- oder Güterbeförderungsgewerbes oder aus den sonstigen mit der Bahn verbundenen Betrieben, z. B. Reparaturwerkstätten u. dgl. ergeben). Die Sondervorschriften für Sachbeschädigungen und für Personenverletzungen sind in dem Artikel „Haftpflicht für Tötungen und Körperverletzungen“ dargestellt, Sondervorschriften für Sachschäden sind im Zusammenhange mit den allgemeinen Haftungsgrundsätzen besprochen. II. Die besonderen Gefahren des Bahnbaus und -betriebs, wie die Anwendung der Dampfkraft und Elektrizität, die Verwendung glatter Eisenschienen und die hierdurch ermöglichte Schnelligkeit, die große Schwere der Beförderungsmittel und der beförderten Lasten, die außergewöhnliche Eile des Betriebs erzeugen die Gelegenheit zu mannigfachen, oft schweren Unfällen an Personen und Gütern; es besteht deshalb die Notwendigkeit, die Bahn in weitgehendem Umfang für den entstandenen Schaden haftbar zu machen. Dieser Sachlage entsprachen die Rechtsbestimmungen der meisten Staaten über H. zur Zeit der Entstehung des modernen Bahnwesens nur in geringem Maße. Fast alle Rechte der Kulturstaaten verlangten den vielfach kaum zu erbringenden Nachweis, daß die Ursache des Unfalls auf ein Verschulden der Bahn zurückzuführen sei. Ferner war die Haftbarkeit der Unternehmer (fast durchwegs juristischer Personen) für das Verhalten ihrer Beamten und Angestellten mehrfach nur in sehr eingeschränktem Maße anerkannt. Auch der Kreis der Ersatzberechtigten und der Umfang ihrer Ansprüche war nur selten genügend weit gezogen. Die auf dem Gebiet des Obligationenrechts meist bestehende unbeschränkte Vertragsfreiheit bot den wirtschaftlich überlegenen Bahnen die Möglichkeit, ihre Haftung gegenüber Angestellten und Fahrgästen durch besondere Vereinbarungen im voraus auszuschließen oder einzuschränken. Diesen Mißständen trugen die meisten Staaten in neuerer Zeit, wenn auch in verschiedenem Umfang, Rechnung. Vor allem wurden in Rückkehr zu einem Grundsatz der germanischen Rechtsentwicklung und nach dem Vorbild des Frachtrechts neben den altgewohnten, ein subjektives Verschulden voraussetzenden obligationes ex delicto vel quasidelicto (Kulpahaftung), neue obligationes ex lege eingeführt, die die Ersatzpflicht kraft Gesetz unmittelbar an die Tatsache der Verursachung eines schädigenden Erfolges knüpften (Erfolgs- oder Kausalhaftung). Wo man nicht 1 Dagegen fallen die in neuerer Zeit in Frankreich, England u. s. w. erlassenen Gesetze, die die Bahn bei Betriebsunfällen zur Zahlung genau fixierter Beträge an ihre Arbeiter und Angestellten verpflichten, trotz ihrer großen sachlichen Ähnlichkeit mit dem Unfallversicherungsrecht wegen ihres wesentlich bürgerlichrechtlichen Charakters in den Rahmen dieses Artikels.

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 6. Berlin, Wien, 1914, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen06_1914/54>, abgerufen am 24.11.2024.