Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, Wien, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite

ausprägen. Um dies zu erreichen, hat man sich von den sog. geschichtlichen Stilformen freizumachen und der modernen Aufgabe des Gebäudes entsprechend auch moderne Formen zu wählen. Heutzutage spielt der Bahnhof im Stadtbild etwa dieselbe Rolle wie im Mittelalter das Stadttor. Daher soll das E. eine würdige Erscheinung bieten, sowohl für den Abfahrenden wie für den Ankommenden. Diese muß sich auch auf die bauliche Gestaltung des Vorplatzes und seine Umgebung erstrecken. In kleinen Orten bildet häufig das E. als der einzige oder der am meisten in die Erscheinung fallende öffentliche


Abb. 212. Aachen-West.
Bau ein Muster für die Gestaltung der Privatgebäude. Man muß beim Entwurf des E. Rücksicht auf die landschaftliche Umgebung und das Stadtbild nehmen und soll heimische Bauweise und heimische Baustoffe bevorzugen.

Eine streng symmetrische Gliederung des Baues ist zu verwerfen, da sie in den seltensten Fällen durch eine Symmetrie des Grundrisses bedingt ist. Eine Ausnahme findet man bei einzelnen ganz großen E. in Kopfform, bei denen alle Anlagen, namentlich die Wartesäle, mehrfach vorhanden sind. In allen übrigen Fällen verdient eine zwanglose Gruppierung der Bauteile den Vorzug. Den Mittelpunkt bildet die Eingangshalle, die häufig durch mehrere Stockwerke hindurchgeht. Dadurch ergibt sich von selbst die Betonung des Haupteingangs. Es muß vermieden werden, daß ihn die Reisenden mit Nebeneingängen, z. B. solchen zu den Wohnungen verwechseln. Häufig wird die Eingangshalle durch einen Uhrturm hervorgehoben, der auch zur Abführung des Rauches der Heizungsanlage und zur Entlüftung dient.

Ein Beispiel für ein nach diesen Gesichtspunkten errichtetes E. ist in Abb. 212 gegeben.

Ist eine geschlossene Bahnsteighalle vorhanden, so sollte sie von außen gut sichtbar gemacht, nicht aber etwa hinter dem E. versteckt werden. Dieses muß sich im Gegenteil ihr unterordnen. Mustergültig in dieser Hinsicht ist die Architektur des Hauptbahnhofes Hamburg, Abb. 253. Ein Gegenbeispiel ist der Bahnhof in Bombay, Abb. 213. Es ist das größte Empfangsgebäude Indiens und gilt als Monumentalbau ersten Ranges. Die Höhenentwicklung des Gebäudes ist durch die Benutzung der Obergeschosse zu Verwaltungsräumen gegeben. Die Bahnsteighalle verschwindet aber vollständig hinter dem Gebäude.

Kleinere Empfangsgebäude wurden früher häufig nach Regelplänen ausgeführt und zwar nicht nur in der Grundrißanordnung, sondern auch in der inneren und äußeren Gestaltung. Dieses Verfahren, bei dem auf die überall verschiedene Umgebung und das Landschaftsbild keine Rücksicht genommen wurde, ist jetzt allgemein verlassen. Man sucht die Aufgabe jedesmal neu zu lösen und legt die Entwurfsarbeiten

ausprägen. Um dies zu erreichen, hat man sich von den sog. geschichtlichen Stilformen freizumachen und der modernen Aufgabe des Gebäudes entsprechend auch moderne Formen zu wählen. Heutzutage spielt der Bahnhof im Stadtbild etwa dieselbe Rolle wie im Mittelalter das Stadttor. Daher soll das E. eine würdige Erscheinung bieten, sowohl für den Abfahrenden wie für den Ankommenden. Diese muß sich auch auf die bauliche Gestaltung des Vorplatzes und seine Umgebung erstrecken. In kleinen Orten bildet häufig das E. als der einzige oder der am meisten in die Erscheinung fallende öffentliche


Abb. 212. Aachen-West.
Bau ein Muster für die Gestaltung der Privatgebäude. Man muß beim Entwurf des E. Rücksicht auf die landschaftliche Umgebung und das Stadtbild nehmen und soll heimische Bauweise und heimische Baustoffe bevorzugen.

Eine streng symmetrische Gliederung des Baues ist zu verwerfen, da sie in den seltensten Fällen durch eine Symmetrie des Grundrisses bedingt ist. Eine Ausnahme findet man bei einzelnen ganz großen E. in Kopfform, bei denen alle Anlagen, namentlich die Wartesäle, mehrfach vorhanden sind. In allen übrigen Fällen verdient eine zwanglose Gruppierung der Bauteile den Vorzug. Den Mittelpunkt bildet die Eingangshalle, die häufig durch mehrere Stockwerke hindurchgeht. Dadurch ergibt sich von selbst die Betonung des Haupteingangs. Es muß vermieden werden, daß ihn die Reisenden mit Nebeneingängen, z. B. solchen zu den Wohnungen verwechseln. Häufig wird die Eingangshalle durch einen Uhrturm hervorgehoben, der auch zur Abführung des Rauches der Heizungsanlage und zur Entlüftung dient.

Ein Beispiel für ein nach diesen Gesichtspunkten errichtetes E. ist in Abb. 212 gegeben.

Ist eine geschlossene Bahnsteighalle vorhanden, so sollte sie von außen gut sichtbar gemacht, nicht aber etwa hinter dem E. versteckt werden. Dieses muß sich im Gegenteil ihr unterordnen. Mustergültig in dieser Hinsicht ist die Architektur des Hauptbahnhofes Hamburg, Abb. 253. Ein Gegenbeispiel ist der Bahnhof in Bombay, Abb. 213. Es ist das größte Empfangsgebäude Indiens und gilt als Monumentalbau ersten Ranges. Die Höhenentwicklung des Gebäudes ist durch die Benutzung der Obergeschosse zu Verwaltungsräumen gegeben. Die Bahnsteighalle verschwindet aber vollständig hinter dem Gebäude.

Kleinere Empfangsgebäude wurden früher häufig nach Regelplänen ausgeführt und zwar nicht nur in der Grundrißanordnung, sondern auch in der inneren und äußeren Gestaltung. Dieses Verfahren, bei dem auf die überall verschiedene Umgebung und das Landschaftsbild keine Rücksicht genommen wurde, ist jetzt allgemein verlassen. Man sucht die Aufgabe jedesmal neu zu lösen und legt die Entwurfsarbeiten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="lexiconEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0316" n="303"/>
ausprägen. Um dies zu erreichen, hat man sich von den sog. geschichtlichen Stilformen freizumachen und der modernen Aufgabe des Gebäudes entsprechend auch moderne Formen zu wählen. Heutzutage spielt der Bahnhof im Stadtbild etwa dieselbe Rolle wie im Mittelalter das Stadttor. Daher soll das E. eine würdige Erscheinung bieten, sowohl für den Abfahrenden wie für den Ankommenden. Diese muß sich auch auf die bauliche Gestaltung des Vorplatzes und seine Umgebung erstrecken. In kleinen Orten bildet häufig das E. als der einzige oder der am meisten in die Erscheinung fallende öffentliche<lb/><figure facs="https://media.dwds.de/dta/images/roell_eisenbahnwesen04_1913/figures/roell_eisenbahnwesen04_1913_figure-0251.jpg" rendition="#c"><head>Abb. 212. Aachen-West.</head><lb/></figure><lb/>
Bau ein Muster für die Gestaltung der Privatgebäude. Man muß beim Entwurf des E. Rücksicht auf die landschaftliche Umgebung und das Stadtbild nehmen und soll heimische Bauweise und heimische Baustoffe bevorzugen.</p><lb/>
          <p>Eine streng symmetrische Gliederung des Baues ist zu verwerfen, da sie in den seltensten Fällen durch eine Symmetrie des Grundrisses bedingt ist. Eine Ausnahme findet man bei einzelnen ganz großen E. in Kopfform, bei denen alle Anlagen, namentlich die Wartesäle, mehrfach vorhanden sind. In allen übrigen Fällen verdient eine zwanglose Gruppierung der Bauteile den Vorzug. Den Mittelpunkt bildet die Eingangshalle, die häufig durch mehrere Stockwerke hindurchgeht. Dadurch ergibt sich von selbst die Betonung des Haupteingangs. Es muß vermieden werden, daß ihn die Reisenden mit Nebeneingängen, z. B. solchen zu den Wohnungen verwechseln. Häufig wird die Eingangshalle durch einen Uhrturm hervorgehoben, der auch zur Abführung des Rauches der Heizungsanlage und zur Entlüftung dient.</p><lb/>
          <p>Ein Beispiel für ein nach diesen Gesichtspunkten errichtetes E. ist in Abb. 212 gegeben.</p><lb/>
          <p>Ist eine geschlossene Bahnsteighalle vorhanden, so sollte sie von außen gut sichtbar gemacht, nicht aber etwa hinter dem E. versteckt werden. Dieses muß sich im Gegenteil ihr unterordnen. Mustergültig in dieser Hinsicht ist die Architektur des Hauptbahnhofes Hamburg, Abb. 253. Ein Gegenbeispiel ist der Bahnhof in Bombay, Abb. 213. Es ist das größte Empfangsgebäude Indiens und gilt als Monumentalbau ersten Ranges. Die Höhenentwicklung des Gebäudes ist durch die Benutzung der Obergeschosse zu Verwaltungsräumen gegeben. Die Bahnsteighalle verschwindet aber vollständig hinter dem Gebäude.</p><lb/>
          <p>Kleinere Empfangsgebäude wurden früher häufig nach Regelplänen ausgeführt und zwar nicht nur in der Grundrißanordnung, sondern auch in der inneren und äußeren Gestaltung. Dieses Verfahren, bei dem auf die überall verschiedene Umgebung und das Landschaftsbild keine Rücksicht genommen wurde, ist jetzt allgemein verlassen. Man sucht die Aufgabe jedesmal neu zu lösen und legt die Entwurfsarbeiten
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[303/0316] ausprägen. Um dies zu erreichen, hat man sich von den sog. geschichtlichen Stilformen freizumachen und der modernen Aufgabe des Gebäudes entsprechend auch moderne Formen zu wählen. Heutzutage spielt der Bahnhof im Stadtbild etwa dieselbe Rolle wie im Mittelalter das Stadttor. Daher soll das E. eine würdige Erscheinung bieten, sowohl für den Abfahrenden wie für den Ankommenden. Diese muß sich auch auf die bauliche Gestaltung des Vorplatzes und seine Umgebung erstrecken. In kleinen Orten bildet häufig das E. als der einzige oder der am meisten in die Erscheinung fallende öffentliche [Abbildung Abb. 212. Aachen-West. ] Bau ein Muster für die Gestaltung der Privatgebäude. Man muß beim Entwurf des E. Rücksicht auf die landschaftliche Umgebung und das Stadtbild nehmen und soll heimische Bauweise und heimische Baustoffe bevorzugen. Eine streng symmetrische Gliederung des Baues ist zu verwerfen, da sie in den seltensten Fällen durch eine Symmetrie des Grundrisses bedingt ist. Eine Ausnahme findet man bei einzelnen ganz großen E. in Kopfform, bei denen alle Anlagen, namentlich die Wartesäle, mehrfach vorhanden sind. In allen übrigen Fällen verdient eine zwanglose Gruppierung der Bauteile den Vorzug. Den Mittelpunkt bildet die Eingangshalle, die häufig durch mehrere Stockwerke hindurchgeht. Dadurch ergibt sich von selbst die Betonung des Haupteingangs. Es muß vermieden werden, daß ihn die Reisenden mit Nebeneingängen, z. B. solchen zu den Wohnungen verwechseln. Häufig wird die Eingangshalle durch einen Uhrturm hervorgehoben, der auch zur Abführung des Rauches der Heizungsanlage und zur Entlüftung dient. Ein Beispiel für ein nach diesen Gesichtspunkten errichtetes E. ist in Abb. 212 gegeben. Ist eine geschlossene Bahnsteighalle vorhanden, so sollte sie von außen gut sichtbar gemacht, nicht aber etwa hinter dem E. versteckt werden. Dieses muß sich im Gegenteil ihr unterordnen. Mustergültig in dieser Hinsicht ist die Architektur des Hauptbahnhofes Hamburg, Abb. 253. Ein Gegenbeispiel ist der Bahnhof in Bombay, Abb. 213. Es ist das größte Empfangsgebäude Indiens und gilt als Monumentalbau ersten Ranges. Die Höhenentwicklung des Gebäudes ist durch die Benutzung der Obergeschosse zu Verwaltungsräumen gegeben. Die Bahnsteighalle verschwindet aber vollständig hinter dem Gebäude. Kleinere Empfangsgebäude wurden früher häufig nach Regelplänen ausgeführt und zwar nicht nur in der Grundrißanordnung, sondern auch in der inneren und äußeren Gestaltung. Dieses Verfahren, bei dem auf die überall verschiedene Umgebung und das Landschaftsbild keine Rücksicht genommen wurde, ist jetzt allgemein verlassen. Man sucht die Aufgabe jedesmal neu zu lösen und legt die Entwurfsarbeiten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-06-17T17:32:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Andreas Nolda: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-06-17T17:32:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; Hervorhebungen I/J in Fraktur: keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein

Spaltenumbrüche sind nicht markiert. Wiederholungszeichen (") wurden aufgelöst. Komplexe Formeln und Tabellen sind als Grafiken wiedergegeben.

Die Abbildungen im Text stammen von zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen04_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen04_1913/316
Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, Wien, 1913, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen04_1913/316>, abgerufen am 25.08.2024.